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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Antonie lachte, ein wenig gezwungen, laut auf.

„Nein,“ fuhr der Rittmeister unbeirrt dadurch fort, „Sie sind es nicht. Dieses zuversichtliche Versprechen, den starren, an Befehlen gewöhnten Sinn des Grafen Wilhelm durch wenig Worte umwandeln zu wollen, beweist es mir auf’s Neue. Glauben Sie, ich hätte das nicht längst erkannt? Sie haben nichts vom Wesen einer Schauspielerin …“

„Nicht alle ihre Launen, Koketterien und was man uns sonst noch schuld giebt?“

„Nein, nichts als das Wesen der schönen, verwöhnten Frau. Sie haben nicht die Toilette einer Schauspielerin, nicht den Geschmack – Sie suchen die Einsamkeit, Sie entziehen sich den Menschen, den Huldigungen der Männerwelt, der Bewunderung des Publicums, das Eilsen erfüllt …“

„Nichts als Schauspielerkunst, nichts als eine raffinirte Art, Netze zu spannen,“ lachte Antonie fröhlich auf, „der Graf selbst hat es Ihnen ja noch heute gesagt …“

„Lassen wir den Grafen und bleiben beim Thema; ich weiß, ich fühle es, Antonie, daß um Sie die Atmosphäre reinster und bezauberndster Weiblichkeit liegt …“

„Aber, mein Gott, weshalb sollte ich denn das ‚landgräflich hessische Hofschauspielerin‘ in meinen Paß haben setzen, weshalb mich dafür halten lassen? – ist es ein so beneidenswerthes Loos, von der Welt als Schauspielerin über die Achsel angesehen zu werden, daß man versucht sein könnte, die Schauspielerin zu spielen, wenn man’s nicht ist?“

„Ihren Paß, Fräulein Antonie Sponheim, habe ich nicht gesehen,“ antwortete mit einer gewissen Ironie der Rittmeister … „und das ‚Weshalb‘ ist es eben, was Sie mir anvertrauen sollten! So lange Sie es nicht thun, muß ich glauben, das Weshalb läge in Ihrem Wunsche nach Freiheit, Unabhängigkeit, in dem Wunsche, der Aufmerksamkeit der Welt zu entgehen und ihrer lästigen Neugier! Bei einer Künstlerin, einer Schauspielerin findet man nichts Auffallendes, wenn sie allein steht, allein reist, allein einen Badeort besucht und keine Gesellschaft, keine Anlehnung an irgend Jemand sucht. Eine andere junge Dame, die dasselbe thäte, wäre der ganzen Spürsucht, der ganzen Klatschleidenschaft des Badepublicums ausgesetzt, man würde nicht ruhen, bis man sie in den großen Kreis, in das ermüdende Tretrad der täglichen Vergnügungen gepreßt! Eine Schauspielerin aber läßt man ihre Wege gehen –“

„Richtig,“ fiel Antonie spöttisch ein, „denn man compromittirt sich ja durch ihre Gesellschaft.“

„Also Sie räumen ein, Antonie …“

„Ich räume nichts ein. Nein, nein, nichts. Aber Ihre Worte beunruhigen und betrüben mich, Fauriel. Sie lieben mich also in der Voraussetzung, daß ich nicht bin, was ich scheine, würden mich, wenn ich wirklich eine Schauspielerin wäre, nicht lieben …“

„O mein Gott, Antonie,“ rief der Rittmeister aufspringend, eifrig, das Gesicht hell geröthet, aus, „welches Wort! Sie wissen, daß meine ganze Seele, mein Leben, der letzte meiner Gedanken Ihnen gehört, daß ich Sie liebe mit einem Wahnsinn …“

„Genug, genug, mein wahnsinniger Freund, ich sehe, da kommt mein Mädchen, hören Sie nur noch dies,“ sie legte lächelnd die Hand auf seinen Arm und mit schelmischem Blick in sein Auge schauend sagte sie: „Sie sollen den Beweis haben, daß ich eine Schauspielerin bin, eine große Schauspielerin, und Ihr Graf soll erfahren, was es heißt, eine Künstlerin zu beleidigen, er soll es bald erfahren, und nun gehen Sie, gehen Sie!“

Sie nahm ihren Hut, ihren Strauß, ihren Fächer und ihre Tasche auf und ging hastig einem jungen Mädchen entgegen, das von der Heerstraße, die rechts an der Berghöhe entlang lief, zu ihr in das Thal niederstieg.

Der Rittmeister wagte nicht, ihrem Befehle zu trotzen; er sah sie hinaufwanden und zwischen den Bäumen verschwinden. Nachdem er noch lange so gestanden, erst ihr nachschauend und dann in Gedanken verloren, wandte auch er sich und stieg linkshin empor, wo die Pfade der das Thal ausfüllenden Anlage oben an der Rückseite des Schlosses zusammenliefen.

Als die junge Dame mit ihrem Mädchen sich dem vorderen Eingang in das kleine Burgschloß genähert – denn nach der Vorderfronte des Schlosses hat sich Antonie gewendet – war ihr ein Lakai entgegengetreten, der bereits seit einer Stunde sich müßig schlendernd hier umgetrieben hatte.

