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stelle das Christenthum her, das in Trümmern liegt, und Du wirst glänzen. Maximilian, die Dolche des Mädchens sind eine Warnung, eine Mahnung, unser Beitritt zum Bunde der ‚Mutter Gottes‘ ist eine Huldigung für Dich, ein Anbieten unserer Hülfe, stoße uns nicht zurück, geh’ mit uns.“

Robespierre versank in tiefes Nachdenken. Endlich warf er das Haupt zurück. Seine Blicke waren sanft und wohlwollend. „Ich kenne die Tragweite der Entschlüsse und die Macht der Lehren wohl, welche der Bund faßt und verbreitet. Ich weiß, daß ihm täglich Genossen zuströmen. Wie oft hat man mich schon aufgefordert, das sichere Nest zu zerstören! Ich wies das Ansinnen zurück. Heute bin ich so aufgeregt durch den Mordanschlag, so beruhigt durch Euere Anerkennung. Ja, ich kenne das Weib der Straße Contrescarpe, Katharine Theot, die Mutter Gottes, doch Euere Religion ist die meine nicht. Die Vernunft ist so göttlich, daß sie die einzige Vorsehung dieses Geschlechtes ist; aber arbeitet Ihr auf Euere Weise, laßt mich nach der meinigen wirken, dann begegnen wir uns in einem Punkte und in Monatsfrist wird Frankreich wieder einen Gott haben.“

Enthusiastisch umringten Alle den Dictator, sie ergriffen seine Hände, sie riefen ihm Dank zu, der Becher kreiste und sie leerten ihn auf das Wohl einer neuen, glücklichen Zeit.

Spät in der Nacht trennte sich Robespierre von dem Kreise der neuen Genossen. Er ging mit Trial aus dem Hotel. Als die Thür sich hinter ihm schloß, kehrte Herr von Quesvremont, der den Dictator begleitet hatte, frohlockend zurück. „Alles geht gut, meine Freunde. Der Dictator ist auf dem besten Wege,“ sagte er die Hände der Damen fassend. „Wir bringen ihn noch weiter. Es war ein Glück, daß wir uns in den Bund aufnehmen ließen. Ich sehe den Thron wieder aufgerichtet und die Lilien glänzen. Robespierre wird der Unsere.“

Robespierre ging mit seinem Begleiter die Straße des Lombards schweigend entlang. Das Hotel lag nicht weit von des Dictators einfacher Wohnung in der Straße St. Honoré. Als sie unter dem Thorbogen hervorgetreten waren, kamen plötzlich zwei Männer, bisher hinter dem Vorsprung des gegenüberliegenden Hauses verborgen, über den Damm geschritten. Sie hielten sich dicht zu Robespierre und Trial, machten einen Bogen, gingen wieder auf die andere Seite der Straße und suchten den Beiden entgegenzukommen. Dies gelang ihnen an der Ecke der Straße Féronnerie, woselbst die in Ketten hängende Straßenlampe das Antlitz Robespierre’s hell beleuchtete. Mit einem „guten Abend, Bürger,“ schritten die Beiden, sich fest in ihre Mäntel wickelnd, vorüber. Als Robespierre und sein Begleiter verschwunden waren, standen die Verhüllten still.

„Hast Du Dich überzeugt, daß ich Recht hatte?“ fragte der Aeltere.

„Ich bin erstarrt. Robespierre im Hause der Aristokraten!“

„Es ist Zeit zu handeln. Was meine Leute mir anvertraut, ist richtig Robespierre geht mit einem Plane zur Aenderung der Dinge um. Daher seine Reden von der Wiedereinsetzung eines höchsten Wesens. Ich ahne den Zusammenhang. Die Clique des Hotel St. Amaranthe gehört zu der Gesellschaft, welche in der Straße Contrescarpe ihr Wesen treibt. Die alte Katharine Theot präsidirt diese Versammlungen. Dort wird ein Heer geworben, das im Augenblicke des Umschwunges für Robespierre einstehen soll, wenn er sich mit den Jüngern verbindet, an deren Spitze der Ex-Carthäusermönch, unser ehemaliger College, Dom Gerle steht. Robespierre ist unser überdrüssig, und ich sage Dir, die Köpfe von uns Allen stehen nicht fester, als diese Rübe.“ Er stieß eine halbfaule Rübe mit dem Fuße fort, die inmitten der Straße lag.

„Was gedenkst Du zu thun?“ sagte der Jüngere.

