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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Nicht blos für die hausbackene Zweckmäßigkeit, auch für den Luxus begann er zu arbeiten, von dem er viel bessere Procente zu erwarten hatte. Seine eigene Werkstatt wurde ihm zu klein. Er ließ andere Meister noch für sich arbeiten nach seinen vorgelegten Mustern und gab ihnen nur das bunte, wollene Garn dazu. Er wurde Unternehmer und Verleger, der Strumpfwirkermeister Christian Zimmermann. Ein nebenbei getriebener Lederhandel führte dabei seinem Betriebscapitale noch manche Quelle zu. Der eigene Wirkerstuhl, an dem er Tag und Nacht fleißig gesessen, verschwand, aber bald regten sich an seiner Stelle hundert andere für ihn. Das Reff wanderte in die Rumpelkammer, dagegen führten auf der Landstraße jetzt mehr und immer mehr hoch aufgethürmten Frachtwagen die Schätze des Hauses Christian Zimmermann dem großen deutschen Stapelplatz des Welthandels zu. Und als der Meister im Jahre 1843 sich zur ewigen Ruhe hinlegte, war aus dem armen Strumpfwirker ein reicher, weithin in der Handelswelt geachteter Fabrikherr geworden. Wie weit schon damals der Vertrieb des Geschäftes ging, bezeugt folgende in der Geschichte des Hauses bewahrte Tradition.

Eines Tages stand der Chef der Handlung auf dem Parquetboden des fürstlichen Empfangszimmers im Weimarischen Schlosse, dahin gerufen, von dem ihm wohlwollenden Landesherrn das Lob seiner Tüchtigkeit zu empfangen. Der leutselige Herr muntert ihn auf, seine Fabrikate zu immer größerer Vollkommenheit zu bringen, und läßt ihm bei der Gelegenheit namentlich bunte Artikel vorzeigen, welche er für seine fürstlichen Kinder in Italien gekauft hat. Der Fabrikant von Apolda betrachtet prüfend das ihm vorgelegte Gewebe. Dann bittet er um die Erlaubniß, mit einem Messer eine faltige Kante auftrennen zu dürfen. Man gewährt die Bitte, und der erstaunte Fürst erblickte eingenäht in das Gewebe das wohlbekannte Fabrikzeichen des Hauses Zimmermann. Was er in fernen Landen als kostbare Waare mit schwerem Geld erkauft – es war das Product seines eigenen vor ihm stehenden Staatsangehörigen.

Mit dem Tode seines Gründers ging das Geschäft Christian Zimmermann’s auf seine beiden Söhne, Wilhelm und Louis, über. Die Brüder wußten dasselbe immer mehr zu erweitern und ihm seinen Weltumfang zu verleihen. Während der eine durch weite Reisen die entlegensten Geschäftsverbindungen anzuknüpfen verstand, wußte der andere das Geschäft technisch mehr zu vervollkommnen, wogegen ein als Associé herangezogener Verwandter, Wiedemann, die innere kaufmännische Leitung besorgte und ein befreundeter Rechtsanwalt vielfach rathend zur Seite stand.

Rasch nacheinander, im Sommer und zu Weihnacht des Jahres 1854, in der Blüthe der Mannesjahre, starben schon die beiden Brüder Zimmermann, nachdem ihnen fünf Jahre vorher ihr treuer Compagnon Wiedemann vorangegangen war. Fast in jedem Hause in Apolda, wo nur immer das Schnarren eines Wirkerstuhls sich hören läßt, hängen in Glas und Rahmen die zu einer Gruppe vereinigten treuen Bildnisse der beiden Brüder und ihres Geschäftsgenossen mit der schmucklos rührenden Unterschrift: „Denkmäler in den Herzen der Apoldaer“, die einzigen Erinnerungszeichen, welche sich ihre treuen Arbeiter gönnten, nachdem sie, die Hochverdienten, die Errichtung eines Denkmals aus Stein und Erz, das ihnen jene zugedacht, als ihrem einfach geraden Sinne zuwider zurückgewiesen, sich selbst aber durch vielfache milde Stiftungen, deren großartigste die Gründung und Fundirung einer Realschule, bleibende Denkmäler in der Heimath ihres Wirkens geschaffen hatten.

Obwohl den Todten keine männlichen Erben folgten, so lebte doch ihr Geist in dem Geschäfte und dieses selbst fort. In den beiden jetzigen bekannten Vertretern des Geschäfts (Wiedemann und Kräuter) findet sich wieder die wunderbare Vereinigung des technisch industriellen mit dem kaufmännischen Genius.

Indeß kam für das fast allzurasch emporgeblühte Apolda – wo natürlich außer dem Zimmermann’schen Geschäft nach und nach noch eine große Anzahl ähnlicher Verleger oder Fabrikanten entstanden waren, obschon keiner von der Bedeutung der genannten Firma – auch einmal eine kurze Zeit der Prüfung. Es war dies die bekannte von Amerika ausgehende Handelskrisis vom Jahre 1857. Da sanken viel der allzu kühn emporgewucherten Häuser plötzlich in einer Nacht zusammen. Schreck und Angst überkam die ganze Stadt – nur das Haus der Gebrüder Zimmermann und die alten mit ihm fast zu gleicher Zeit aufgewachsenen Firmen standen unerschüttert in der aufgerüttelten Sturmfluth, die sich eben so rasch legte, wie sie kam.

