Seite:Die Gartenlaube (1866) 123.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

und mich sieht; ich verlange das auf’s Strengste von Ihnen, Erlaucht!“

Die Erlaucht ging in heftigster Erregung hinaus. Draußen, auf dem Corridor, fand er Herder, eben so erregt auf- und abschreitend.

„Mein lieber Herder, Sie sehen mich auf’s Furchtbarste überrascht,“ flüsterte er ihm zu, „Sie sollten mystificirt werden, und nun bin ich’s, ärger als Sie …“

„Werde ich meine Braut jetzt sehen, Erlaucht?“ fragte Herder laut und heftig.

Der Graf fiel dem zornigen Mann in’s Wort. „Nein, nein, hören Sie mich zu Ende; die Dame, die Sie sahen, ist gar nicht Demoiselle Flachsland …“

„Und wer ist sie?“

„Es ist mir unmöglich, Ihnen ihren Namen zu nennen, aber …“

Ein bitteres Lächeln, welches den vollsten Unglauben an diese Worte ausdrückte, flog über Herder’s Züge.

„Es ändert nichts an meinem entschiedenen Willen und Verlangen!“ unterbrach er mit zorniger Bestimmtheit den Grafen.

„Willen, Verlangen!“ rief der Graf nun seinerseits außer sich gerathend aus. „Herr, ich sage Ihnen, hier in meinem Lande, in meinem Schlosse habe nur ich zu wollen, zu verlangen und zu gebieten. Ich befehle Ihnen auf’s Strengste, das Weitere abzuwarten; ich bitte Sie, lieber Hofprediger,“ setzte er dann plötzlich wieder milde und wie seines Zornes sich schämend hinzu, „haben Sie Geduld, Geduld, nur noch kurze Zeit; ich bin bald wieder bei Ihnen!“

Damit wandte er sich ab und eilte in das Zimmer der Prinzessin zurück, die Thüren sorgsam hinter sich schließend.

Die Prinzessin war indeß an’s Fenster getreten.

„Ich sehe,“ sagte sie, als der Graf sich ihr näherte, „es ist da draußen Alles zur Jagd bereit. Ich darf also Ihre Augenblicke nicht lange mehr in Anspruch nehmen …“

„Und Sie glauben, ich würde heute dieser Jagd folgen, Prinzessin,“ heute, wo diese himmlische Erscheinung mich hier fesselt und …“

„O gewiß,“ fiel die Prinzessin ein; „warum sollten Sie nicht? Ich habe nur Weniges noch zu sagen, und dann bin ich mit meinen Vorwürfen zu Ende.“

„Mit Ihren furchtbar ungerechten Vorwürfen, angebetete Sidonie … wenn Sie in mein Herz sehen könnten, das in so warmer, treuer, ehrlicher Gluth für Sie schlägt …“

„So würde ich dasselbe sehen, was in so vielen Männerherzen von heute ist, dasselbe, was in Herder’s Herzen ist für seine Caroline! Glauben Sie, ich hätte, indem ich hier erschien und als eine mahnende Gestalt aus dem Reich des geheimnißvollen Jenseits an Herder’s Auge vorüberschritt, dabei nur die Wirkung auf Ihren Hofprediger beabsichtigt? O nein, um ihn hätte Prinzessin Sidonie niemals eine so auffallende, seltsame, excentrische Handlung begangen. Das, was Sie, Graf, in mir erregt, trieb mich dazu; Ihretwegen allein konnte ich etwas thun, was kühle Menschen unweiblich, thöricht, compromittirend nennen werden. Sie wollte ich zur Einkehr in Ihr Inneres zwingen, Sie sollten sich sagen, wer der ist, an dem wir uns am schwersten im Leben versündigen. Es ist der, dem wir Gefühle vorspiegeln, die wir nicht wahrhaft und voll empfinden. Der, dessen Seele wir an uns rissen, um sie dann mit einer kühlen, idealen Freundschaft abzuspeisen, mit poetischen Ueberschwenglichkeiten, an denen keine gesund fühlende Natur ein Genüge findet. Der, in dem wir den Sturm erregen, ohne das Wort sprechen zu wollen, das den Sturm beschwichtigt; dem wir das Glück vorspiegeln, um ihm eine Tantalusqual daraus zu machen, in dessen Innern wir die Sehnsucht, das Verlangen, den Drang tiefster und rückhaltlosester Hingabe hegen, schüren, zur Flamme auflohen lassen, nur um an dieser Flamme unsere Eitelkeit zu wärmen. Das ist ein frevles Spiel mit einem Menschenherzen. Ein Weib, das dieses verruchte Spiel treibt, nennt man eine Kokette; den Mann aber, der es thut …“

„Einen koketten Narciß!“ rief der Graf sich von der Mercuriale aufrichtend, mit etwas gezwungenem Lächeln aus, „hätte ich je geahnt, daß ich in meinem ehrwürdigen Alter noch diesen Namen bekommen würde! Nein, Sie sind zu grausam, zu schonungslos, Sidonie, beim gerechten Gott, wenn Sie wüßten, wie ehrlich, „wie treu, wie ernst und tief meine Empfindung für Sie ist, wie ich auf Erden kein größeres Glück finden könnte, als wenn ich noch wagen dürfte, Erhörung zu hoffen, sobald ich …“

