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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Er war heute Morgen mit den Damen, als der Wagen bei uns vorüberfuhr,“ sagte Diana.

„Wie wird Fräulein von Walde die Trennung ertragen?“ meinte Flora spöttisch lächelnd.

„Steht es denn so mit den Beiden?“ fragte die Assessorin.

„Nun, wenn Du das noch nicht weißt, Kind; rief Ceres. „Wie er denkt und fühlt, darüber suchen wir freilich noch Aufklärung, daß sie ihn aber leidenschaftlich liebt, steht außer allem Zweifel. Es ist übrigens fast mit Gewißheit anzunehmen, daß diese Neigung einseitig ist; denn, ich bitte Euch, wie ist es möglich, daß ein so entsetzlich verkrüppeltes Wesen Liebe einzuflößen vermag! … Und nun gar einem so eiskalten Menschen, wie Hollfeld, der an den größten Schönheiten ungerührt vorübergeht!“

„Nun, den Reichthum kann er billiger haben,“ sagte Flora überlegen. „Er ist ja doch der muthmaßliche Erbe der beiden Geschwister.“

„Der Schwester, willst Du sagen,“ verbesserte die Assessorin. „Herr von Walde ist doch noch nicht zu alt zum Heirathen?“

„Ach, gehe mir doch mit dem!“ rief Ceres erzürnt, „die Frau müßte erst noch geboren werden oder geradezu vom Himmel niedersteigen, die dem zusagen sollte… Der ist aus lauter Hochmuth zusammengesetzt und hat noch weniger Herz, als sein Vetter. … Was habe ich mich als Mädchen über den geärgert, wenn er bei den Hofbällen in der Thür lehnte, die Arme verschränkt, als wären sie zusammengewachsen, und vornehm auf die Versammlung herabsah! Nur, wenn er von der Fürstin oder den Prinzessinnen zum Tanzen befohlen wurde, rührte er sich von der Stelle; und auch da hielt er’s nicht der Mühe werth, zu verbergen, daß er für diese Ehre keinen Pfifferling gäbe… Nun, wie er in Bezug auf Diejenige denkt, der er den stolzen Namen der Frau von Walde zu Füßen legen würde, das wissen wir ja, er hat’s rund heraus erklärt: Ahnen, Ahnen muß sie haben, und ihren Stammbaum wo möglich vom Männlein und Fräulein in der Arche Noah herleiten können.“

Alle lachten, nur Elisabeth blieb ernst. Fräulein von Walde’s Benehmen hatte einen tiefen Eindruck auf sie gemacht. Sie war empört und fühlte ihre Ansichten vom menschlichen Charakter gedemüthigt … War eine solche Wandlung in wenig Stunden wohl möglich? … Für Andere mit weniger idealer Anschauung wäre der unbegreifliche Zauber, den die Baronin Lessen auf Helene von Walde ausübte, sofort aufgeklärt worden durch den Ausspruch der Damen, daß das junge Mädchen den Sohn der Baronin liebe – für Elisabeth jedoch nicht. Jenes erhabene Gefühl, das die Dichter aller Zeiten und Zonen begeistert als das Lieblichste und Herrlichste auf Erden feierten, konnte doch unmöglich zur Triebfeder unedler Handlungen werden; ebensowenig konnte sie aber auch begreifen, wie Herr von Hollfeld ein solches Gefühl einzuflößen vermöchte. Er war durchaus nicht befähigt, das Ideal einer schönen, weiblichen Seele verwirklichen zu können. Er besaß weder Geist noch Witz. Bei alledem war er maßlos eitel und wollte nicht allein durch seine schöne Gestalt Interesse erwecken, er wußte recht gut, daß die meisten Frauen eher ein häßliches Aeußere, als den Mangel an innerem Fond verzeihen. Es blieb ihm mithin nichts Anderes übrig, als jene Verschlossenheit und Schroffheit des Wesens anzunehmen, hinter denen die Welt sehr leicht geneigt ist, durchdringenden Verstand, Originalität und Strenge der Ansichten zu vermuthen. Es gab keinen Mann in der Welt, der sich rühmen konnte, auf vertrautem Fuße mit Herrn von Hollfeld zu stehen; er war schlau genug, jeden Einblick in sein Inneres abzuwehren, und vermied streng jedes eingehende Gespräch mit Männern; den Damen genügte jene rauhe Schale vollkommen, um hier das Sprüchwort vom „desto süßeren Kern“ in Anwendung zu bringen. Herr von Hollfeld verstand zu rechnen. Er wurde der Gegenstand stiller Wünsche und Sehnsucht, wie ja das Eroberungsgelüst in der Schwierigkeit den Sporn findet. Was indeß Hollfeld’s Geist an Kraft und Feuer gebrach, das wurde vollkommen ausgeglichen im Gebiet der niederen Leidenschaften, unter denen die Habsucht und die sinnliche Liebe die Hauptstimme hatten. Um seine Stellung in der Welt zu einer glänzenden und angenehmen zu machen, scheute er keine Intrigue, er hatte den ergiebigsten Boden für dieselbe unter seinen Füßen, denn er war Kammerjunker am Hofe zu L. Er log und trog und war um so gefährlicher, als hinter seinem geraden, trockenen Wesen Niemand, nicht einmal die Männer, einen solchen Feind vermutheten, so wenig, wie die Frauen zugegeben haben würden, daß da, wo ihrer Ueberzeugung nach die köstliche Perle, die Liebe, noch unberührt schlief, eine unreine Flamme verheerend loderte.

