Seite:Die Gartenlaube (1866) 130.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

aber vielleicht noch das schützende Dunkel der Halle, in welche sie an Elisabeth’s Hand eingetreten war, lösten endlich Bella’s Zunge. Sie bat leise um Verzeihung und versicherte, nie wieder so unartig sein zu wollen.

„Na, das wäre ja glücklich überstanden!“ rief der Herr, indem er sich an Miß Mertens’ Seite stellte und Elisabeth nun schelmisch lächelnd eine tiefe Verbeugung machte.

„Es mag Ihnen vielleicht sehr ungewöhnlich erscheinen,“ begann er, „daß ich, als nicht dazu gehörig, mich dieser Deputation in Sühne- und Ausgleichungssachen anschließe; allein ich bin der Ansicht, bei einem Act der Versöhnung sei man meist geneigt, ein Auge zuzudrücken und dies scheint mir ganz der geeignete Moment für einen Fremdling, sich einzuschmuggeln… Ich heiße Ernst Reinhard, bin Reisebegleiter und Secretär des Herrn von Walde und kenne seit acht Tagen kein sehnlicheres Verlangen als die interessante Familie im Schloß Gnadeck kennen zu lernen.“

Elisabeth reichte ihm freundlich die Hand. „Die alten Mauern haben bereits die Unthaten des Raubritterthums mit angesehen,“ entgegnete sie, „wir haben deshalb ganz und gar keine Ursache, die Schmuggelei zu verurtheilen… Sie werden meinen Eltern gewiß herzlich willkommen sein.“

Sie schritt voran und stieß die hohe Eichenthür auf, die nach dem Garten führte. Herr Reinhard und Miß Mertens blieben einen Augenblick überrascht stehen.

„Ist das ein reizendes, sonniges Fleckchen Abgeschiedenheit!“ rief Ersterer. „Wer sucht wohl, wenn er draußen vor den unheimlichen Mauern steht, dies junge, frische Herz hinter der alten, verwitterten Physiognomie!“

Die Eltern und der Onkel, die mit dem kleinen Ernst unter den Linden saßen, hatten sich beim Erblicken der Eintretenden erhoben und gingen ihnen entgegen. Elisabeth stellte gegenseitig vor und verschwand dann wieder im Haus, um auf den Wink der Mutter einige Erfrischungen für die Gäste zu besorgen. Als sie zurückkam, hatte Bella bereits Mantille und Sonnenschirm abgelegt. Sie saß mit strahlendem Gesicht auf einer Schaukel, die der Vater zwischen zwei Bäumen aufgehangen hatte. Ernst schaukelte sie und schien nicht wenig stolz auf seine neue Spielgefährtin zu sein.

„Wahrhaftig,“ sagte Reinhard, indem er auf Bella zeigte, die eben jubelnd hoch durch die Luft flog, „wer die Kleine heute Morgen gesehen hat, mit welch unkindlicher Haltung sie in Herrn von Walde’s Zimmer trat, ihn um Verzeihung zu bitten wegen der gestrigen Ungezogenheit, und wie sie zornig und trotzig zu ihm aufsah, als er ihr erklärte, daß er sie nicht eher wiedersehen wolle, als bis sie Fräulein Ferber persönlich um Verzeihung gebeten habe“ – hier wurde Elisabeth purpurroth, und beschäftigte sich eilends und angelegentlichst mit zwei großen Honigbroden, die sie für Bella und Ernst strich – „der erkennt sie schwerlich wieder dort in dem kleinen Ding, das die ganze harmlose Kinderfröhlichkeit im Gesicht trägt.“

Es war eine genußreiche Stunde, die nun folgte. Miß Mertens zeigte sich als sehr unterrichtet und gebildet, und Reinhard erzählte in höchst anziehender Weise von seinen Reisen und Forschungen.

„An die Heimkehr wäre wahrscheinlicherweise noch sehr lange nicht gedacht worden,“ schloß er eine interessante Reihenfolge von Mittheilungen über Spanien, „allein verschiedene sehr ungünstige Nachrichten aus Thüringen, die nacheinander einliefen, bewogen Herrn von Walde, einen Riß durch einen kaum entworfenen neuen Reiseplan zu machen … Dem Herrschsüchtigen passirt es eben manchmal, daß ihn die Begier blind macht … der unvorsichtig ausgesprochene Wunsch aus zarter, weiblicher Feder: Herr von Walde möge doch den guten, aber nun altersschwachen Ortsgeistlichen in Lindhof pensioniren, weil er stumpf und nicht mehr fähig sei, die Gemüther zu erbauen, setzte jenen unliebsamen Nachrichten die Krone auf und war die Veranlassung, daß sofort die Rückreise angetreten wurde. … Als wir spät Abends, in der Nähe von Lindhof Wagen und Chaussee verlassend, das letzte Stückchen Weg durch den Wald zu Fuße zurücklegten, stießen wir noch auf ein allerliebstes Abenteuer … ‚Merkwürdig, sehen Sie doch, Reinhard, für was halten Sie den Schimmer da droben auf dem alten Gnadeck?‘ fragte Herr von Walde. ‚Für ein Licht‘, war meine Antwort. ‚Das müssen wir näher untersuchen,‘ meinte er, und stieg aufwärts. Der Punkt wurde immer größer und ergab sich zuletzt zu unserem Erstaunen als zwei hohe hellerleuchtete Fenster. … Da trippelt es hinter uns leicht den Berg herauf, es flattert weiß durch die Büsche, und plötzlich schwebt ein Etwas auf die mondbeglänzte Lichtung, das ich für ein höheres Wesen halte … Ich bin der Beherztere, trete näher, immer fürchtend, die Lichtgestalt werde vor dem Hauch meines Mundes zerfließen – wehe, da öffnen sich die Lippen und erzählen von zwei gutgearteten Ziegen und einem allerliebsten Kanarienvogel.“

Ein allgemeines Gelächter folgte dieser Schilderung.

