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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Der Schmuck des Meeres.
Von Carl Vogt.
I.


„Welch’ sonderbares Fahrzeug liegt denn dort?“ sagte einer meiner Freunde, mit dem wir einst in heiterer Gesellschaft über die reizende Bucht von Villafranca bei Nizza setzten, um dann in dem Schatten der hohen Oelbäume von St. Hospice den Sonntag zu verbummeln und eine Fischsuppe von selbstgeangelten Klippfischen, Langusten und Tintenfischen zu verzehren, „welch sonderbares Fahrzeug! Seht einmal das große lateinische, Hauptsegel und den kleinen Fock, die sie aufgezogen haben, obgleich sie vor Anker zu liegen scheinen, und das senkrechte Bugspriet, das wie ein Kamm hervorsteht und oben eine Weltkugel mit ein paar Heiligenfiguren darüber zu tragen scheint. Ich glaube gar, unten daran sind zwei große Augen gemalt! Wollen wir es nicht näher ansehen?“

„Es ist eine Koralline,“ antwortete der Abbé, nachdem er einen kurzen Blick darauf geworfen, „eine kleine Tartane, die zur Korallenfischerei gestern hier angekommen ist – arme Leute! Sie werden noch Zeit genug haben, sie zu sehen, denn sie bleiben ein paar Wochen hier, fischen gar nichts, verzehren das Bischen, was sie bei sich haben, und werden am Ende die Koralline versetzen oder verkaufen müssen, um Reisegeld nach Hause zu finden!“

„Sie wollen den großen Korallenbaum holen, Herr Abbé,“ sagte unser Fährmann“, „Sie wissen ja, der da unten in der tiefen Grotte am Mont Alban steckt!“

„Warum nicht gar, Gennajo,“ antwortete der Abbé „habt Ihr ihnen denn nicht gesagt, daß nichts da sei und daß noch kein Mensch eine Spur von dem verzauberten Korallenbaume gesehen hat? Stellt Euch vor, Ihr Herren, daß da unten in einer Tiefe von hundert Faden ein Korallenbaum in einer Grotte stecken soll, dick wie ein Eichbaum, der seine Aeste herausstreckt, wenn keine Gefahr droht und sie geschwind zurückzieht, wie ein Tintenfisch, wenn ein Netz in die Nähe kommt. So geht hier die Sage und man kann sie unseren Dickköpfen nicht ausreden,“ fügte er in gutem Französisch hinzu, damit ihn der Fährmann nicht verstehe, „und sie glauben ebenso fest daran, wie an die Madonna, weil sie sich eingeredet haben, das Korall[1] sei in dem Wasser weich und biegsam und werde erst vor Schreck hart, wenn es an die Oberfläche gezogen werde!“

„Wo kommen sie denn her, Gennajo?“

„Von Torre del Greco,“ antwortete dieser, „und der Patron hat sich zwei recht große Augen vorn an den Bug malen lassen, um anzuzeigen, daß er tiefer in’s Wasser sehen könne, als die Anderen. Er will nicht eher wieder fort, als bis er den Korallenbaum gefischt hat, der ihn reich machen soll.“

Der Abbé tauchte die Hand in’s Wasser und ließ die Tropfen durch die Finger laufen, als suche er kleine Meerthierchen abzusieben. „Sie wollen an Bord der Koralline, Professor,“ frug er, „Sie werden heute nicht viele Carmarine[2] finden. Ich sehe keine Courants in der Bucht!“

Die Gelegenheit durfte aber doch nicht versäumt werden. Ich suchte Bekanntschaft mit dem Patron der Tartane zu machen, einem älteren Manne mit wettergefurchtem Gesichte, der anfangs zwar mit äußerstem Mißtrauen jeder Frage auswich, später aber etwas mehr kirre wurde. Denn hier kam es ja nicht darauf an, den Ort zu verheimlichen, wo sie fischten, noch die Concurrenten zu täuschen, da keine vorhanden waren. An den Küsten von Algier, besonders in dem östlichen Theile der Regentschaft bei Bona, bei la Calle, wo mehrere hundert Korallinen aus Neapel, Toscana, Sardinien und Sicilien ihre Fischerei treiben, hängt Alles von der Geschicklichkeit des Patrons ab, sogenannte Korallenbänke, das heißt, unterseeische Felsen aufzufinden, auf welchen Korallen angesiedelt sind, und den Ort, wo er diese gefunden hat, seinen Concurrenten zu verbergen. Viele dieser Leute besitzen eine außerordentliche Geschicklichkeit, weit draußen im Meer, wo sie kaum die Küste noch erblicken können, ohne Compaß noch Fernrohr, einen beschränkten Raum wieder und immer wieder aufzufinden, wo in der Tiefe eine neue, noch nicht ausgefischte Bank liegt, welche starke Korallenstämme enthält, und die Kosten, welche von ihnen aufgewendet, die Lügen, welche aufgetischt, und das Schweigen, welches beharrlich den Fragen entgegengesetzt wird, sind nach dem Sprüchwort ebenso unergründlich, wie die Tiefe, in welche sie ihre Netze senken. Hier aber waren diese Vorsichtsmaßregeln, wie der Patron wohl einsah, vollkommen unnöthig. Jedes Kind in Villafranca kennt die Stelle an der Felswand des Mont Alban, wo der zauberische Korallenbaum in der Grotte sich befinden soll, und die Bucht selbst läßt sich so leicht übersehen, daß keine Möglichkeit der Verheimlichung ersichtlich war.

