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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

an, es abzuwenden, das tolle Thier war ganz unlenkbar geworden – und fünfzig Fuß tief hinab flogen Roß und Reiter in die aufgethürmten scharfen Felsblöcke. Beide wären unfehlbar verloren gewesen, wenn sie nicht gerade zufällig auf den aus Staub und Kies bestehenden Abraumhaufen gestürzt wären, die einzige schmale Stelle des ganzen Bruchs, wo sie nicht zerschmettern konnten, und wunderbar, Mann und Thier nahmen fast gar keinen Schaden! Kaum hatte sich der Gonos, auf dem der Graf wie festgewachsen sitzen geblieben war, aus der schweren Sandwolke herausgearbeitet, so setzte er sogleich seine rasende Flucht wieder fort, scheute an einer Brücke vor einem begegnenden Wagen, und prellte über das Geländer hinab in die Lache. Als auch diese ihn nicht abzukühlen vermochte und das Thier daraus hervor im tollsten Tempo weiter raste, blieb dem Grafen nichts übrig, als es endlich so zu dirigiren, daß es mit dem Kopf wider einen mächtigen Weidenbaum rannte und betäubt zusammenbrach. Zur Strafe für alle diese Schandthaten wurde Gonos eingespannt und fand seinen jähen Tod auf einer scharfen Fahrt von Nesmill nach Gyöngyös.

So ließen sich noch zahllose wilde Reiterstückchen aus dem Leben des Grafen Sándor erzählen. Wie er im Boot den Eisgang forcirte, so auch blos zu Pferd. Die Eisdecke der Donau stand ausnahmsweise noch zu Ende des März. Thauwetter und Frost wechselten ab; Niemand erwartete übrigens schon das Aufgehen des Eises. Allein an der oberen Donau waren starke Regengüsse gefallen, wodurch das Wasser mit einem Male ungewöhnlich rasch in’s Steigen kam. Graf Sándor ritt sorglos auf der Eisdecke des Stromes spazieren und überhörte, mit Gedanken beschäftigt, gänzlich die drei Kanonenschüsse, welche üblicherweise gelöst werden, sobald das Eis sich in Bewegung setzt. An dem Vorsprung des Blocksbergs – auf der Ofener Seite – verengert sich das Strombett; hier klemmte sich der Eisstoß. Mit furchtbarem Krachen barst die Decke, schob sich zusammen und thürmte häuserhohe Schollen auf; der Graf befand sich einsam inmitten dieser furchtbaren Scene der Zerstörung. Hier galt kein Säumen; schon mußte das Pferd von einer Scholle zur andern über breite Wasseradern springen, über Eisberge klimmen, die sich höher und immer höher und drohender aufrichteten und endlich das Thier zum Sturze brachten. Glücklicherweise trennte sich dabei der Reiter von ihm, wenn er sich auch den Arm aus der Pfanne fiel; das Pferd erreichte, ledig der Last, das nicht mehr ferne Ufer; auch dem Grafen glückte dies unter unsäglichen Anstrengungen und Schmerzen; zu Roß wäre er verloren gewesen.

Dies war das eine Mal, daß er zugab, sich in wirklicher Lebensgefahr befunden zu haben. Das zweite Mal war es der Fall, als er von seinem Schlosse Bajna nach Totis, dem Gräflich Esterhazy’schen Stammsitz, auf der englischen Stute Coquette und statt eines großen Umwegs mitten durch das Hegyer-Moor ritt. Bekanntlich sind derartige Brüche in Ungarn nicht selten; sie bestehen aus den festen sogenannten Stopfen, d. i. kleinen Grasplateaus und Morast, dazwischen oft unergründlich tiefe, brunnenartige Wasserlöcher. Ueber einen solchen Stopfen stolperte das Pferd, stürzte und warf seinen Reiter ab; dieser aber flog im Bogen mitten unter eine Heerde wilder Büffel, welche sich in demselben Augenblick ringsum aus dem Sumpfe hoben und mit rothglühenden Augen nach dem unter sie geregneten Fremdling stierten. Die Coquette machte sich glücklich davon, auch der Graf entschloß sich diesmal zum möglichst geräuschlosen Rückzug, wand sich, wie ein Aal, von Stopfen zu Stopfen und kam glücklich nach Totis; in welchem Aufzuge, mag man denken!

