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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

zu können. Das war das erste Weh, der erste Kampf. Arme Jeanneton! Die Fortsetzung ließ nicht lange auf sich warten. Jeder Tag brachte irgend ein Ungemach, eine Qual, einen Schmerz, gegen den kein Sträuben schützte. Immer enger zog Isidore ihre Kreise, immer machtloser erschien Eugen ihr gegenüber. Die junge Frau glich jenem bunten Falter, der sich in das Netz einer Spinne verirrte, die feinen Fäden wanden sich immer dichter um die flatternden Flügel.

Isidore Ellernburg hatte Recht; es war Wahnsinn und Frevel die Kleine zur Herrin des grauen Hauses in der Winkelstraße zu machen und es kamen allmählich Momente, wo Eugen selber Ähnliches dachte.

Und da es geschah, daß Jeanneton unter diesen wunderlichen Verhältnissen trotzig und eigenwillig wurde, wie ein Kind das man unverdient straft, so kam es, daß Eugen sich oft und öfter in die Zimmer seiner Schwester zurückzog, nicht um über seine junge Frau bei ihr zu klagen, sondern nur um ruhig neben ihr zu sitzen und sich von ihr umsorgen zu lassen. Heiterer und zärtlicher kam er dann zu der Kleinen zurück, aber für Jeanneton war das ein neuer Schmerz. Auch kam er allezeit mit einigen sanften Ermahnungen und guten Rathschlägen, und das war es, was sie immer mehr erbitterte und reizte. Bald bat er sie, jene kleinen widerspenstigen Locken zu verbannen, die er früher so tausend Mal bewundert, bald versuchte er sie zu überreden, die Schneiderin Isidorens anzunehmen, um ihre etwas, wie er sie jetzt bezeichnete, „extravagante“ Toilette zu moderiren, und legte ihr zugleich einen von Isidoren gewählten Kleiderstoff zu Füßen.

All dergleichen Bemühungen hatten aber keinen Erfolg. Jeanneton ließ die reizenden Locken nur noch verwirrter hängen, verschenkte sofort den grauen Kleiderstoff an eine arme Frau und schnitt und fertigte sich ihre Roben nach wie vor nach ihren Pariser Mustern. Die Haushaltungsangelegenheiten waren längst vollständig in die Hände Isidorens übergegangen, seit die Kleine einmal, als ihre Schwägerin ihr einen Rechenfehler im Ausgabebuch nachgewiesen, das Buch in tausend Stücke zerrissen. Immer längere Zeit verlebte Jeanneton in ihrem Stübchen, das sie stets sorgfältig hinter sich verschloß. Was sie dann wohl that? Isidore hätte es gar zu gern gewußt und alles Horchen half doch nichts. Da hörte man eben nur den Vogel lustig flöten und die süße Stimme der jungen Frau sang, zuerst leise wie aus weiter Ferne, dann lauter und immer fröhlicher der klugen Drossel nach. Daß dies offenbar ein gefährliches und unverzeihliches Vergnügen war, suchte das Fräulein dem Bruder täglich von Neuem mit unendlicher Geduld zu beweisen.

„So lange Du ihr die Grille dieses albernen kleinen Verstecks nachgiebst, so lange wird sie keine demüthige deutsche Frau. Je mehr sie sich in dieser Weise isoliren darf, desto mehr löst sie sich von Dir. O Eugen, das einzige Mittel Deinen Schritt wieder gut zu machen ist, sie fest und unerbittlich an Dich zu ziehen, sie keinen Augenblick aus Deiner Hand zu lassen, sie mir anzuvertrauen und Alles aufzubieten, damit in den Räumen, die Deine Mutter bewohnte, keine Unwürdige umherflattere, deren Wesen all’ Deinen Verwandten Mißtrauen einflößt, eine Frau, über deren räthselhaftes Gebahren Jeder die Achseln zuckt oder lacht. Es ist eine Schande, daß Du ihr gestattest jene Lieder zu singen, so oft sie Lust hat, die keine Frau anhören dürfte, geschweige selbst singen. Was geschehen, ist nicht ungeschehen zu machen, aber an Dir ist es jetzt, Jeanneton zu einer Gefährtin zu erziehen, die Deiner würdig. Du mußt es, wenn Du sie noch liebst!“

Ob er sie noch liebte? Wenn er sie sah, wenn er den Arm um ihre reizende Gestalt schlang, wenn sie in ihrer frischen, neckischen Weise mit ihm plauderte und ihre dunkeln Augen so zärtlich zu ihm aufblickten, so durchdrang es ihn mit überzeugender Gewalt, daß er nie ein anderes Weib so lieben könne und werde, wie sie, daß Alles, was für ihn Poesie hieß, sich in ihr verkörperte. Dann hätte er sie forttragen mögen in ein zauberisches Land, um dort für sie einen Feenpalast aufzuführen, eine Märcheneinrichtung hervorzuzaubern, wo man aus goldenen und silbernen Bechern und Schalen Honigseim schlürft und Blumensalat verspeist. Fand er sich aber bei seiner Schwester, in jenen Umgebungen, die er von Kindheit auf gewöhnt, war er dem persönlichen Zauber Jeanneton’s entrückt, so ertappte er sich auf dem Wunsche, seine Kleine so ruhig und sorglich, so ernst und geschäftig mit Küchenschürze und Schlüsselbund schalten und walten zu sehen, wie eben Isidore; dann wünschte er von Herzen sie genau so zu sehen, wie alle Frauen seines Bekanntenkreises. Nach Männerart kam ihm aber nie der Gedanke, daß er doch im Grunde die Schuld trage an allen Mißstimmungen und wunderlichen Wandlungen im grauen Hause, weil seine Hand die wilde Rose in ein Treibhaus verpflanzt, in dessen schwüler Luft sie welken mußte.

