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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Unter dem letzten Baum der Allee stand ein Ruhebett. Eine junge Dame lag darauf; sie hatte den reizenden Kopf zurückgelehnt, so daß ein Theil ihrer langen, kastanienbraunen Locken über das Polster herabfiel. Unter dem Saum des langen, weißen Mouslinkleides, das die ganze Gestalt bis an den Hals züchtig verhüllte, erschienen zwei zarte Füßchen in goldglänzenden Saffianschuhen. Die Dame hielt zwischen den feinen, fast durchsichtig mageren Fingern einige Aurikeln, welche sie gedankenlos unaufhörlich hin und her drehte. Nur auf den schmalen Lippen lag ein schwacher Anflug von Roth, sonst war das Gesicht lilienweiß, man hätte sich versucht fühlen können, seine Lebenswärme zu bezweifeln, hätten nicht die blauen Augen in einem wundersamen Ausdruck geleuchtet. Diese Augen mit diesem Ausdruck aber waren auf das Gesicht eines Mannes gerichtet, der, gegenübersitzend, ihr vorzulesen schien. Elisabeth konnte sein Gesicht nicht sehen, denn er wendete ihr den Rücken zu. Er schien jung, groß und schlank zu sein und hatte üppiges, dunkelblondes Haar.

„Ist die reizende Dame da drunten die Baronin Lessen?“ fragte Elisabeth gespannt.

Der Oberförster nahm das Perspectiv. „Nein,“ sagte er, „das ist Fräulein von Walde, die Schwester des Besitzers von Lindhof. Du nennst sie reizend, und ihr Kopf ist es auch, aber ihr Körper ist krüppelhaft – sie geht an der Krücke.“

(Fortsetzung folgt.)




Jude und Dichter.
Eine Erinnerung an Daniel Leßmann.


Vor einem ansehnlichen Hause in Berlin, welches, einem reichen Rentier gehörte, stand der junge Doctor der Medicin Daniel Leßmann und blickte zu demselben mit forschenden Blicken hinauf. Bald bemerkte er an dem Fenster der ersten Etage einen reizenden Mädchenkopf, der freundlich seinen ehrerbietigen Gruß erwiderte und sich dann erröthend wieder schnell zurückzog, worauf der Herr Doctor mit einem zufriedenen Lächeln seinen Weg fortsetzte und seine nicht eben allzu zahlreichen Patienten besuchte. Sobald er von der keineswegs lohnenden Praxis in seine Wohnung zurückgekehrt war, ergriff er die geliebte Feder und schrieb nicht sein Krankenjournal, sondern ein glühendes Lied an die Geliebte, jenen feurigen Dithyrambus, der später unter dem Titel „Venus Amathusia“ im Druck erschienen ist. Wie der Regimentschirurgus Schiller, war auch Leßmann Militärarzt gewesen und hatte in den Befreiungskriegen sich in seinem Berufe ausgezeichnet. Bei Lützen verwundet, hatte er nach seiner Genesung die Leitung eines Lazarethes übernommen. Unter den patriotischen Frauen und Mädchen, die sich in jener Zeit der Pflege der Verwundeten und Kranken widmeten, hatte er die liebenswürdige und geistvolle Marie, die Tochter eines vermögenden Berliner Hausbesitzers, kennen und, was dasselbe war, auch lieben gelernt. Sie erwiderte seine Neigung und der junge Arzt erwartete mit Ungeduld den Frieden, um sich mit der Geliebten seines Herzens zu verbinden, indem er auf seine wohlverdiente, mit seinem Blute theuer erkaufte Beförderung sicher rechnete.

Aber der Friede kam und Leßmann’s Hoffnungen gingen nicht in Erfüllung. Der junge Arzt erhielt statt der erwarteten Beförderung seinen unerwarteten Abschied, nicht weil er unfähig oder untüchtig, sondern einzig und allein weil er – ein Jude war. Wie Hunderte von seinen armen Glaubensgenossen, war auch er begeistert bei dem ersten Auflodern des Volksgeistes in den Freiheitskampf geeilt, hatte er freiwillig Blut und Leben dem Vaterlande geweiht, an der Seite seiner christlichen Brüder muthig geduldet und gestritten und jedes Opfer der großen, heiligen Sache dargebracht. Wie die Meisten seines Volkes glaubte er, mit seinem Blute das alte Vorurtheil auszulöschen und sich das Bürgerrecht mit dem Einsatz seines Lebens zu erkaufen; wie sie, hoffte er auf eine neue Zeit, wo die Schranken schwinden, die mittelalterlichen Bande zerreißen und der Geist der Liebe die finsteren Satzungen der Kirche und des Staates für immer stürzen würde. Aber wie Hunderte von seinen Glaubensgenossen sah er sich schmerzlich getäuscht und in seinen Erwartungen betrogen.

