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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Das Thurmzimmer.
Geistergeschichte aus Herder’s Leben.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


„Der Glaube an dieses ‚Zweite Gesicht‘ könnte doch auch in unserm guten Deutschland vorkommen, Erlaucht,“ bemerkte hier der Hofmarschall, der an der linken Seite des Grafen saß.

„Mag sein,“ fiel der Hofprediger ein; „aber daß nicht eine einzige Stimme aufgeklärterer Einsicht sich erhöbe und geradezu ausspräche, was eine Hallucination werth ist, das könnte in gebildeten Kreisen Deutschlands nicht mehr vorkommen, hoffe ich behaupten zu dürfen.“

„Mit Unrecht, Herr Hofprediger,“ entgegnete der Hofmarschall, „ich bin überzeugt, man braucht in einer Gesellschaft nur zu sagen: ‚alle Menschen von tieferem Gemüth glauben an das Wunderbare und alle Menschen von ausgebildeterem Seelenleben haben in ihrem Leben irgend eine Erfahrung gemacht, welche die Philosophie nicht erklären kann‘: so verstummt der Zweifel und jedes Mitglied einer Tafelrunde fühlt das Siegel von seinem Munde genommen und erzählt eine Geschichte, die ihm begegnet ist!“

„Um sein ausgebildetes Seelenleben zu beweisen,“ versetzte der Hofprediger lachend, „aber versuchen Sie diesen Terrorismus nicht heute Abend, ich würde seinem Schrecken trotzen!“

Die Erlaucht streifte mit einem spöttischen Blick den Hofprediger und sah dann mit einem Augenzwinkern des Einverständnisses den Hofmarschall an.

„Vielleicht,“ sagte der Graf lächelnd, „würde morgen der Herr Hofprediger anders reden, wenn er in der obern Thurmstube das Quartier unsers theuren Gastes, des Herrn Generals, inne hätte.“

„Mein Quartier?“ rief hier der General von Bülow, „ich hoffe nicht, daß Sie mich in eine Gespensterstube einlogirt haben, Herr Hofmarschall?“

„O nein, so schlimm ist’s nicht,“ entgegnete der Hofmarschall, „ich habe das beste Fremdenzimmer für den Herrn General herrichten lassen; das Gemach ist allerdings Gegenstand einer Volkssage oder eines Aberglaubens der Gesindestube, wenn Sie wollen, aber es ist seit Jahren nicht mehr die Rede davon gewesen und zu einem General des großen Friedrich würden sich keine Gespenster wagen!“

„Redensarten, lieber Herr, Redensarten,“ rief der General aus, „ich habe nicht die geringste Lust, das auf den Versuch ankommen zu lassen, ich liebe eine ungestörte Ruhe …“

„Aber in der That, Herr General,“ fuhr der Hofmarschall fort, „es ist seit so langer Zeit nicht …“

„Nichts da,“ unterbrach ihn der General, „ich bekenne mich zum crassesten Gespensterglauben, ich bedanke mich für Ihr Thurmzimmer und …“

„So weisen Sie dem Herrn General ein anderes an, Hofmarschall,“ fiel der Graf ein.

„Erlaucht, alle Zimmer sind besetzt und ich müßte dann einen der anderen Herren bitten, das seine dem Herrn General zu überlassen. Wenn der Herr Hofprediger nichts dawider hätte …“

„Nicht das Mindeste,“ sagte dieser kühl.

„Desto besser,“ fuhr der Hofmarschall fort, und die Erlaucht fiel mit den Worten ein:

„Ein Mann, wie der Herr Hofprediger, hätte jedenfalls auch die wenigste Gefahr zu laufen, wenn an dem besagten Zimmer wirklich etwas Unheimliches haftete!“

„Und weshalb ich die wenigste, wenn Ew. Erlaucht geruhen?“ fragte der Hofprediger.

„Deshalb,“ entgegnete der Graf mit einem etwas malitiösen Lächeln, das um seine feinen, beredten Lippen spielte, „weil der alten Sage nach dem, welcher in dem Thurmzimmer schläft, dort dasjenige Wesen erscheinen soll, an welchem er in seinem Leben das größte Unrecht beging, sich am schwersten versündigte.“

„Das ist ja eine ganz besondere Art von Spuk,“ rief lachend der General von Bülow aus, „jetzt erst bedank’ ich mich recht für ein solches Nachtquartier … eine alte, graue Kriegsgurgel, wie Unsereins, die in ihrer Jugend nicht besser war, als andere auch, wär’ da ja ihres Lebens nicht sicher!“

