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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

indem sie mit einer leichten Verbeugung an ihm vorüber eilte, denn die Eltern traten eben aus dem Mauerpförtchen und gingen ihr einige Schritte entgegen. Sie waren besorgt heruntergeeilt, als sie Elisabeth’s Stimme und die eines fremden Mannes gehört hatten, und gaben ihr nun, nachdem sie ihr kleines Abenteuer erzählt hatte, einen sanften Verweis dafür, daß sie so rückhaltslos auf ein Gespräch eingegangen war.

„Deine Neckerei hätte sehr unangenehme Folgen für Dich haben können, mein Kind,“ sagte die Mutter. „Zum Glück sind es Männer von Bildung gewesen …“

„Männer?“ unterbrach sie das junge Mädchen erstaunt. „Es war ja ein einziger.“

„Nun, dann sieh Dich um,“ sagte der Vater, „dort kannst Du sie noch sehen.“

Wirklich tauchten da, wo der Weg anfing, steil abwärts zu laufen, noch einmal zwei helle Herrenhüte auf.

„Da kannst Du sehen, Mütterchen,“ meinte Elisabeth lachend, „wie wenig verfänglich die Begegnung gewesen ist. Der Eine hat sich nicht einmal aus dem Gebüsch heraus getraut, und hinter dem guten, alten Gesicht des Anderen steckt sicher auch nicht das Atom einer Banditenseele.“

Oben in ihrem Zimmer nahm sie vorsichtig den Kranz von der Stirn, legte ihn auf einen Teller und stellte Beides unter Beethoven’s Büste. Dann küßte sie den schlafenden Ernst auf die Stirn und sagte den Eltern gute Nacht.


7.

„Holla, Else, lauf’ nicht so!“ schrie der Oberförster, als er am andern Tag, die Büchse über die Schulter geworfen, in der dritten Nachmittagsstunde aus dem Walde trat und quer über die Wiese nach seinem Hause schritt.

Elisabeth flog den Berg herab, den runden Hut am Arm, statt auf den Flechten, die im Sonnenglanz weithin leuchteten, und lief, unten am Haus angekommen, lachend in die Arme des Onkels, die er ihr ausgebreitet entgegenhielt.

„Onkelchen, Onkelchen, was ich da habe!“ rief sie und zog behutsam eine kleine Schachtel aus der Tasche.

„Es ist für Dich,“ fuhr sie mit freudestrahlendem Gesicht fort indem sie den Deckel der Schachtel öffnete, in welcher der Oberförster auf einem grünen Blatte eine große citrongelbe Raupe mit schwarzen Punkten erblickte.

„Alle Tausendsapperment, Sphinx Atropos!“ rief er entzückt.

„Aber umsonst bekommst Du den Schatz nicht,“ wehrte Elisabeth den Onkel ab, der schon die Hand nach der Raupe ausstreckte „Du mußt mir zwölf baare Groschen dafür bezahlen.“

„Zwölf Groschen?“

„Billiger thue ich’s nicht. Wird doch manch altes, verschimmeltes Pergamentblatt, das man kaum anrühren möchte, so abscheulich. sieht es aus, gar manchmal mit Gold aufgewogen, sollte da so ein lebendiges Prachtstück der Natur nicht seine zwölf Groschen werth sein?“

„Altes, verschimmeltes Pergamentblatt, na, das sage einmal vor gelehrten Ohren, da wirst Du schön ankommen.“

„Ach, hier im frischen, freien Walde giebt es keine.“

„Nimm Dich in Acht – Herr von Walde –“

„Steckt in den Pyramiden.“

„Könnte aber plötzlich kommen und gewisse naseweise Fräulein zur Rechenschaft ziehen; ist ein Haupthahn der Gelehrtenwelt.“

„Nun, meinetwegen können sie ihm Denksäulen errichten und Lorbeeren streuen, so viel sie wollen, ich kann es ihm nicht vergeben, daß er über diesem todten Kram die Ansprüche vergißt, die das Leben an ihn zu stellen berechtigt ist, daß er vielleicht nach einem unversehrten Küchenzettel des Lucull, oder Gewißheit darüber sucht, ob die Römer in der That ihre Fische mit Sclavenfleisch fütterten, während die Armen auf seinen Gütern hungern und unter der Geißel der Baronin in ein modernes Sclavenjoch getrieben werden.“

„Heisa, dem mag sein linkes Ohr klingen! … Schade, daß er dies Glaubensbekenntniß nicht mit anhören kann… Hier also sind Deine zwölf Groschen, wenn’s nicht anders sein soll. Du willst Dir doch irgend einen Firlefanz, eine Feder oder solch’ einen Tand auf Deinen Hut dafür kaufen?“ sagte er lächelnd.