Er machte eine höchst respectvolle Verbeugung vor der Dame und sagte, seinen Hut in der Hand: „Ich habe die Demoiselle erwartet, um sie gleich in ihre Wohnung zu führen; dem Herrn Grafen soll ich sofort Ihre Ankunft melden, haben Sie die Güte, mir zu folgen; ich denke, es wird uns Niemand sehen.“

„Ist der Herr aus der Stadt, welcher zur morgigen Jagd eingeladen, bereits angekommen?“ fragte die Dame.

„Noch nicht. Der Herr Hofprediger wird wohl bald eintreffen.“

Die Fremde und ihr Mädchen folgten dem Diener, der sie in das Gebäude und dort eine breite Treppe hinaufführte; oben schritt er mit ihnen durch einen Corridor, dann führte er sie eine zweite, aber kürzere Treppe hinauf und über einen kleineren Corridor in ein Entresolzimmer, dessen Fenster auf den Hof hinausgingen.

„Dies ist das Zimmer für die Demoiselle,“ sagte er dabei und fügte, indem er auf eine dem Eingange gegenüberliegende Thür zuschritt und diese öffnete, hinzu: „Hier ist das Schlafzimmer für die Demoiselle sowohl, wie für die Jungfer. Wenn die Demoiselle jetzt nichts weiter zu befehlen hätten, so will ich gehen und Sie Sr. Erlaucht melden.“

„Hat denn die Meldung solche Eile?“ sagte die Dame, indem sie, auf der Schwelle des Schlafzimmers stehend, einen prüfenden Blick in dasselbe warf. „Laß Er uns doch erst ein wenig zu Athem kommen und uns ausruhen. Bring Er mir ein Glas frisches Wasser sogleich, und Seinen Grafen in einer halben Stunde, nicht eher!“

Der Lakai warf einen Blick des Erstaunens über solch’ respectwidrige Sprache auf das übermüthige junge Mädchen, doch wagte er keine Bemerkung zu machen und ging.

„Wo ist der Handkoffer?“ fragte, als er verschwunden war, Antonie ihre Begleiterin.

„Hier steht er, hinter dem Waschtisch! Soll ich ihn öffnen?“

„Ja. Nimm das helle Kleid heraus, ich will es anziehen.“

Antonie war mit ihrer Toilette bald fertig, während ihr Mädchen unaufhörlich von dem Grafen plauderte, wie er wohl aussehen und ob er auch sie anreden würde, der berühmte Kriegsheld, dessen schöne Garde so merkwürdige Reiterstücklein ausgeführt im siebenjährigen Kriege, und trat dann in das vordere Zimmer, wo sie sich niedersetzte, um die Erlaucht zu erwarten. Unterdeß senkte sich draußen der Abend nieder; in dem Entresolzimmer zog die Dämmerung ein.

Nach einer Weile klopfte er. Dann steckte der Lakai den Kopf durch die Thür und meldete flüsternd: „Der gnädige Herr!“

Gleich darauf warf er weit die Thür auf und der Graf trat über die Schwelle.

Es war eine schlanke, geschmeidige Gestalt, deren stolze Haltung sie höher erscheinen ließ, als sie war. Die Züge zeigten, trotzdem, daß der Graf keineswegs mehr jung war, das bleibende Gepräge männlicher Schönheit, gehoben durch den Glanz eines feurig leuchtenden, blauen Auges; es war eine gewinnende Erscheinung, die auffallen mußte, auch wenn sie nicht den Nimbus ihrer erlauchten Geburt und ihres Ruhmes gehabt hätte.

Antonie trat ihm ein paar Schritte entgegen, doch blieb sie dabei in dem von stärkerer Dämmerung erfüllten Hintergrunde des Entresolzimmers.

„Seien Sie mir willkommen, meine gute Demoiselle,“ sagte der Graf, ihr die Hand reichend, im freundlichsten Tone. „Es freut mich, Sie zu sehen; Sie haben alle meine Sympathie, nicht allein durch das, was meine hochverehrte Freundin, Prinzessin Sidonie, mir über Sie schreibt, sondern auch durch den Muth, mit dem Sie hierher kamen, um die geniale, prächtige Idee unserer liebenswürdigen Prinzessin auszuführen … ich habe gern, wenn Frauen sich nicht damit begnügen, ihr Schicksal wie eine passive Blume hinzunehmen, die Regen und Sonnenschein gleich still über sich ergehen läßt; wir Menschen sind keine Blumen und man muß schon selber die Hände rühren …“

„Und doch, Erlaucht,“ versetzte Antonie mit einer überaus schüchternen Stimme und in gebeugter Haltung, „finden Sie mich in einer erklärlichen Zaghaftigkeit und in der ängstlichsten Aufregung. Auf Prinzessin Sidoniens Rath habe ich zugesagt und bin gekommen … und nun ich hier bin, ist mir zu Muthe wie Jemandem, der eine große Sünde begehen will … mein Gott, wenn der ganze Anschlag nur dahin führte, daß mir mein Bräutigam

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_067.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)