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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

französische Revolution an ein farbensattes, vorherrschend blutrothes Gemälde erinnert. Jene hartgesottenen, Psalmen singenden und Bibelsprüche hersagenden und wieder wie das Donnerwetter dreinschlagenden Krieger Cromwell’s mit ihren Kanonenstiefeln, Büffelkollern, Korbdegen und Knebelbärten, wie stechen sie ab von den ebenso todverachtenden, aber die Marseillaise und das Ça ira kreischenden, rasirten Sansculotten mit unaussprechlicher Costumirung! Ueber ein Jahrzehnt herrschte in England dies republikanische Muckerthum, mit den unaussprechlichen ellenlangen Namen seiner Bekenner. Doch zählen die englischen Republikaner auch eine Reihe der edelsten und ehrenwerthesten Charaktere zu den Ihrigen – so den unsterblichen Milton, den nordischen Dante – die sich vom pietistischen Schwindel fern hielten. Zu ihnen gehörte auch der Generallieutenant Edmund Ludlow, ferner Say, Lisle, Broughton u. A. Alle hatten im Gerichte über Carl den Ersten gesessen, Say als Vicepräsident, Broughton als Secretär, der dem gestürzten Könige das Todesurtheil vorlesen mußte.

Als der Verräther Monk sein Vaterland wieder den wortbrüchigen Stuarts und namentlich dem sitten- und charakterlosen Carl dem Zweiten überlieferte, flohen die überzeugungstreuen Männer, während die Masse, die das Muckerspectakel mitgemacht, dem gekrönten Wüstlinge zujubelte, theilweise nach dem Auslande; die, welche dies nicht thun konnten oder wollten, verfielen dem Henkerbeile. Ludlow gelangte mit einigen Genossen 1660 nach Genf. Die größte Besorgniß um ihr Schicksal erfüllte sie, als sie vernehmen mußten, daß einige ihrer Schicksalsgenossen von der Republik (!) Holland aus Handelsrücksichten an das englische Königthum ausgeliefert worden seien. Die Nachbarschaft des ihren Grundsätzen feindlichen und den Stuarts ergebenen Frankreichs verstärkte ihre Besorgniß. Genf war damals von einem engherzig calvinistischen Krämergeiste beherrscht und theilte seine Bevölkerung auf indisch-ägyptische Weise in mehr und weniger berechtigte Kasten. Der Syndik (Bürgermeister) versprach zwar den englischen Flüchtlingen, wenn etwa Reclamationen in Bezug auf sie einlaufen sollten, sie sogleich davon zu benachrichtigen und, wenn es etwa gerade Nacht wäre, sie durch das Wasserthor (das auf den See führende) hinaus zu lassen. Von einem Schutze der Verfolgten aber war keine Rede. Ein Schutzgesuch, das wider ihren Willen von ihren Genfer Freunden dem Rathe eingegeben wurde, scheiterte an dem Widerstande eines hochgestellten Bankiers, dem die Krone Englands bedeutende Summen schuldete. Die Flüchtlinge, denen der Syndik nun auch jene erste Zusage länger zu halten sich weigerte, fuhren jetzt auf dem schönen Leman nach dem Gebiete des Cantons Bern. Dieser umfaßte zwar von seinem jetzigen Gebiete blos den südlich von der Jurakette liegenden Theil, dafür aber die westliche Hälfte des jetzigen Cantons Aargau, welche die Berner im fünfzehnten Jahrhundert Oesterreich, und den ganzen jetzigen Canton Waadt, den sie im sechszehnten Savoyen abgenommen hatten. Dieses gesammte Gebiet gehorchte einer Anzahl „regimentsfähiger“ Geschlechter der Stadt Bern. Ursprünglich war diese demokratisch organisirt, aber die Räthe hatten nach und nach dem Volke die Besetzung ihrer Stellen abgeschwindelt und mit der Zeit dieselben sogar in ihren Familien erblich und lebenslänglich zu machen gewußt. Solcher „regimentsfähigen“ Familien gab es dreihundertundsechszig; in der That befanden sich jedoch damals blos achtzig im Besitze der Rathstellen, die durch Todesfälle auf zweihundert herabschmelzen, aber nicht mehr als zweihundertneunundneunzig betragen durften und ganz ungescheut von Vätern an Söhne und Schwiegersöhne, von Brüdern an Brüder vergeben wurden. Trotz dieser herrschenden Corruption thaten die Berner Patricier so viel für das materielle Wohl des Volkes und für Kunst und Wissenschaft, daß sich daran manche Demokratieen oder constitutionelle Monarchieen ein Beispiel nehmen könnten. Auch bezüglich des Schutzes, den Flüchtige suchten, sind jene Patricier mit Recht in neuerer Zeit manchen im Jahre 1849 gegen fremde Mächte allzu geschmeidigen Staatsmännern als Muster entgegengestellt worden.

Unsere englischen Flüchtlinge, deren sich namentlich der Berner Prediger, Dekan Heinrich Hummel, welcher in Oxford und Cambridge studirt hatte und daher die Sprache seiner Schützlinge vollkommen verstand, und der „Seckelmeister“ (Finanzminister) Steiger energisch annahmen, ließen sich nun theilweise in Vevey, theilweise in Lausanne, den berühmten Glanzpunkten des unvergleichlichen Sees, nieder. Die Stadtbehörden und das Volk wetteiferten, ihnen mit Wohlwollen, ja mit Begeisterung entgegen zu kommen.