„Als wir den Berg wieder hinabstiegen,“ fuhr Reinhard fort, „sprach mein Herr keine Sylbe; allein gewisse Anzeichen lassen mich fürchten, daß ich damals nicht von Ihnen allein ausgelacht worden bin … Es wäre wahrlich nicht vom Uebel gewesen, wenn Sie uns als gute Fee begleitet hätten; aber aller Mondesglanz, alle Lieblichkeit blieben droben auf dem Bergrücken, während wir hinunter in den dunklen Thalschooß wandern mußten, wo eine dumpfe Schwüle brütete und wo uns Niemand, nicht einmal ein erwachendes Lüftchen, ein Willkommen in der Heimath entgegentrug … In Schloß Lindhof flogen zahllose Lichter eilig wie Irrwische an den Fenstern vorüber. Der Wagen mit dem Gepäck war vor uns eingetroffen und mußte mit seinem Rädergeroll eine ähnliche Wirkung hervorgebracht haben, wie man dem Donner beim jüngsten Gericht dereinst zuschreibt, denn es herrschte eine solche Aufregung in dem Hause, als wir eintraten, daß ich am liebsten meine Schritte wieder hinweggelenkt und mein müdes Haupt unter den ersten, besten, stilldunklen Busch gebettet hätte.“

„Na, es ist gut, daß wenigstens bei uns endlich Einer kam, der Kraft und Manneswillen genug hatte, zu gebieten: Bis hierher und nicht weiter! … Tausend noch einmal, das kam dahergebraust wie eine Sündfluth!“ sagte der Oberförster.

„Herr von Walde besitzt aber auch eine Energie, eine moralische Kraft wie selten ein Mensch,“ erwiderte Muß Mertens lebhaft. „Er hat einen verschlossenen Mund, doch, einen offenen Blick, und vor diesem Blick erschrickt die Angeberei, und Bosheit und Heuchelei verlieren Muth und Larve.“

Mittlerweile hatte Reinhard das Gemäuer des alten verfallenen Schloßflügels aufmerksam betrachtet, der nach Süden hin den Garten begrenzte. Es war ein höchst unregelmäßiger Bau. Drei ungeheure Spitzbogenfenster von tadelloser Form erhoben sich ungefähr sechs Fuß über dem Boden und stiegen durch zwei Stockwerke in die Höhe. Dicht neben ihnen trat eine Art Erker weit in den Garten herein und bildete eine tiefe Ecke; eine mächtige Steineiche erhob sich zwischen den zwei Mauern und streckte einzelne Aeste durch die zwei nächsten, scheibenlosen Fenster in den kühlen, luftigen Raum hinein, der einst die Schloßcapelle vorgestellt hatte und den man auf eine bedeutende Zuhörerschaft berechnet haben mußte, denn er nahm die ganze Tiefe des Flügels in Anspruch. Den genannten Fenstern lagen drei ganz gleiche gegenüber; sie waren Sturm und Wetter weniger preisgegeben und hatten oben in den feingemeißelten Steinrosetten einige bunte Glasstückchen bewahrt. Hinter ihnen erschien der düstere Hof mit seinen zusammensinkenden, gespenstigen Mauern, wie ein in Grau gemaltes Bild. Die Gartenseite des Flügels sah buntscheckig genug aus. Die schrankenloseste Willkür hatte Fenster und Zierrathen von allen Sorten zusammengewürfelt; diesem Aeußeren nach mußte das große Gebäude ein wahres Labyrinth von Gemächern, Gängen und Treppen in sich schließen. Der Erker war es zumeist, der den Bau gefahrdrohend erscheinen ließ. Er neigte sich bedenklich seitwärts und schien auf den Moment zu lauern, wo er das blühende Leben der Eiche unter seinen Steinmassen begraben würde. Er hatte sich übrigens kokett einen lebensfrischen Mantel über seine gebrechlichen Glieder gebreitet, ein undurchdringliches Epheugespinnst umwob ihn vom Boden bis zu dem zerklüfteten Dachstuhl und ließ weder Fenster noch Risse und Sprünge in dem Mauerwerk sehen. Einzelne Ranken waren hinter der Eiche vorüber geschlüpft, sie kletterten an den gelockerten Mauersteinen der Hauptfronte in die Höhe und umarmten keck die allerorten angebrachten Steinwappen, die grämlich genug unter dem aufgedrungenen Schmuck hervorsahen.

„Ich habe,“ sagte Ferber, „bald nach meiner Hierherkunft gerade diesen Flügel, so weit es möglich, zu durchforschen gesucht, denn er interessirt mich seiner eigenthümlichen Bauart wegen; allein ich kam nicht weiter, als in die Capelle, und auch hier erschien mir das Verweilen gefährlich. Sie sehen, das ganze obere Stockwerk

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_130.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)