„O, fahren Sie nicht fort, fahren Sie nicht fort, nicht so war’s gemeint,“ unterbrach sie ihn hastig, „aber denken Sie denn wirklich anders? Soll ich Ihnen zeigen, wie Sie nicht allein gegen mich eine andere Sprache führen, als Ihr Herz sie Ihnen in voller Wahrheit dictirt, sondern auch schuld sind, daß andere Frauen durch eine solche Sprache unglücklich gemacht werden? Wollen Sie einen Beweis, daß Sie leichtsinnig, unredlich denken?“

„Einen Beweis? Und welchen könnten Sie mir geben? Ich verstehe Sie gar nicht!“

„Einen schlagenden Beweis! Es ist ein vorwurfsfreies zartfühlendes und gebildetes Mädchen an unserer Hofbühne angestellt, ich scheue mich nicht auszusprechen, daß ich, seit ich sie durch Caroline Flachland kennen lernte, ihr meine ganze Theilnahme zugewendet habe. Sie war in diesem Sommer in Eilsen. Dort hat einer Ihrer Officiere sie kennen lernen, ihr zu gefallen gewußt, durch eine ähnliche Sprache, wie Sie solche gegen Prinzessin Sidonie führten, ihr Herz gewonnen, die ganze Seele des unglücklichen Mädchens an sich gerissen. Statt nun jedoch mit Ernst darauf zu bestehen, daß jener Mann die Hoffnungen erfülle, die er geweckt, was thun Sie? Sie halten ihn ab, sie zu erfüllen; Sie verweigern ihm die Einwilligung; Sie geben ihm den schönsten Vorwand, sich der Lösung seines Worts zu entziehen, und verführen ihn, das betrogene Mädchen mit schönseligen Ergüssen sehnsüchtiger Schwermuth und mondscheinblauen Gefühlen für die volle, warme, ehrliche Hingabe ihres Herzens zu bezahlen! Das thun Sie, Graf Wilhelm, und ich frage Sie, ob Sie darin handeln wie ein redlicher, vorurtheilsloser, nur das Recht und das Gewissen zu Rathe ziehender Mann? Antworten Sie mir, mein erlauchter Graf!“

Graf Wilhelm konnte nicht umhin, sich zu gestehen, daß er ein wenig geschlagen sei.

„Aber bedenken Sie, Prinzessin, einer meiner Officiere und – eine Schauspielerin!“ fiel er ein.

„Einer Ihrer Officiere und – meine Freundin! behaupten Sie, daß die Partie zu ungleich sei?“

„Das sei fern von mir,“ antwortete der Graf eifrig, „und von dem Gesichtspunkte aus, unter dem Sie die Sache darstellen. …“

„Geben Sie die Einwilligung. Wohl, ich danke Ihnen; aber ich bitte Sie, dies sofort und schriftlich zu thun. Es liegt mir daran, meinen Schützling bald möglichst beruhigen zu können. Wollen Sie geruhen, Erlaucht?“

Sie trat zu dem Tische in der Ecke, auf dem Schreibmaterialien lagen.

„Was nicht, wenn Sie es wünschen, Sidonie?“ sagte der Graf. „Ich glaube, die Dame heißt Sponheim.“

„Antonie Sponheim!“ antwortete die Prinzessin.

Er folgte ihr zu dem Schreibtische und warf auf einen Bogen weißen Papiers die Worte:

„Ich gewähre Ihnen meine Einwilligung zu Ihrer Verbindung mit Demoiselle Antonie Sponheim.

Wilhelm, regierender Reichsgraf zu Schaumburg-Lippe.
An den Rittmeister Baron Fauriel.“

Die Prinzessin nahm das Papier und steckte es zu sich.

„Und nun müssen Sie zur Jagd aufbrechen, Erlaucht,“ sagte sie.

„Nimmermehr!“

„Doch, ich wünsche es!“

„Nur dies verlangen Sie nicht!“

„Doch, doch, ich bestehe darauf.“

„Und wenn Sie darauf bestehen, ich vermag es nicht … ich möchte von diesem Augenblick an nie in meinem Leben wieder von Ihrer Seite weichen!“

„Erlaucht, ich fordere es von Ihnen, daß Sie gehen, Sie sind es mir schuldig; welch’ Aufsehen würde es machen, wie würde die Aufmerksamkeit aller Ihrer Diener auf mich gelenkt, wie würde die Medisance, die Verleumdung freies Spiel gewinnen, wenn …“

„Sie haben vielleicht Recht, Sidonie,“ unterbrach sie der Graf, „aber vielleicht würde es einen Ausweg geben…“

„Welchen?“ Graf Wilhelm sah ein wenig zögernd und ängstlich in ihr Auge und suchte ihre Hand zu erfassen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_123.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)