„Aber Sie werden mir eingestehen, daß ein Mann, wie unser Hofprediger da, am wenigsten von uns grauen oder grünen Sündern zu befahren hat!“

Der Hofprediger zuckte die Achseln. Er fühlte sich verstimmt, zu einer Gefälligkeit gegen den preußischen General gepreßt zu sein, denn obwohl das Land seine Heimath war, haßte er doch Preußen seit den Tagen, wo er in langer, schwerer Furcht geschwebt, daß man ihn zum Militär ausheben und ihn gewaltsam in das grausenhafte Soldatenelend jener Tage hinabziehen werde. Und dann lag etwas in dem Mienenspiel des Grafen, in den Blicken des Generals und des Hofmarschalls, was ihn betroffen machte. War es Spott, war es auf eine Neckerei abgesehen … glaubte diese hochmüthige Militär- und Hofwelt, den Bücherwurm und muthlosem Kirchenmann in ihm hänseln zu können? Der schwarze Gast hatte seine Eitelkeit; schon der bloße Gedanke an so etwas reizte ihn … er beschloß, auf seiner Hut zu sein.

„Es ist allerdings eine ganz absonderliche Art von Sage,“ bemerkte er mit großer Ruhe; „sie ist wesentlich verschieden von allen gewöhnlichen Vorstellungen des Aberglaubens, die eine bestimmte und individuelle Form übernatürlicher Erscheinung an einen bestimmten Ort knüpfen. In dieser Sage aber, wie Ew. Erlaucht sie uns mittheilen, wechselt die Form der Erscheinung je nach der Persönlichkeit, die das Spukzimmer bewohnt; sie ist nicht an den Raum, sondern an die Person gebunden; weshalb folgt sie dann nicht der Person, wenn sie an diese sich knüpft, auch außerhalb des Raumes? Was hat sie überhaupt mit dem Raume zu thun?“

„Ich kann Ihnen nur sagen, was ich selbst, schon als Knabe, darüber gehört habe,“ entgegnete der Graf. „Man soll in alten Zeiten und noch im vorigen Jahrhundert in kritischen Fällen das Gemach der Rechtspflege zur Verfügung gestellt haben. Man hat Mörder da einquartiert und ohne ihr Wissen einen Wächter nächtlicher Weile im selben Raum versteckt, überzeugt, daß die Gestalt des blutigen Erschlagenen ihnen erscheine, daß diese Thatsache sie überführen und durch die auf sie ausgeübte Schreckenswirkung zum Geständniß zwingen würde. So wird erzählt wenigstens!“

Die Gesellschaft lauschte, wenn nicht gläubig, doch sehr still und aufmerksam dieser Mittheilung der Erlaucht; nur der Hofprediger schüttelte den schönen, ausdrucksvollen Kopf und sagte:

„Das lautet Alles sehr märchenhaft! Märchenhaft mehr als volkssagenhaft, und das Einzige, was daraus hervorgeht, ist, daß man in den düstern Zeiten der umnachteten Vergangenheit arme Gefangene nicht allein einer physischen Folter, sondern auch einer moralischen durch Gespensterschrecken unterwarf. Dem Himmel sei Dank, daß alles das hinter uns liegt und über uns die Morgenröthe einer Humanität tagt, die alle Schatten der Nacht und des Aberglaubens als eines freien, klaren Menschengeistes unwürdig verjagt.“

„Sie haben Recht, mein lieber Herr Hofprediger, und wer ein reines Gewissen hat, fürchtet sich nicht vor Erscheinungen derer, an welchen er ein Unrecht beging!“

Bei diesen Worten des Grafen glaubte der Hofprediger abermals das spöttische Lächeln aufzucken zu sehen, das ihn schon früher beunruhigt. Aber zur Beobachtung blieb ihm keine Zeit, der Graf machte dem General eine leichte, wie anfragende, Verbeugung und stand dann auf, um die Tafel aufzuheben.

Die Gäste traten zur weitern Unterhaltung in Gruppen zusammen oder zerstreuten sich.

Der Graf aber zog sich in seine Gemächer zurück. Hier kam nach einer Weile der Hofmarschall zu ihm, der eine kurze, heimliche Unterredung mit ihm hatte; dann trat der Hofjägermeister ein, um noch einige Befehle für die morgende Jagd entgegenzunehmen. Als auch er gegangen, ließ der Graf durch den Kammerdiener die Armleuchter mit den brennenden Wachskerzen auf seinen Schreibtisch stellen und verbot jede weitere Störung für den Rest des Abends.

Er ging eine Weile, wie sich sammelnd, auf und ab, dann setzte er sich nieder und schrieb:

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_087.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)