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zu übernehmen. Um jedoch seiner Kunst ganz frei zu leben, verzichtete er auf diese ihm in Aussicht gestellte Directorialgewalt und nahm ein Engagement am Stadttheater zu Hamburg an, wo er der würdige Nachfolger eines Eckhof und Schröder wurde.

Im Jahre 1846 wurde Grunert mit lebenslänglicher Anstellung nach Stuttgart berufen, wo er sich schnell die Gunst des Hofes und des Publicums im reichsten Maße zu erringen wußte. Von dem damaligen Hoftheater-Intendanten Dingelstedt in München eingeladen, an den dortigen Mustervorstellungen mit Anschütz, Devrient, Laroche und Döring Theil zu nehmen, wurde ihm von dem Könige von Würtemberg die Erlaubniß dazu versagt, wahrscheinlich aus Groll gegen Dingelstedt, der eben erst vor Kurzem den Dienst desselben verlassen hatte. Grunert war entschlossen, den Zorn seines Königs zu wagen, doch unterblieb sein Auftreten aus „höheren Rücksichten“ und er selbst mußte sich mit den Auszeichnungen begnügen, die ihm in München als bloßem Zuschauer gezollt wurden. Auch von dem Gastspiele der deutschen Künstler in London wurde er durch den damals erfolgten Tod seiner Frau zurückgehalten.

Für diese Verluste fand er jedoch hinlängliche Entschädigung durch die Anerkennung der akademischen Jugend in Tübingen, die ihm einen Fackelzug brachte und das feierliche Comitat zu Pferde mit wallenden Fahnen gab, während er im Wagen an der Seite des berühmten Aesthetikers Professor Vischer saß. Zugleich wurde eine Sturmpetition bei der philosophischen Facultät der Universität angeregt, um für ihn den „doctor honoris causa“ zu erlangen. Dieser Antrag der jugendlichen Enthusiasten wurde jedoch von dem Senat abgelehnt, da das Statut die akademische Würde nur für wissenschaftliche, aber nicht für künstlerische Verdienste gestattet. Auf Andringen seiner Freunde schrieb darauf Grunert eine philosophisch-ästhetische Abhandlung, ein lateinisches „curriculum vitae“ (Lebenslauf) und wurde darauf feierlichst zum „Doctor“ und „Magister der freien Künste „cum laude“ (mit Auszeichnung) creirt.

Im Jahre 1801 wollte Grunert, nachdem er verschiedene Anträge großer Hofbühnen zurückgewiesen hatte, lediglich aus Liebe zur Kunst die Direction des Theaters in seiner Vaterstadt Leipzig übernehmen. Das Publicum hegte enthusiastische Erwartungen für die Regeneration der Bühne unter seiner Leitung, er selbst glaubte in dieser Weise den geeignetsten Abschluß seiner Künstlerlaufbahn zu finden und somit der Literatur und dem deutschen Leben wahrhaft zu nützen. Aber die Verhandlungen zerschlugen sich, da „der Rath“ das Theater nur für drei Jahre unbedingt vergeben wollte, während Grunert mindestens eine zehnjährige Frist fordern zu müssen glaubte. Unter diesen Umständen blieb er in Stuttgart um so eher, da der König die Entlassung blos unter der Bedingung ertheilen wollte, wenn Grunert auf die Pension für sein achtzehnjähriges Wirken verzichtet hätte.

Als Künstler nimmt Grunert, abgesehen von seinem großen Talente, schon durch seine ungewöhnlich hohe Bildung eine hervorragende Stellung ein. Er ist gleichsam der Schauspieler der studirenden Jugend, der gelehrten Welt, der Träger und Vermittler von Wissenschaft und Kunst, die sich in ihm harmonisch verschmelzen. Seine Leistungen tragen daher weniger den Stempel unmittelbarer Inspiration, als tiefen, gewissenhaften Studiums, ohne darum die Gluth der Begeisterung und Leidenschaft vermissen zu lassen. Vor Allem versteht er es, den Gedanken des Dichters zum Bewußtsein der Hörer durch seine vollendete Rhetorik zu bringen; weshalb der „weise Nathan“ zu seinen besten Rollen zählt. Aber eben so sehr besitzt er die Kunst der Individualisirung, der scharfen psychologischen Auffassung, so daß er mit Recht zu den ersten Charakterdarstellern der deutschen Bühne zählt. Dabei fehlt ihm auch nicht der unentbehrliche Humor, selbst die übermüthige Komik des Lustspiels und der Posse steht ihm zu Gebot. Der Vielseitigkeit seines Talentes entspricht der Reichthum seines Repertoirs, das die hochtragischen Gestalten Shakespeare’s, Schiller’s, Lessing’s und Goethe’s ebenso wie die bürgerlichen Figuren eines Iffland und die seinen Salongestalten der französischen Komödie umfaßt. Während er als „Lear“, dessen Rolle jedenfalls zu seinen meisterhaftesten und gewaltigsten Leistungen gehört, jeder Zoll ein König erscheint, ist er als „Graf Ranzau“ in Scribe’s „Bertrand und Raton“ ein so vollendeter Diplomat, daß ein solcher selbst über ihn sagte, nur ein Diplomat könne diese Rolle ihm nachspielen, wenn derselbe nämlich ein so guter Schauspieler wie Grunert wäre.