Sie hielt ihren Hut mit ausgestrecktem Arm von sich ab und betrachtete entzückt die zwei frischen Rosen, die sie in das einfach geschlungene schwarze Sammetband gesteckt hatte. „Sieht das nicht wunderlieblich aus?“ fragte sie. „Und glaubst Du, ich werde mein junges Haupt freiwillig unter düstere Federwolken stecken, wenn ich Rosen, frische Rosen haben kann? … Und da ist Deine Raupe, und nun sollst Du auch wissen, weshalb ich Dich gebrandschatzt habe… Heute Morgen war die Frau eines armen Webers aus Lindhof bei meiner Mutter und bat um eine Unterstützung. Ihr Mann ist gestürzt, hat sich Arm und Fuß verletzt und kann seit Wochen nichts verdienen. Die Mutter gab ihr altes Linnen und ein großes Hausbrod; mehr zu geben geht über ihre Kräfte, wie Du weißt… Sieh, hier habe ich fünfzehn Groschen aus meinem Sparschatz, mehr war zur Zeit nicht drin – drei desgleichen sind von Ernst, der am liebsten seine Bleisoldaten verkauft hätte, um der armen Frau zu helfen; dazu kommt der Preis für die Raupe, macht zusammen einen ganzen Thaler, und der wird sogleich in das Weberhäuschen getragen.“

„Läßt sich hören… Hier ist noch ein Thaler, und – Sabine,“ rief er in das Haus hinein, „hole ein tüchtiges Stück Fleisch aus dem Salzfaß und lege es zwischen grüne Blätter – das nimmst Du auch mit,“ wandte er sich wieder zu Elisabeth.

„Ach, Du lieber, prächtiger Onkel!“ jubelte das Mädchen, indem sie seine große Hand zwischen ihre schlanken Finger nahm und sich bemühte, sie herzhaft zu drücken.

Die alte Haushälterin trat aus der Thür, und während sie auf des Oberförsters Wink Elisabeth das Fleisch hinreichte, flüsterte sie ihm zu, Herr von Walde, der gestern spät Abends von seiner Reise zurückgekehrt sei, warte schon seit einiger Zeit auf ihn.

„Wo?“ fragte er.

„Hier unten in der Wohnstube.“

Sie standen aber gerade vor dieser Stube, und die Fenster waren offen. Elisabeth drehte sich überrascht um, konnte aber nichts entdecken, sie war feuerroth geworden. Der Onkel jedoch zog, ohne sich umzusehen, seinen Kopf auf eine unendlich komische Weise zwischen die Schultern, strich schmunzelnd seinen Bart und sagte leise mit unterdrücktem Lachen: „Da haben wir die Bescheerung; Du hast Dir ein gutes Süppchen eingebrockt, der hat Alles mit angehört.“

„Desto, besser,“ erwiderte das junge Mädchen und hob fast trotzig den Kopf, „er wird ohnehin selten genug die Wahrheit zu hören bekommen.“ Dann reichte sie dem Onkel und Sabinen die Hand zum Abschied und schritt langsam durch den Wald nach Lindhof zu.

Im ersten Augenblick war ihr der Gedanke peinlich gewesen, daß Herr von Walde ihr Urtheil über ihn so wider Willen hatte mit anhören müssen; dann aber meinte sie, ganz ebenso würde sie ihm ja auch die Wahrheit in’s Gesicht gesagt haben. Da aber nicht zu vermuthen stand, daß er sie je um ihr Gutachten befragen würde – ein Gedanke, der sie lächeln machte im Hinblick auf seine Unnahbarkeit – so konnte es ihm wirklich nicht schaden, daß ihn der Zufall zum Zeugen eines völlig unparteiischen Ausspruchs – wenn auch nur aus einem Mädchenmunde – gemacht hatte… Wie mochte es aber kommen, daß er so plötzlich und unerwartet zurückgekehrt war? Fräulein von Walde hatte stets ein mehrjähriges Ausbleibens ihres Bruders vorausgesetzt und war vorgestern noch gänzlich ahnungslos in Bezug auf seine Rückkehr gewesen… Die Begegnung am gestrigen Abend fiel ihr plötzlich ein. Der alte Herr hatte ja auch gesagt, er sei ein heimkehrender Reisender, aber er mit seinen gemüthlich lächelnden Zügen und seinem behäbigen Wesen war doch nun und nimmermehr der ernste, stolze Besitzer von Lindhof; dann wohl eher der Andere, der schweigend im Dunkel der Gebüsche gewartet hatte, bis seinem Begleiter die gewünschte Auskunft über das fragliche Licht zu Theil geworden war… Was aber mochte Herr von Walde von ihrem Onkel wollen, der, wie sie wußte, niemals in irgend welchem Verkehr mit ihm gestanden hatte?

Diese und ähnliche Gedanken beschäftigten sie lebhaft auf ihrem Wege nach dem Hause des Webers. Mann und Frau weinten vor Freude über die unverhofften Spenden, und von tausend Segenswünschen der armen Leute begleitet verließ Elisabeth das Häuschen.

(Fortsetzung folgt.)



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