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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

dortigen Hofe sich aufhaltenden und durch Bildung und Liebenswürdigkeit glänzenden Prinzessin von Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld, – dieselbe, an welche wir den Grafen vorhin schreiben sahen – eine warme Freundin und Vertraute ihrer Schmerzen gefunden hatte.

Wir erklären uns jetzt, weshalb Herder, nachdem er lange die befremdliche Erscheinung im Mondlicht da oben angeschaut, die ihm das Bild der fernen leidenden Geliebten vor die Seele zauberte, tief aufseufzte, dann mit einem leisen Schütteln, das durch seine Gestalt hinlief, aufstand und mit raschen Schritten, als wolle er der über ihn gekommenen Stimmung entgehen, dem Schlosse zueilte. Als er die dunkle Baumpartie, welche ihn von diesem trennte, hinter sich hatte und wieder zur Plattform des Thurmes aufblickte, war die Gestalt verschwunden. Die Schloßuhr schlug Zehn, ein großer Theil der Bewohner schien schon zur Ruhe gegangen, um sich für die Anstrengungen des morgenden Jagdtages zu stärken.


3.

Ein Lakai begleitete Herder in sein großes Thurmzimmer und zündete dort die Lichter auf dem Spiegeltisch an. Nachdem er gegangen, untersuchte Herder den Raum, überzeugte sich, daß die Thüren und die Blendläden wohl geschlossen und an seinem Bette nichts Verdächtiges zu bemerken, und dann nahm er sein Jagdgewehr und lud beide Läufe, um es so an das Fußende seines Bettes zu stellen.

„Man wird sich hoffentlich keinen rohen Jagdspaß mit mir erlauben wollen,“ sagte er sich, „sollte es aber dennoch sein, nun wohl, man wird sehen, daß ich auch mein Jagdgeräth habe. Gegen Geister giebt’s keine Gesetze, sondern gegen sie gilt nur Nothwehr!“ Er hätte die Lichter brennen lassen mögen, aber sie verhinderten ihn alsdann am Schlafen. So blies er sie aus, in dem Gedanken, daß er nur die Blenden der Fenster aufzureißen habe, um das Mondlicht oder später die Dämmerung der Sommernacht in den Raum eindringen zu lassen.

Er legte sich nieder. Seine Gedanken wendeten sich sehr bald wieder ihrer früheren Richtung zu. Der Argwohn, daß der Graf irgend ein Gaukelspiel, um ihn zu necken, beabsichtige, trat dabei in den Hintergrund und entschwand ihm endlich fast völlig. Es verstieß zu sehr gegen den ernsten Charakter des Grafen, zu sehr wider die Würde, die der junge Mann bereits einnahm, und ohnehin war ja nicht daran zu denken, weil man dies Spukzimmer eigentlich und ursprünglich nicht ihm bestimmt, sondern dem preußischen General eingeräumt hatte, er, Herder, war ja nur so zu sagen durch einen Zufall in den Raum, an dem eine Burgsage haften sollte, gekommen, nur, weil der alte preußische Degenknauf sich als einen solchen Hasen ausgewiesen hatte!

Herder’s Augen schlossen sich endlich. Er entschlief.

Er entschlief, ruhig und fest. Nur ein heftiges Geräusch in seiner Nähe hätte ihn wecken können. Das Geräusch, das ihn – er wußte natürlich nicht, ob nach längerer oder kürzerer Zeit – plötzlich erweckte, war auch heftig genug. Es war wie das Rollen eines Donners über seinem Haupte, das, rasch wieder an Stärke abnehmend, wie in der Ferne leise verhallte. Herder fuhr empor, er fühlte sein Bett unter der Heftigkeit der ersten Schläge erzittern … war ein Gewitter ausgebrochen? Es konnte nicht sein, am Nachthimmel war ja vorher nicht die geringste Wolke zu bemerken gewesen, und doch, ein Blitzstrahl zuckte auf und schnitt in die völlige Finsterniß, die im Raume herrschte, hinein, aber nein, es war kein Blitz, es war ein Lichtstrahl, ein heller Schein, oben rechts auf der Galerie.

Herder’s Bett stand an der der Galerie gegenüberliegenden Wand. Er konnte die Galerie übersehen ihrer ganzen Länge nach. So wie sein Auge dem oben auftauchenden Lichte zuflog, erblickte er eine Erscheinung, welche ihn völlig athemlos machte, welche ihm fast die Sinne wieder raubte, die er so eben rasch und schnellkräftig dem Traumleben entrissen und gesammelt hatte … eine Erscheinung, die ihn wie in den Schwindel des Traumlebens zurückstürzte und in schwerem Auf- und Niedergehen seine Brust sich heben ließ.

