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gesehen, ehe er einen Tanz von ihr erhielt, und dann auch vielleicht nur, weil er in der zwanglosen Tracht eines Bewohners des Quartier Latin vor ihr erschien. Er stellte sich ihr auch als Studenten der Medicin vor und war glückselig von ihr einige Worte zu erhaschen, er, der von allen Damen daheim Verwöhnte, den eine Schwester und ein Dutzend Cousinen anbeteten und dem die hübschen Pariserinnen im Salon seines alten Onkels sehr deutlich zu verstehen gaben, daß sie seine blauen Augen und dunkelblonden Haare so wie seine schöne Gestalt durchaus comme il faut fanden. Ehe er nach Paris ging, um dort auf ein Jahr lang als Volontair in dem Bankgeschäft seines Oheims zu arbeiten und Französisch zu lernen, hegten fünf Cousinen in seiner kleinen rheinischen Vaterstadt und drei Freundinnen seiner älteren unverheiratheten Schwester die feste Hoffnung, ihn als Bräutigam empfangen zu dürfen bei seiner Rückkehr. In den Pariser Kreisen, in denen ihn sein Oheim einführte, begegnete man ihm mit Auszeichnung, man fand sein mangelhaftes Französisch allerliebst, seine geselligen Formen waren sicher und nichts verrieth jene heimlich gefürchtete deutsche Schwerfälligkeit und Gelehrsamkeit in der Conversation. Er verstand das berühmte „causer“ nicht nur das deutsche „Reden“, saß gut zu Pferde, tanzte Walzer zum Entzücken, Grund genug ihn zu dem enfant gâté einer Saison zu erheben.

Dieser Eugen Ellernburg aber hatte nur für eine einzige Frauengestalt Augen und Gedanken in dem frauenreichen Paris, für die kleine Jeanneton des Café Eldorado, der er nicht einmal gestehen durfte, daß er ein gefeierter Lion und reicher Mann. Und der Oheim hatte ihm doch gleich am ersten Tage gesagt: „Willst Du Dich zum Zeitvertreib verlieben, denn auch Paris ist zuweilen langweilig, so rathe ich Dir, das sofort hier zu thun, Du kannst Dich an keinem Orte der Welt besser amusiren und zerstreuen als hier und wirst gewiß eine vernünftige Auswahl treffen. Hast Du aber Lust – wie Ihr Deutschen sie alle habt – Dich zu verheirathen, so geh’ nach Hause. Zu Ehefrauen taugen die Mädchen Deiner Heimath am besten. Bei ihnen hören alle Prätensionen nach der Hochzeit mit einem Schlage auf und sie denken an das, an was sie denken sollen, an ihren Mann, ihren Haushalt und ihre Kinder. Die Französinnen aber wollen erst anfangen zu leben. Sei also vernünftig, lieber Junge, und reise ab, wenn Du im Begriff stehst, einen dummen Streich zu machen.“

Er reiste auch ab, nur ein wenig zu spät, Eugen Ellernburg, und nicht allein, sondern in Begleitung seiner ihm in der Kirche von St. Roche rechtmäßig angetrauten kleinen Frau. Die ehemalige Modistin der Madame Bernard und Sängerin des Café Eldorado wurde die Gemahlin eines deutschen reichen Bankiers. Es war eine romantische Geschichte und halb Paris redete damals davon. Die Kleine hatte sich wirklich ohne alle Ahnung seines Reichthums mit dem vermeintlichen Studenten der Medicin verlobt. Sie wußte, daß er weit im fernen Deutschland zu Hause war, daß er daheim nur eine einzige Schwester hatte, sie versprach auch später als sein Weib ihm in die Heimath zu folgen, nur einstweilen wollte sie nichts von derartigen Fesseln und Banden hören und der Gedanke, Paris zu verlassen, war ihr entsetzlich. Paris war der Boden, aus dem sie Leben sog, es gab für sie nur Einen Himmel, den, der über Paris sich wölbte, für sie nur eine wirkliche neidenswerthe Existenz, die einer Blumenmacherin und Sängerin. All’ seinen stürmischen Bitten einer ewigen Vereinigung widerstand sie, bis er eines Tages in Verzweiflung, in ihrem kleinen Arbeitszimmer neben dem Magazin der Madame Bernard, sich ihr zu Füßen warf und nach Deutschland zurückzukehren drohte, wenn sie nicht in eine Trauung willige. Er redete von der Unmöglichkeit, ferner ohne sie Stunden und Tage zu verleben, und die Sprache der echten Leidenschaft war für die kleine Jeanneton so neu und ergreifend, daß sie ihr nicht zu widerstehen vermochte. Sie war entzückt, sich in einer Situation zu finden, ähnlich der jener vielbewunderten Heldinnen der Porte St. Martin oder der Variétés. Ohne langes Bedenken warf sie sich in seine Arme, strich sein lockiges Haar aus der schönen Stirn, versicherte ihm, daß sie ihn liebe und daß sie ihm arbeiten helfen wolle, so lange noch ein Athemzug in ihr, damit man in Paris weiter leben könne. Sie schlug ihm vor, ihre kleine Wohnung durch die Miethe eines daranstoßenden Zimmers zu vergrößern, und bat ihn, ihr allein die Einrichtung zu überlassen.