Ebenso geschickt wie als Reiter, war Graf Sándor auch als Rosselenker vom Bock herab. Von seinem berufenen Sechserzug werden fabelhafte Thaten erzählt. Bald fährt er trotz des Verbotes der Polizei damit über die kaum zugefrorene, spiegelglatte Donau (bei Preßburg), deren Decke sich unheimlich unter ihm biegt; bald stellt er im Prater zu Wien zwei Fiaker in geringer Entfernung nebeneinander auf und fährt mit Vieren breit gespannt zwischen ihnen hindurch, ohne sie zu berühren. In Folge einer Wette fuhr er in dreißig Stunden, ohne die Pferde ausgespannt zu haben und ohne den geringsten Schaden für dieselben, von Wien nach Ofen. Die Fahrt wurde in Wien um zwölf ein halb Uhr Nachts angetreten und den zweiten Morgen um sieben ein halb Uhr in Ofen beendigt, so daß in dieser Zeit sechsunddreißig deutsche Meilen gefahren wurden mit nur zehn Stunden Rast und Futterzeit. Mit seinen vier ausgezeichneten Schimmelponies machte er alle erdenkliche Wendungen, während ein Herr den Fuß hinter das eine Hinterrad des Wagens stellte, das sich während dessen nicht vom Platze wegbegeben durfte. Als ihm die Comitatsbehörde verboten hatte, mit dem Sechserzug zu fahren, kam er damit in den engen Hof des Comitatshauses, gab seine Erklärung ab, daß er sich an den Befehl nicht kehren werde, wendete, wie man zu sagen pflegt, auf dem Topf um und jagte davon. Nicht unbemerkt darf hier bleiben, daß Graf Sándor durch Muth und Reitergeschicklichkeit mehrere Menschenleben gerettet hat.

Auch von seinen Jagden wäre manches merkwürdige Abenteuer zu berichten. In Ungarn hetzte er den Hasen, jagte zu Pferd den Hirsch, in England ritt er mit den tollsten Fuchsjägern um die Wette und übertraf sie alle, in Tirol und Steiermark stieg er den Gemsen nach bis auf die höchsten Joche. Und stets und überall blieb ihm treu das in’s Sprüchwort übergegangene „Sándor’sche Glück“. Zwar fehlte es ihm nicht an sogenannten „Accidents“; es war sogar in Buda-Pest und Wien eine Zeitlang in der Mode oder auszeichnend, mit Graf Sándor einen „Accident“ gehabt zu haben, und nicht jeder lief für die Betheiligten glücklich ab. Er selber riß sich aber immer wieder ziemlich gut heraus. Bei den tausend Unfällen seiner wilden Reiterlaufbahn behielt er stets seine geraden Glieder, trug keine körperliche Entstellung davon. Sein linkes Bein hat er dreißig Mal aus dem Kniegelenk gefallen; dieses Schadens halber mußte er es zwanzig Jahre hindurch in eisernen Schienen tragen, die ihn jedoch nicht im mindesten hinderten, alle jene Wagnisse auszuführen, deren wir vorher gedacht haben.

Ehe noch die Schwäche des Alters es gebot, entsagte Graf Sándor seiner Leidenschaft, zog sich gänzlich vom Schauplatz der großen Welt zurück – auf welchem er, als reicher Cavalier, als hochberühmter Sportsman, zudem Schwiegersohn des seiner Zeit allmächtigen Fürsten Metternich, überall eine hervorragende Rolle gespielt hatte – um den Wissenschaften und Künsten, aber auch seinen Erinnerungen zu leben. Letztere hat er lebendig vor Augen in einer Galerie, welche kaum ihres Gleichen haben dürfte. Seit seinem achtzehnten Jahr war der Graf in enger Freundschaft mit dem Maler G. Prestel verbunden, einem geborenen Frankfurter, dessen Thierstücke ebenso seltene – da sie meist von Potentaten bestellt oder angekauft wurden – als durch Naturwahrheit und tiefes Studium ausgezeichnete Meisterwerke sind. Prestel, zugleich trefflicher Pferdekenner – er hat zum Behuf der Förderung seiner Kunst sogar Thierarzneikunde gründlich studirt – ist bei den meisten Reiterstückchen Graf Sándor’s Gefährte und Augenzeuge gewesen, hat sie skizzirt und in Oel gemalt. Dergleichen mehr oder minder ausgeführte Scizzen sind über dreihundert vorhanden, viele darunter von bleibendem Kunstwerth. Vom Jahr 1858 ab entschloß sich Prestel dazu, sie sämmtlich mittels der Photographie zu vereinigen in ein „Sándor-Album“, welches den Titel führt: „Reit-, Fahr- und Jagdereignisse aus dem Leben des Grafen Moritz Sándor. Aufgenommen, gemalt und photographisch vervielfältigt von Maler J. G. Prestel, welcher den Grafen Sándor während zwölf Jahren begleitet und mit wenigen Ausnahmen sämmtlichen Accidents beigewohnt.“

Da die anfänglich durch Andere bewirkte photographische Aufnahme der Bilder selten genügend war, so mußte der Maler sich entschließen, eine eigene photographische Anstalt blos zu diesem Zwecke in Mainz zu gründen. So ist das Sándor-Album jetzt in drei Serien bis auf einhundertfünfzig Blätter gediehen, welche nicht nur in der Composition und malerischen Darstellung, sondern besonders auch in der photographischen Wiedergabe ganz vortreffliche Leistungen zu nennen sind. Dies Album befindet sich nicht im Buchhandel, ist nicht käuflich und für jedes Blatt ist das Vervielfältigungsrecht vorbehalten. Nur zu Gunsten der Gartenlaube ist eine freundliche Ausnahme gestattet worden.

W. H–m.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_031.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)