Die höchsten Triumphe feierte jedoch der Künstler als Vorleser besonders antiker Dramen. „Hier vereinigt,“ wie Vischer von ihm sagt, „Grunert mit der Energie der Charaktergebung die ideale Würde und Großheit, wie sie der monumentale Stil der Antike fordert.“




Ein Pariser Kind.
Zur Charakteristik der Pariser Frauen.
(Schluß.)


Einstmals, an einem jener sogenannten Familientage, die Jeanneton besonders quälten, in einem großen Kreise strickender und häkelnder Damen und vieler im Nebenzimmer rauchender und Whist spielender Männer, erschien unter ihnen ein junger Musiker, ein entfernter, nur auf der Durchreise befindlicher Verwandter. Seine freien, reizenden Phantasien auf ihrem Flügel elektrisirten die junge Frau. Zum heimlichen Entsetzen Aller wich sie nicht von seiner Seite, als er spielte, und als er geendet, reichte sie ihm mit dem Ausdruck naiver Bewunderung beide Hände und bat, ihr einmal einige Lieder zu begleiten.

„Wenn Ihr so viel könnt, wie ich glaube, so müßt Ihr die Accorde zu meinem Gesang finden, ohne die Lieder zu kennen,“ sagte sie. Und glühend vor Freude, bebend vor Erregung stimmte sie ihre kecken Chansons an, eine nach der andern, und er folgte ihr, als ob er in seinem Leben nichts Anderes gethan, als die Lieder Jeanneton’s begleitet. Es war wie im Eldorado. Sie stand wie sonst neben dem Flügel, vor ihr die lauschende Menge. Unwillkührlich gesticulirten die kleinen Hände. O, wie schön sie war! Der junge Musiker blickte wie verzückt in dies strahlende Antlitz, dessen Augen funkelten, dessen Lippen lächelten. Wie ein Wunder erschien sie ihm, wie eine Perle – im Sande verloren. Ihre Stimme klang so süß und lockend, ihr Wesen war so fremd und bestrickend. Träumte er denn, sang diese Frau wirklich jene kecken berauschenden Lieder in dem Hause Ellernburg am Familientage? Saß dort wirklich die strenge Isidore und verließ nicht eben die hochblonde Marie den Salon? Andere folgten ihr mit Zeichen des Entsetzens. Und in der Thür Männerkopf neben Männerkopf, spöttische oder erstaunte oder erregte Gesichter. Und mitten unter ihnen das bleiche, bewegte Antlitz Eugen’s. Und Eugen’s Hand war es, die endlich sich auf Jeanneton’s Arm legte. Sie schrie auf, als sie ihn ansah. Sanft faßte er ihre Hände und führte sie in ihr kleines Zimmer. Dort schloß er sie heftig in die Arme und beschwor sie, nie wieder jene Lieder zu singen.

„Du hast mir das Herz zerrissen, Jeanneton,“ sagte er, „denn ich mußte sehen und hören, wie sie mein Weib verurtheilten, und konnte ihnen kein Wort verbieten. Ich habe unsäglich gelitten! Singe so oft Du willst, nur niemals jene Lieder, ich will nicht, daß sie eines Menschen Ohr wieder hört!“

Er sah ganz verwandelt aus, als er so redete, so wild und verzweifelt, daß sie sich vor ihm fürchtete.

„Ich will Dir alle Lieder der Welt zu Füßen legen, singe sie, singe nur diese nicht wieder!“

„Gefallen sie Dir denn nicht mehr?“ fragte sie bebend.

„Hier nicht, hier tödten sie mich!“

„Aber andere kann und werde ich nie lernen,“ sagte sie leise und brach in Thränen aus. „Geh’ nur zurück zu ihnen und sage, daß ich krank geworden, ich bleibe für den Rest des Abends hier.“ –

Eugen hielt Wort. Er verschrieb die schönsten Lieder, er brachte ihr Mendelssohn, Schumann und Schubert mit französischem Text in den prächtigsten Ausgaben. Sie schüttelte den Kopf, durchblätterte die Sammlungen und erklärte, kein einziges singen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_071.jpg&oldid=- (Version vom 12.1.2020)