Man setzte den Hochzeitstag für die nächste Woche fest, und erst am Tage vor der Trauung betrat Eugen Ellernburg die einfachen Räume Jeanneton’s in der Rue du Faubourg Poissonnière im vierten Stock. Mit einer tiefen Rührung blickte er sich in der engen Behausung um. Es war ein Nestchen für zwei Turteltauben, mit blendend weißen Mousselinevorhängen, einem Spiegel, einem Tisch und einem kleinen Divan, einem Schrank und einer Commode. Ein Alkoven als Schlafzimmer enthielt als Prachtstück einen Toilettentisch, den Jeanneton mittelst einiger Ellen rosenrothen Kattuns äußerst reizend hergestellt hatte. Ueberall waren Bouquets von Blumen befestigt, von Jeanneton’s Händen gemacht, die dem Ganzen einen unbeschreiblich poetischen Anstrich gaben. Am Fenster hing ihr Vogel, den sie, trotz ihrer Brautzeit, noch nie zu füttern vergessen.

Wie bald sollte sich das Alles verwandeln, gleich den Decorationen in einem Zauberstück! Eugen malte sich unablässig die freudige Ueberraschung der Geliebten aus beim Anblick seines prachtvollen Brautgeschenkes, bei der Entdeckung, daß sie eine reiche Frau sei. Am Tage nach der Hochzeit wollte er sie in den Reisewagen tragen und seinen Schatz in die stille Heimath entführen. Mit welchem Entzücken kaufte er die verschiedensten kostbaren Toiletten- und Schmuck-Gegenstände ein, mit welcher List verschaffte er sich das Maß der reizenden Taille, wie kühn wurde der Raub eines ihrer kleinen Schuhe ausgeführt, um nach diesen Mustern wahre Meisterwerke von Geschmack und Grazie anfertigen zu lassen. Der Liebende vergaß nichts, von den zierlich gestickten Lingerien an bis zu dem eleganten Handschuhknöpfer von Silber mit dem Wappen der Ellernburgs; es war die Ausstattung einer reichen und geliebten Frau. Wie im Fieber war Eugen, bis Alles in Cartons und Koffer kunstvoll verpackt vor seinen Augen stand. Und dann war’s wirklich wie in einem Märchen. Am Trauungstage bezog das glückliche Paar die kleine Wohnung Jeanneton’s, und am nächsten Morgen entfalteten Eugen’s Hände vor den Augen seiner jungen Frau alle jene köstlichen Toilettengegenstände, die seine Liebe zusammengetragen. Er versenkte sich in den lieblich staunenden Ausdruck ihres Gesichts. Aber jener stürmische Ausdruck der Freude, den er heimlich ersehnt – er kam nicht; Jeanneton blieb überraschend ruhig bei dieser Wendung ihres Geschicks, ja, es füllten sogar Thränen die dunkeln glänzenden Augen, die sie endlich auf ihren Gatten richtete.

„Du weinst?“ fragte er erschreckt. „Was fehlt Dir, Geliebte?“

„Ich darf nun nicht mehr arbeiten und nicht mehr singen,“ flüsterte sie, „ich werde nichts mehr zu thun haben.“

„Nichts, als mich zu lieben,“ unterbrach er sie leidenschaftlich.

„Das konnte ich viel besser, wenn ich Dir arbeiten half.“

„Du wirst statt dessen eine deutsche Hausfrau, kleine, süße Jeanneton, und wirst mir daheim Deine Lieder singen, und meine Schwester soll Dich lehren, was die Frauen bei uns für den Mann arbeiten nennen! Heut Abend reisen wir, und in drei Tagen sind wir in meiner Heimath.“


Monate waren vergangen seit jenem Tag in der Rue du Faubourg Poissonnière. Eugen Ellernburg wohnte mit seiner Frau in der kleinen rheinischen Stadt im ehemaligen Hause seiner Eltern. Es stand in einer engen Straße und war ein großes, düsteres Gebäude mit spitzen Fenstern und gothischem Portal, langen Corridors, in denen sich Jeanneton immer fürchtete, und ernsten Zimmern mit hochgewölbten Decken. Ueberall war das Ellernburg’sche Wappen angebracht, ein melancholisch aussehender Baum, an dem ein Schild lehnte. Auch starrten steife Bilder längst vermoderter Vorfahren fragend und mürrisch auf die junge Frau hernieder, die wie ein gefangener Vogel in dem weiten Bauer umherflatterte. Ein Garten, voll Taxuswände und Buchengänge, zog sich hinter dem Hause her; Jeanneton behauptete, dort schiene niemals die Sonne und im Mondlicht huschten Gespenster im Schatten allda auf und nieder. Aber alles dies hätte die kleine Pariserin eher ertragen, als die beständige Gegenwart eines Gespenstes von Fleisch und Blut, der Schwester ihres Gatten, Isidore Ellernburg.

Sie war es, das große, überschlanke Mädchen mit den grauen Augen und den schlichten blonden Haaren und dem ewigen schwarzseidenen Kleide, welche ihrem viel jüngeren Bruder die früh verstorbene Mutter zu ersetzen versucht und ihn erzogen hatte. Isidore liebte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_057.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)