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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 7.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Goldelse.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


Bald nach dem Essen rollte die kleine Equipage vor das Haus. Der Oberförster stieg hinauf, und wie ein Blitz war Elisabeth an seiner Seite. Indem sie den Zurückbleibenden noch einmal grüßend zunickte, flog ihr Blick über das Haus; aber sie erschrak bis in’s innerste Herz vor den Augen, die aus dem oberen Stockwerk auf sie niederstarrten. Freilich verschwand der Kopf sogleich wieder, allein Elisabeth hatte die stumme Bertha erkannt, hatte gesehen, daß der Blick voll Haß und Ingrimm ihr gegolten, obgleich sie sich die Ursache dieser Feindseligkeit nicht denken konnte. Bertha hatte bisher in der strengsten Zurückgezogenheit der Familie Ferber gegenüber beharrt; nie kam sie zum Vorschein, so oft auch Elisabeth im Forsthaus war. Sie aß allein auf ihrem Zimmer, seit sie wußte, daß der Onkel allsonntäglich Gäste habe, und der ließ sie auch gewähren. Es mochte ihm ganz recht sein, daß die beiden Mädchen gar nicht zusammenkamen.

Frau Ferber hatte auch einmal den Versuch gemacht, sich dem jungen Mädchen zu nähern. Ihrer echt weiblichen Anschauungsweise gemäß hielt sie es für unmöglich, daß lediglich Trotz und Böswilligkeit die Triebfedern zu Bertha’s sonderbarem Benehmen sein könnten. Sie vermuthete eine tiefe, innere Niedergeschlagenheit, irgend einen Kummer, der sie gegen ihre Umgebung gleichgültig, oder auch bei ihrem heftigen Naturell wohl gar so gereizt mache, daß sie lieber das Sprechen vermeide, um keinen Conflict herbeizuführen. Sanftes Zureden, ein freundliches Entgegenkommen, hatte sie gehofft, werde das Siegel auf Bertha’s Lippen lösen; allein es war ihr nicht besser ergangen, als Elisabeth, ja, das Benehmen des Mädchens hatte sie dermaßen empört, daß sie ihrer Tochter jeden ferneren Annäherungsversuch streng untersagte. –

Nach kurzer Fahrt war das Ziel erreicht.

Die Lage von L. war unbestritten eine reizende. Inmitten eines nicht sehr weiten Thales, an den Fuß einer Anhöhe geschmiegt, deren Gipfel das imposante fürstliche Schloß krönte, lag es tief gebettet im dunklen Grün schöner, alter Lindenalleen und im Frühling umwogt von einem wahren Blüthenmeer zahlloser Obstgärten.

Der Oberförster führte Elisabeth in das Haus eines ihm befreundeten Assessors. Sie sollte dort auf ihn warten, bis er seine Geschäfte besorgt haben würde. Wenn auch herzlich bewillkommnet von der Dame des Hauses, hätte das junge Mädchen doch am liebsten sofort umkehren und dem die Treppe hinabeilenden Onkel folgen mögen; denn zu ihrem Verdruß gerieth sie mitten in einen großen Damencirkel. Die Assessorin theilte ihr in wenigen flüchtigen Worten mit, daß zur Feier des Geburtstages ihres Mannes lebende Bilder aus der Mythologie gestellt werden sollten, zu welchem Zwecke sich das darstellende weibliche Personal bereits eingefunden habe. Am Kaffeetisch eines hübsch eingerichteten Zimmers plauderten mit großer Lebhaftigkeit acht bis zehn Damen, die sämmtlich schon im mythologischen Costum steckten und jetzt mit ihren Augen der neuen Erscheinung bis in die geheimsten Falten ihres einfachen Anzugs zu schlüpfen versuchten.

Plötzlich zog eine die Straße langsam herabrollende Equipage die Damenschaar an die Fenster. Elisabeth konnte von ihrem Sitz aus die Straße und mithin auch den Gegenstand der allgemeinen Neugierde übersehen. In dem eleganten Wagen saßen die Baronin Lessen und Fräulein von Walde. Letztere hatte das Gesicht herüber nach dem Hause des Assessors geneigt, und es sah aus, als ob sie gewissenhaft alle Fenster des Erdgeschosses zähle. Die Wangen waren leicht geröthet, bei ihr stets ein Zeichen innerer Erregung. Die Baronin dagegen lehnte nachlässig im Fond; für sie schienen weder Häuser noch Menschen in der Straße zu sein.

„Die Lindhofer Damen,“ sagte Ceres, eine ziemlich compacte Blondine mit einem ganzen Erntesegen auf dem Kopfe. „Aber, mein Gott, was soll denn das heißen? … Sie ignoriren ja förmlich die Fenster des Doctor Fels! … Dort steht die Doctorin … ha, ha, ha, seht nur das lange Gesicht, das sie macht; sie hat zu grüßen versucht; aber die Damen haben leider am Hinterkopf keine Augen!“

Elisabeth sah nach dem gegenüberliegenden Haus. Dort stand eine sehr hübsche Frau, ein reizendes Blondköpfchen auf dem Arm, am Fenster. Es lag allerdings einiges Befremden in den schönen, blauen Augen, die dem Wagen folgten; aber lang war das blühende Oval ihres Gesichts durchaus nicht geworden. Durch eine Bewegung des Kindes veranlaßt, das seine Händchen nach den seltsam geschmückten Damenköpfen im Assessor-Hause streckte, sah sie herüber und nickte schelmisch lächelnd den Damen zu, die den freundlichen Gruß mittels Kußhänden und allerhand zärtlichen Pantomimen erwiderten.

„Sonderbar,“ sagte die Assessorin. „Was nur die beiden Damen haben mochten, daß sie ohne Gruß nach da drüben vorübergefahren sind! Bis jetzt haben sie noch nie die Straße passirt, ohne daß der Wagen gehalten hätte. Die Doctorin stand dann halbe Stunden lang am Wagenschlag und Fräulein von Walde schien sich sehr in der Unterhaltung mit ihr zu gefallen … die Baronin machte freilich manchmal ein saures Gesicht. … Wirklich merkwürdig; nun, die Zukunft wird ja zeigen, was dahinter steckt.“

„Herr von Hollfeld muß wohl in Odenberg geblieben sein.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_097.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)