„Handeln müssen wir. Robespierre anzugreifen ist noch nicht Zeit, aber das Complot zu vernichten ist Eile nöthig. Drehen wir die Sache geschickt so, daß alle Welt glaube, es geschehe in Robespierre’s Interesse. Morgen muß im Ausschusse die Verhaftung der Mitglieder jenes Clubs von Propheten beschlossen werden, wir müssen Alle haben. Wird Robespierre es wagen, sie zu retten? Wird er sich so lächerlich machen, die Gaukler zu vertheidigen? Nein. Sie fallen Alle und das Gewürm im Stamme der Republik ist vernichtet, aber der Gewaltige erhält einen Schlag. Die an Milderung glauben, werden sehen, daß er nach wie vor hinrichten läßt, und wehe ihm, wenn er retten will! Er muß schweigend zusehen. Die Geschichte mit der Renault kommt uns gut zu Statten, man macht daraus eine ungeheuere Verschwörung, deren Fäden in London zusammenlaufen, dazu die Gesellschaft der Straße Contrescarpe – es wird sich machen.“

„Daher also die Sicherheit jener Frau von St. Amaranthe!“ sagte der Andere. „Sie war schon lange verdächtig.“

„Uebereilen wir Nichts, aber nützen wir die Zeit.“

Sie waren vor einem Sicherheitsbureau angekommen. In diesen Bureaus befanden sich zu jeder Zeit Wachen und Policisten, welche der Patriot zu seiner Hülfe in Anspruch nehmen konnte. Der Aeltere klopfte an das Thor.

„Wer da?“

„Patrioten.“

Die Wache trat heraus.

„Ist der Bürger Sénart zu sprechen?“

„Hier bin ich!“ rief eine aus einer Tabakswolke kommende Stimme. „Du bist es, Bürger Volksvertreter?“ sagte Sénart an die Thür tretend.

„Sei morgen früh um neun Uhr bei mir, Sénart, ich habe einen Auftrag für Dich.“

„Ich werde mich einstellen, Bürger.“

Die beiden Männer gingen weiter.

„Es wird ein Blitz sein aus heiterm Himmel. Laß ihn nur erst die Posse von der Wiedereinsetzung feiern, dann wirkt der Schlag um so vernichtender. Einen furchtbaren Namen wie den seinigen verlöscht man am besten, wenn man ihn lächerlich macht.“

Sie trennten sich. „Gute Nacht, Vadier,“ sagte der Jüngere.

„Gute Nacht, Barrère.“ –

Katharine Theot, gebürtig aus Baranton, hatte von Jugend auf behauptet, göttliche Eingebungen zu haben. In die Bastille gesperrt, der Salpetrière als Kranke überwiesen, dann wieder entlassen, hatte dieses fanatische Weib die Wirbel der Revolutionsströme benützt, um mit ihren Offenbarungen auf’s Neue hervorzutreten. Dom Gerle, ein ehemaliger Carthäusermönch, Freund Robespierre’s, ein Mann von Talent, in dessen durch klösterliche Einsamkeit verdüstertem Geiste allerlei fabelhafte Plane umhergaukelten, fand sich zu Katharine Theot. Er ward ihr Priester, er deutete ihre Orakelsprüche, er zog bald eine zahlreiche Gesellschaft an sich und die Prophetin, denn der Hang zum Wunderbaren steigert sich in bewegten Tagen reißend schnell. Katharine Theot nannte sich „die neue Eva“, auch „Mutter Gottes“.

Robespierre hatte, das ist sicher, um jene Zeit den festen Willen, dem Blutvergießen Einhalt zu thun. Deshalb mußte ihm eine Genossenschaft wichtig werden, die durch eine Art religiöser Politik auf die Massen wirken konnte, obwohl sein klarer durchdringender Verstand natürlich die Mysterien der Straße Contrescarpe belächeln mußte. Er hörte Dom Gerle’s fieberhafte Projecte an, verfolgte die Secte nicht und baute darauf hin den Plan zu der Feier „der Wiedereinsetzung des höchsten Wesens“. In demselben Grade wie Robespierre für seine Zwecke den Bund auszubeuten suchte, geschah dies von Seiten der Anhänger des gestürzten Thrones. Sie ließen sich in die Gesellschaft aufnehmen, um von hier aus agiren zu können, und so kam es, daß die Bewohner des Hotel St. Amaranthe dem Bunde angehörten. Diese Leute warfen sich noch außerdem mit wahrhaftem Enthusiasmus dem Mysterium in die Arme, das, mit seinem düstern Schleier sie bestrickend, Alle umfing – Alle vernichtete.

Die Einführung Robespierre’s durch Trial bei Frau von St. Amaranthe war auf Wunsch der schönen Dame sowohl, als auch aus des Dictators Verlangen geschehen. Er wollte die Aristokraten kennen lernen, die ihn verehrten. Er fand die blendendste Schönheit, den sprudelndsten Geist, die glühendste Schwärmerei, und er war der Gegenstand dieser Verehrung! Robespierre verfolgte die Aristokraten nicht. Aber seine Schritte waren bewacht. Die Führer der Ausschüsse lauerten ihm auf. Vadier, der Schreckliche, ein unbeugsamer Republikaner, schrie zuerst „Verrath!“ Die Ausschußmitglieder sagten sich, daß Robespierre, der eine Umgestaltung der Dinge vorbereitete, ihre Köpfe nicht schonen, daß die Guillotine gegen Alle gerichtet werden müsse, die sich dem Willen des Dictators entgegen zeigten.

Sie beschlossen zu handeln. Durch Vernichtung der Bundesmitglieder mußte Robespierre deren Hülfe abgeschnitten, er selbst den Leuten, die auf Milderung hofften, als der alte Tyrann dargestellt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_011.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)