Nach altschweizerischer Sitte wurde ihnen der beim Empfange eidgenössischer Gesandtschaften übliche „Ehrenwein“ gereicht, und die Beamten versicherten sie, „daß die Leiden, welche sie für die Freiheit ihres Vaterlandes erduldet haben, der Hauptbeweggrund der ihnen bewiesenen Dienstbeflissenheit seien.“ In den Kirchen wurden ihnen besondere Ehrenplätze angewiesen. In diesem freundlichen Asyle überraschte sie der Besuch eines der berühmtesten und ehrenwerthesten ihrer Gesinnungsgenossen, der für seine Liebe zur Freiheit später im Vaterlande seinen Kopf dem Henkerbeile darbieten mußte. Es war der gefeierte Algernon Sidney, der aus Italien, wo er seit der Restauration der Stuarts Zuflucht gesucht, durch die Schweiz reiste, um nach Flandern zu gelangen und in der Nähe Englands zu gewärtigen, ob er seinem Vaterlande von Nutzen sein könne. In Bern stattete er persönlich der Regierung seinen wärmsten Dank für den seinen Landsleuten gewährten Schutz ab und forderte diese auf, dasselbe ebenfalls zu thun. Ludlow begab sich deshalb mit zweien seiner Genossen nach Bern und drückte der Regierung, da er weder Französisch noch Deutsch geläufig sprechen konnte, in einem französisch abgefaßten Briefe seinen Dank aus. Mit dem guten Prediger Hummel konnten die Verbannten dagegen in ihrer geliebten Muttersprache verkehren. Der Schultheiß, das Haupt Berns, an Rang und Macht damals wohl nur dem Dogen von Venedig vergleichbar, empfing die Fremdlinge freundlich und die Regierung gab ihnen ein Ehrengastmahl, bei welchem sie selbst sich durch drei ihrer Mitglieder vertreten ließ. Die Engländer mußten diesen Würdenträgern die Geschichte des Sturzes ihrer Partei erzählen, die mit großem Interesse angehört wurde, und an ihrer Seite öffentlich die Kirche besuchen, wobei der „Großwaibel“ (eine Art Herold der Republik) mit dem Amtsstabe voranschritt.

In Vevey am Genfersee wieder angekommen, erfuhren die Flüchtlinge, daß ein Irländer, Namens Riardo, angeblich im Gefolge der Herzogin von Orleans, in Turin angelangt sei, um einen Anschlag gegen ihr Leben auszuführen. Zugleich gab sich die französische Regierung dazu her, von Bern die Auslieferung der englischen Republikaner zu verlangen. Briefe aus Turin, Genf und Lyon setzten diese wiederholt von „Mordanschlägen kecker Banditen“ in Kenntniß. Nun wurde Riardo auch im Waadtlande gesehen. Als der Hauswirth Ludlow’s und seiner Gefährten am 15. November 1663 früh in die Kirche ging (es war Sonntag), bemerkte er am Seeufer ein Boot mit vier Schiffern, das, die Ruder gerüstet, wie zur Abreise bereit war. In der Nähe standen und saßen sechs Männer in Mänteln. Er erzählte dies sofort seinen Gästen und hatte inzwischen auf dem Wege auch erfahren, daß zwei Menschen von verdächtigem Aussehen sich in der Nähe seines Hauses aufgestellt und vier andere scheu herumblickend den Marktplatz durchstreift hätten. Ludlow besichtigte ohne Furcht das Schiff selbst, dessen Boden er dicht mit Stroh bedeckt fand, unter welchem sein Wirth Waffen versteckt witterte. Zugleich erfuhr man, daß an allen anderen Kähnen des Städtchens die Weidenschlingen zum Festhalten der Ruder durchschnitten seien. Ehe man jedoch eine Maßregel ergreifen konnte, waren die Banditen in dem verdächtigen Boote nach dem savoyischen Ufer hinüber gefahren. In der Folge erfuhr man, daß Riardo diese Bande angeführt, Nachts nach Vevey gebracht, in verschiedenen Wirthshäuser logirt und für sie Alle bezahlt habe. Die Behörden der Stadt waren im höchsten Grade entrüstet über dieses Attentat und boten den Engländern Nachen und alle möglichen Sicherheitsmaßregeln an. Die Wirthe mußten täglich alle die bei ihnen ankommenden Fremden genau angeben und den Privatleuten wurde die Beherbergung jedes Menschen, für den sie nicht gut stehen konnten, untersagt. Auch die Regierung von Bern befahl den Landvögten des Leman-Ufers, die Engländer auf jede Weise zu schützen und alle aus Savoyen kommenden Schiffe untersuchen zu lassen.

Bald gelangten neue Warnungen an Ludlow und die Mittheilung, daß die Meuchelmörder sich öffentlich äußerten, ihr Werk der Schande abermals zu versuchen, und daß es hauptsächlich auf ihn abgesehen sei. Er verschmähte indeß den ihm ertheilten Rath, ein anderes Asyl zu suchen, und vertraute unbedingt den Behörden von Vevey, die seine Wohnung sogar befestigen ließen und im Nothfalle Sturm zu läuten versprachen. Aus England erhielt er Briefe mit der Meldung: „Riardo sei an den Hof gekommen, um über das Mißlingen seines Unternehmens zu berichten; der König habe ihn nicht nur sehr gut empfangen, sondern ihm auch den Auftrag

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_043.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)