Fragen wir nun, welcher Art die Fabrikate sind, die Apolda’s Wollenindustrie erzeugt, so bedarf es nur eines Eintritts in den großen Mustersaal des Zimmermann’schen oder einer der andern Firmen. Hier ist es zunächst der prächtige Farbenreichthum, der den Eintretenden blendend in’s Auge fällt. In den buntesten Farben, von dem schreiendsten Roth bis zum milden Rosahauch, von dem düstern Schwarz bis zum lachenden Weiß in allen Schattirungen prangen hier die in je einer Species vertretenen Muster. Es sind deren nahezu an viertausend. Für jedes Alter, für jedes Geschlecht ist gesorgt. Von dem niedlichen schwarz- und rothgestreiften Kinderstrümpfchen, von dem rothen Röckchen und der kleinen runden Mütze des Knaben bis zu der warmen Bein- und Brustkleidung des alternden Rheumatikers, bis zu der kältescheuchenden Capuze der alten Großmama finden da ihre Vertretung. Der rohe Bauernknecht trifft seine Pudel- wie der gebildete Hausknecht seine runde Troddelmütze, der Handwerker seine bequeme Wollenjacke, wie der Mann von feinem Ton sein zartes Leibjäckchen. Die dralle Magd wird ihr Auge auf die ihre kräftige Taille im vortheilhaften Lichte zeigende Leibjacke mit dem grauweißen Besatze richten, während das Fräulein vom Hause den buntkantigen „Seelenwärmer“ mit gleichbewußter Koketterie um das schon warm genug schlagende Herz hüllt. Da liegt der reizende „Fanchon“, als lieber Substitut des unbequemen Hutes für Ball, Concert und einen raschen Abendgang, die „Schneehülle“, ihm verwandt, in der That wie aus dem feinsten Geflöck der Federn des Himmels gewoben, der kiss-me-quick (Küß mich schnell), seines gefährlichen Namens wegen von der gestrengen Mutter ebenso sehr gehaßt, wie von der Tochter gerade darum um so inniger geliebt, der Taillen- und Pulswärmer, die Halbärmel in den mannigfachsten Formen, derb und zart. Weiter in die Geheimnisse der Damenwelt einzudringen, dürfen wir nicht wagen, und doch fesseln uns jene feinen, seidenartig sich anfühlenden Halbstrümpfchen – zaubernd wirken sie auf unsere Sinne, denn wir erfuhren, daß sie ihren Weg nehmen dahin, wohin zwar die Phantasie unserer Dichter uns so schmeichelnd lockt, aber noch keines Christenmannes Fuß getreten, den Weg in’s Harem des Großsultans. Und siehe da, unserer wach gerufenen Einbildungskraft fängt es an, im ganzen Saale sich zu regen und bunt zu beleben, als wären wir mitten in einer Maskerade. Ganz fremdartige Gestalten, Croaten und Walachen in weißen, langen Mänteln, Neapolitaner mit den langen, rothen Schiffermützen, Spanier in kurzen Strümpfen, Türken im langen Kaftan, Griechen im hohen Fez, Russinnen in verbrämter Kazawaika, Polen, phlegmatische Amsterdamer, feurige Mexicaner und Brasilier treten in den Saal und hüllen sich in die für ihren Bedarf gemachten Stoffe. Vollständige Anzüge hängen an den Wänden – Alles aber, selbst die Gardinen der Fenster, ist gewirkt von dem Vließe des bekannten, dumm gescholtenen Thieres.

Die Gartenlaube wird bekanntlich gelesen, so weit die deutsche Zunge klingt,[1] der Vertrieb der Apoldaer Wollenwaaren kennt jene Sprachgrenzen nicht. Italien, Spanien, Ungarn und die Walachei, Rußland, die Türkei, Griechenland, Holland und das weite Amerika sind die außerdeutschen Exportsplätze Apolda’s.

Die Fabrikation der Waaren selbst geht ungefähr in folgender Weise vor sich. Sie beginnt nicht mit der Bearbeitung der Schafwolle, obwohl dies früher theilweis geschah. Man kauft vielmehr in Apolda die Wollengarne von den großen deutschen, englischen und französischen Garnspinnereien und läßt sie sodann im Orte selbst, in nächster Nähe und auswärts, namentlich in Berlin, färben. Die Garne werden sodann den Arbeitern zur Verarbeitung nach vorgelegten Mustern zugewogen. Die Arbeiter selbst sind der Mehrzahl nach in ihrer Wohnung auf ihren eigenen Stühlen arbeitende Strumpfwirkermeister, nur der geringere Theil arbeitet auf den Stühlen der Fabrikanten, insbesondere da, wo diese Stühle von complicirter Natur oder gar Fabrikgeheimnisse find. Das Garn wird zunächst gespult. Frauen verrichten diese ihnen von Alters her gewohnte Arbeit. Die Garnspulen werden an die Wirkerstühle befestigt, welche abspulend die Fäden dann zu einem Ganzen wirken. Von Wirkerstühlen giebt es sehr verschiedene Arten

  1. Nicht ganz richtig. Die Gartenlaube wird in allen Winkeln der entdeckten Erde, in Amerika, Afrika, Australien, selbst im innern Asien und in Nordsibirien gelesen, soweit eben auch dort die deutsche Zunge klingt.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_090.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)