Und ein Tag kam, ein böser Tag, wo Eugen mit Jeanneton am Arm zwischen den Taxuswänden hin und wieder wanderte, um ihr begreiflich zu machen, daß sie ihm zu Liebe ihr kleines Asyl aufgeben und statt dessen bei Isidoren die Zeit seiner Abwesenheit verbringen müsse. Viele Worte fielen, heftige, bittere Worte, und Jeanneton’s kleine Hände rissen im Vorbeistreifen Zweig um Zweig aus den Hecken und die zierlichen Füße stießen wie unwillig und ungeduldig die welken Blätter bei Seite, die von den hohen Buchen in den offenen Gang langsam herabfielen. Die Sonne leuchtete so klar, der Himmel war so blau, in den Gebüschen jagten sich zwitschernde Vögel. Die schlanke Frauengestalt im dunkeln Seidenkleide war plötzlich stehen geblieben: „Sieh, da blühen noch Rosen! rief sie mit dem Ausdruck kindlicher Freude. Und am Ende des Ganges leuchtete eine verspätete Monatsrose.

„Laß bei uns immer Rosen blühn!“ flüsterte er zärtlich, „sei gut, Jeanneton, gieb nach, erfülle meine Bitten!“ Und halb sie führend, halb sie tragend, näherten sie sich der einsamen Blume. Er brach sie und reichte sie der jungen Frau. Aber als ihre Finger sie berührten, fielen die Blätter ab.

„Ich bin’s, die Alles zerstört,“ sagte sie erschrocken und traurig und blickte auf die zerstörten Blumen. „Nein, nein, das soll nicht mehr sein, sei ruhig, Eugen, ich liebe Dich und ich will versuchen, zu thun, was Du willst – sie zu lieben. Ja, die Rosen. sollen blühen!“

Und mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit warf sie die Arme um seinen Nacken. „Komm, wir wollen den kleinen Vogel holen aus meinem Stübchen und ihn zu Isidoren bringen, und ich will Dir auch zeigen, was ich dort that, wenn ich allein war, und Du wirst nicht zürnen.“

Und sie gingen Beide innig aneinander geschmiegt in das Haus zurück, durch den Flur und die Reihe von Zimmern bis an das kleine Stübchen mit den weißen Muslinvorhängen. Aber was war das? Die Thür stand offen, das Fenster auch; wehe, wo war der Vogel? Leer der Bauer, der kleine Sänger, der Liebling Jeanneton’s, ihr Trost und ihre Freude, war entflohen! Wer hatte es gethan? Starren Auges blickte die junge Frau auf die offene, kleine Thür des Käfigs und dann sagte sie mit tonloser Stimme: „Sie hat es gethan und einzig sie. Jetzt ist Alles vorbei.“ –

O, diese schlimme Nacht, die dem schlimmen Tage folgte! Kein Schlaf senkte sich auf die verweinten Augenlider der jungen Frau. Und dieser Sturm von Gedanken, diese Thränen und diese Kämpfe! Dann und wann richtete sie sich lauschend auf und schaute zu ihm herüber. Er schlief so tief und fest. Die schöne Stirn war ihr zugewandt, um den Mund spielte ein heiteres Lächeln. Von wem mochte er wohl träumen? Ach, was hätte sie darum gegeben, ihn gerade jetzt erwachen zu sehen, noch einmal seine Stimme zu hören, seine Lippen auf den ihrigen zu fühlen! Aber es war besser so, der Abschied war leichter, und Abschied mußte genommen werden, ohne Verzug, gleich. Leise erhob sie sich, leise schlich sie hinaus in ihr Stübchen. Arme Jeanneton! Eugen träumte ruhig weiter. Er stand ja in dem glänzend erleuchteten Saal des Café Eldorado und hörte die süßen Lieder eines reizenden Geschöpfes im weißen Kleide.

Währenddem schlüpfte eine zierliche Gestalt in unscheinbarem Reiseanzuge, eine Reisetasche am Arm, über den Hausflur und öffnete die Thür. Fährst du nicht auf mit einem jähen Angstruf, sorgloser Träumer? – es ist dein Weib, das jetzt über deine Schwelle hinausschreitet in die schweigende Herbstnacht. –

Eugen las am nächsten Morgen bebend und todtenbleich wieder und wieder folgende Worte:

„Auf Wiedersehen, Geliebter! Ich würde wahnsinnig geworden sein – ich mußte fliehen, es war so nicht mehr zu ertragen. Du mußt wählen zwischen mir und ihr, eher kann ich nicht wieder zu Dir kommen. Laß uns geschieden bleiben, bis Dein freier Wille uns wieder zusammenführt. Schreibe mir nicht, ich werde auch nicht schreiben. Du sollst ungestört entscheiden, wem von uns Beiden Du angehören willst. Ich gehöre nicht in Euer Deutschland;

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_072.jpg&oldid=- (Version vom 23.5.2018)