Kaum war der Kampf beendet, so erhob sich das Gespenst der Reaction und spottete der höchsten Begeisterung. Die Völker wurden, nachdem sie ihre Fürsten gerettet, zur Ruhe verwiesen oder mit leeren und eitlen Worten vertröstet, die heiligsten Versprechungen und Eide nicht beachtet, die Mahnungen des Gewissens mit frivolen Festen und militärischem Schaugepränge übertäubt. Jede Erinnerung an die glorreiche Vergangenheit galt für ein Verbrechen, und jedes Verlangen nach Freiheit wurde von den Dienern und Werkzeugen der Macht zum Hochverrath gestempelt; die muthige Jugend, welche der allgemeinen Enttäuschung und Entrüstung Worte lieh, sah sich verfolgt, geächtet und von Kerker zu Kerker geschleppt. Auch die Hoffnungen der jüdischen Bevölkerung gingen zu Schanden. Nach wie vor lastete auf ihr der alte Fluch des Vorurtheils, fand sie sich in die kaum gesprengten Fesseln von Neuem geschlagen, mußte sie wieder ihren gerechtesten Forderungen und Ansprüchen entsagen. Unter nichtigen Vorwänden wurden die jüdischen Krieger gleich nach beendigtem Feldzuge entlassen, die Officiere ohne Pension nach Hause geschickt, die Beamten ohne jede Entschädigung verabschiedet. Dazu kam noch, daß das frühere Vorurtheil mit erneuerter Kraft sich regte, als die läuternde, alle Stände und alle Religionen zu einem heiligen Bund verschmelzende Flamme der Begeisterung erloschen war.

Unter diesen Verhältnissen sah sich auch der arme Daniel Leßmann gezwungen, wenn auch nicht auf seine Liebe zu verzichten, doch seine beabsichtigte Verbindung vorläufig noch zu verschieben. Er wollte erst sich durch seine Kenntnisse und seine anerkannte Tüchtigkeit eine unabhängige Stellung erwerben und dann die Hand der Geliebten von ihrem Vater verlangen. Vier Jahre waren seitdem vergangen, aber er sah sich noch immer von seinem Ziele fern, da es in Berlin nicht an Aerzten fehlte und er nicht die Fähigkeit besaß, durch die bekannten Kunstmittel und Schleichwege so vieler seiner Collegen zur Praxis zu gelangen. Indeß gab er die Hoffnung nicht auf; er vertraute auf seine wissenschaftliche Tüchtigkeit und auf die Treue der Geliebten, die trotz aller Hindernisse nicht wankte und nicht von ihm ließ.

Aber noch eine Trösterin hatte er in jenen trüben Tagen in sich selbst gefunden – die Poesie. Die Liebe hatte den dichterischen Funken in ihm geweckt und sein ihm selbst bis jetzt unbekanntes Talent entfaltet, wie das goldene Sonnenlicht die schlummernden Knospen und Blüthen zum Leben ruft. Seine schüchternen Versuche wurden mit Beifall aufgenommen und seine bescheidene Muse erwarb ihm einflußreiche Freunde und Gönner, die ihm wohl wollten. Die Stelle eines jüdischen Hospitalarztes, um die er sich beworben hatte, wurde ihm auf die besondere Verwendung des ihm günstig gesinnten Vorstehers zuerkannt und der damit verbundene mäßige Gehalt setzte ihn jetzt in den Stand, sein Hauswesen zu begründen und um die Hand der Geliebten anzuhalten. Mit klopfendem Herzen trat er vor ihren Vater und brachte seine Werbung an. Er war auf Widerstand gefaßt, da die Eltern seiner Marie nicht frei von dem allgemeinen Vorurtheile und außerdem noch stolz auf ihren Reichthum waren. Aber er wußte, daß sie ihre einzige Tochter über Alles liebten, jeden ihrer Wünsche zu erfüllen suchten, und er rechnete daher auf die wenn auch immer zögernde und bedingte, Einwilligung des Vaters, auf die Zustimmung der ihm sonst geneigten Mutter. Seine Voraussetzungen erwiesen sich jedoch auch hier als eine bittere Täuschung; er wurde zurückgewiesen und zwar in einer Weise, die ihn doppelt verletzen, ihm für immer jede Hoffnung rauben mußte. Jude und Dichter – das war es, was man ihm zum Vorwurf, fast zum Verbrechen machte. Es war eine unverzeihliche Vermessenheit, daß ein Jude, ein armer Dichter, es wagte, seine Augen zu einer Christin, zu der Tochter eines reichen und angesehenen Rentiers, emporzuheben. Das grenzte an Wahnsinn, wenn es nicht noch etwas Schlimmeres war. Vergebens bat und flehte die treue Marie, umsonst beschwor sie ihre Eltern, gestand sie ihnen ihre heiße, unerschütterliche Liebe, erklärte sie, nie einem anderen Manne

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_038.jpg&oldid=- (Version vom 5.1.2020)