Die kleine Thür, die von der Galerie in den Thurm führte, hatte sich geöffnet. Unter dem Bogen derselben, in dem Rahmen der gewaltigen Thurmmauern stand eine hohe weibliche Gestalt, umflossen von einem hellgrauen Kleide, das braune Haar gelöst; es hing reich um die Schultern nieder; das Haupt, die schöne Stirn ein wenig gesenkt, die Wangen bleich, die Züge wie von tiefem Schmerze ausgeprägt, in ihrer Hand ein alterthümlicher Leuchter mit einem brennenden Lichte, welches diese von tiefer Schwermuth sprechenden Züge beleuchtete … und diese Züge, diese Gestalt – der erschrockene junge Mann konnte keinen Augenblick im Zweifel darüber sein – waren die seiner Braut!

Caroline!

(Fortsetzung folgt.)




Das Arbeitsmekka der Thüringer Frauenwelt.


Um die Markscheide dieses und des vorigen Jahrhunderts konnte man zu Michaelis und zu Ostern jeden Jahres aus einem kleinen Landstädtchen des nordöstlichen Thüringens ein schmächtiges Männchen mit einem Reff auf dem Rücken zur Leipziger Messe wandern sehen. In dem Reff barg sich des Mannes ganzer Reichthum, der Fleiß, die Arbeit seiner eigenen Hände. Da lugten hervor gestrickte grauwollene Jacken, gewirkte Unterhosen und jene berühmten weißen Zipfelmützen, die noch bis zur Neuzeit als das Wahrzeichen des echten deutschen Spießbürgerthums gegolten haben. Das Landstädtchen, aus dem jener Wandersmann zog, zählte dazumal kaum dreitausend Einwohner und bestand aus vielen kleinen, winkeligen Gassen mit niedrigen, meist unscheinbaren Häusern. Da sich die Bewohner den größten Theil ihrer Lebensbedürfnisse draußen im Felde selbst bauten, so sah man auf den meist ungepflasterten, hie und da von einem offenen, schmutzigen Bache durchflossenen Straßen auch überall die weder dem Gesichte, geschweige dem Geruche sehr zusagenden Spuren jener ländlichen Thätigkeit. Bei der vollständigen Reizlosigkeit der sogar theilweise morastigen Umgebung verirrte sich selten ein fremder Wanderer dahin. Selbst der sonst so wanderlustige Studio von dem nur zwei Stunden entfernten Jena kannte den Ort, wohin unwirthsame Wege führten, fast nur aus einem alten Liede, worin es hieß: „Knaster, den gelben, hat uns Apolda präparirt.“ So nämlich hieß der Ort. Oede und Stille lag über ihm, die nur durch das eigenthümliche Schnarren der vielen Wirkerstühle, dem Ohre nicht eben erquicklich, unterbrochen wurde. Und wenn nun gar die Nacht hereinbrach, so lagerte sich, wenn nicht gerade der „bleiche Wächter der Liebe“ am Himmel stand, tiefes Dunkel in den von keiner Laterne erhellten Straßen.

Das aber sollte anders werden mit dem Orte, und wie anders ist es geworden!

Aus dem kleinen, unbekannten Landstädtchen ist eine bedeutende, vielgenannte Fabrikstadt geworden. Neue, große Häuser, zum Theil stolze Paläste, erheben sich in ganz neuen Stadtvierteln. Die Bevölkerung ist rasch um mehr als das Doppelte gestiegen, und wenn sich Mittags und Abends die Arbeitssäle der hohen Häuser öffnen, so ziehen Tausende durch die einst menschenleeren, jetzt wohlgepflasterten und gaserleuchteten Gassen. Auf neu angelegten Straßen sucht sich die weite Umgegend der einst Verachteten allwärts zu nähern. Einer der bedeutendsten deutschen Schienenwege, die Thüringer Eisenbahn, führt knapp dort vorüber, obwohl diese Annäherung um den Preis von Menschenleben und Tausenden von Actien hat erkauft werden müssen. Stolz und hoch hebt sie ihr Haupt, die einst Verlassene.

Der aber, der zumeist diese Umwandlung geschaffen, war fast einzig jener schlichte Wandersmann mit dem Bündel auf dem Rücken. Auf der Leipziger Messe hatte sich mit seinem Geldbeutel auch der Kreis seiner Erfahrungen erweitert. Die simplen Jacken und Schlafmützen genügten ihm bald nicht mehr – den fremden Nationalitäten, welche ihm dort begegneten, gedachte er ihre bunten Kleider zu gewähren. Der Geist der Speculation kam über ihn. Er sann nach neuen Mustern in allerlei bunten, gefälligen Farben.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_089.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)