Elisabeth war froh, als sie den Onkel um eine Ecke biegen und auf das Haus zukommen sah. Tief aufathmend saß sie endlich an seiner Seite im Wagen. Sie hatte den Hut abgenommen und badete die heiße Stirn in einem köstlich frischen Abendlüftchen, das leise vorüberstrich. Auf den schwach zitternden Blättern der Pappeln zu beiden Seiten der Fahrstraße glänzte der letzte Sonnenstrahl; auch über die blühenden Kartoffelfelder flog noch ein goldener Hauch, aber der Wald, der mit seinen Armen Elisabeth’s trautes Heim umschloß, lag dunkel und düster da drüben, als habe er bereits das sonnige Leben vergessen, das ihm doch heute bis in das innerste Herz geschlüpft war.

Der Oberförster hatte das schweigende junge Mädchen einige Mal von der Seite angesehen. Plötzlich nahm er Zügel und Peitsche in eine Hand, faßte mit der anderen Elisabeth’s Kinn und bog ihr Gesicht zu sich herüber.

„He, laß ‘mal sehen, Else!“ sagte er. „Was, zum Henker, hast ja zwei Runzeln auf der Stirn, so tief, wie der Sabine ihre Ackerfurchen! … Hat’s was gegeben da drin? Heraus mit der Sprache – Du hast Dich geärgert, nicht?“

„Nein, Onkel, Aerger war’s nicht, aber geschmerzt hat es mich, daß Du so Recht gehabt hast hinsichtlich Deiner Ansicht über Fräulein von Walde,“ entgegnete Elisabeth, indem ein tiefes Roth der Erregung über ihre Züge flog.

Sie schilderte ihm dann Helenens Benehmen und theilte ihm auch die Vermuthungen der Damen mit. Der Oberförster lächelte vor sich hin.

„Aber, Onkel,“ fuhr sie fort, „Du wirst doch nicht glauben, daß ein Mensch um einer solchen Neigung willen seine besseren Gesinnungen aufgiebt?“

„Um einer solchen Neigung willen, Kind, sind schon ganz andere Dinge geschehen, und wenn ich auch Fräulein von Walde’s Schwäche und Nachgiebigkeit durchaus nicht billige, weit entfernt, so beurtheile ich sie doch jetzt milder… Das ist die Macht, die uns selbst Vater und Mutter vergessen läßt um eines Anderen willen.“

„Ja, das eben kann ich mir ganz und gar nicht vorstellen, Onkel, wie man einen fremden Menschen lieber haben kann, als die eigenen Eltern,“ entgegnete Elisabeth eifrig.

„Hm,“ meinte der Oberförster und ließ die Peitsche leicht auf den Rücken des Braunen fallen, um ihn ein wenig anzutreiben. Diesem „Hm“ folgte ein leichtes Räuspern und dabei ließ er es bewenden.

„Siehst Du dort den schwarzen Strich über dem Walde?“ fragte er dann nach einem längeren Schweigen, während dessen er sich in seine eigene Vergangenheit versenkt hatte, indem er mit der Peitsche nach den immer näher rückenden Bergen zeigte.

„Ja wohl, das ist die Fahnenstange auf Schloß Gnadeck. Ich habe sie schon vorhin entdeckt und bin in diesem Augenblick unsäglich froh in dem Gedanken, daß dort ein Stückchen Erde ist, auf welchem wir heimisch sind, eine Stätte, von der Niemand in der Welt das Recht hat, uns zu vertreiben. Gott sei Dank, wir haben eine Heimath!“

„Und was für eine!“ sagte der Oberförster, während sein leuchtender Blick über die Gegend flog. „Als ich noch ein kleiner Junge war, da lebte schon die Sehnsucht nach den Thüringer Wäldern in mir, und daran war mein Großvater schuld mit seinen Erzählungen. Er hatte seine Jugendzeit in Thüringen verlebt und schüttelte Sagen und Märchen seiner Heimath förmlich aus dem Aermel. Nachdem ich denn meine Sache gelernt hatte, wanderte ich hierher. Damals gehörte noch der ganze Forst, den wir hier vor uns sehen, den Gnadewitzes; aber denen mochte ich nicht dienstbar sein, ich kannte diese Menschenschinder genug von meinem Vater her. Ich war der erste Ferber seit undenklichen Zeiten, der darauf verzichtete, in ihren Diensten zu stehen, und ließ mich beim Fürsten L. anstellen. Der Universalerbe des letzten Gnadewitz hat die großen Waldungen getheilt, weil der Fürst von L. seinen Waldbesitz zu vergrößern wünschte und sich diese Liebhaberei ein tüchtiges Stuck Geld kosten ließ. So kam es, daß ein lebhafter Wunsch meiner Jugend erfüllt wurde, denn ich wohne jetzt in dem Hause, das eigentlich die Wiege der Ferber ist … Du weißt doch, daß wir aus Thüringen stammen?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_098.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)