Es war eine kleine Koralline von höchstens fünf Tonnen. Größere, bis zu sechszehn Tonnen Gehalt, gehen an die afrikanische Küste, wo jetzt die schwunghafteste Fischerei getrieben wird und nach den letzten Nachrichten etwa vierhundert Fahrzeuge, meist aus Neapel, zum Betriebe ihres Gewerbes angekommen sind. Der Patron war selbst Besitzer seines Fahrzeuges; sein Junge, ein Bursche wie ein Affe gelenkig, war Schiffsjunge und drei Matrosen halfen zur Handhabung des Netzes und der Segel. So waren sie, gelockt von der Sage von dem wunderbaren Korallenbaume, aus dem Süden heraufgekommen, ohne Compaß noch Schiffsbuch, mit keinem anderen Proviant versehen, als der unvermeidlichen Galetta (weißes Biscuit) und Wasser, denn gekocht wird an Bord einer Koralline nie, und wenn ein paar Zwiebeln und einige Stockfische in einem besonderen, nur dem Patron zustehenden Verschlusse sich finden, so gilt dieser für einen Lebemann und Feinschmecker!

Harte und schwere Arbeit haben diese Fischer, ärgere, als die eines Galeerensclaven! Hinten an dem Schiffe hängt das Netz, an einem dicken Tau befestigt, welches über eine Winde läuft, die von den Matrosen gehandhabt wird. Der Patron sitzt am Steuer, die eine Hand hält das Tau, welches an seinem Schenkel herabläuft, häufig auch, wo es genauer Fühlung bedarf, auf das Bein selbst genommen wird, das eine Lederschürze gegen die Reibung schützt.

Das Netz selbst ist ein seltsames Ding. Ein Holzkreuz aus zwei dicken, je nach der Größe des Schiffes sechs, zwölf und mehr Fuß langen Stäben zusammengesetzt, an denen erst die eigentlichen Netze hängen. In der Mitte, wo die Stäbe sich kreuzen, ist in einem kleinen Beutel ein gewaltiger Stein, eine Kanonenkugel, ein Bleistück angebracht; jetzt wird dieses Gewicht meistens durch ein Eisenkreuz ersetzt, dessen gleichlange Arme aber hohl sind und die Holzstäbe aufnehmen können, so daß zugleich ihre Festigkeit vermehrt wird. Die Flatternetze, welche eigentlich den Fang besorgen und an dem Stabkreuze aufgehängt sind, bestehen theils aus großmaschigen Stücken, aus fingerdicken Fäden zusammengesetzt, theils aus alten Sardellennetzen, die zum gewöhnlichen Fischfang nicht mehr brauchbar sind; sie hängen oft zwanzig und mehr Fuß lang herab, und je verwickelter sie sind, je leichter sie sich im Wasser in eine Menge von Flocken und Netzstücken auflösen, desto besser entsprechen sie ihrem Zwecke. An den größeren Netzen werden zwischen den Armen des Holzkreuzes noch Taue gespannt, an welchen ebenfalls solche Flatternetze hängen, und in der Mitte, unter dem Steine oder dem Eisenkreuze, sind die längsten Flatternetze angebracht, welche von den Fischern scherzweise „der Fegfeuer-Schwanz“ genannt werden. So sieht denn die ganze Maschine einem gewaltigen Wallkopfe ähnlich, wie ihn die Matrosen zum Waschen des Deckes brauchen. Die Flatternetze zerreißen ziemlich leicht – haben sie nichts Anderes zu thun, so sind die Matrosen beständig beschäftigt, aus einem großen Vorrath von Hanf, alten Seilen und Netzen neue anzufertigen, wobei sie eine melancholische Barcarole singen oder Galetta kauen – fast glaube ich, sie kauen selbst im Schlafe. Unser Patron hatte noch ein anderes Instrument, eine Art einarmigen Löffels, aus einem langen Arme bestehend, der am Ende einen breiten Eisenring mit seitlichen Löchern trug, unter welchem Flatternetze aufgehängt waren; am anderen kürzeren Ende war eine Kanonenkugel befestigt, die den langen Arm wagerecht hielt. Damit wollte er in die Grotte dringen und den Korallenbaum von der Wurzel losreißen. Aber das Ding machte ihm viel Schwierigkeiten, denn die Strömungen drehten es trotz

  1. Die Koralle? Das Korall? Wer’s weiß, wird’s wissen! Aber alle Mittelmeer-Völker, von denen doch die Kenntniß der Substanz und der Name kommt, sagen das Korall.
  2. Der Nizzaer Ausdruck für Quallen und ähnliche schwimmende, durchsichtige Seethiere.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_040.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)