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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Das Thurmzimmer.
Von Levin Schücking.
(Schluß.)


Graf Wilhelm traf Herder an demselben Ort, wie früher, und sandte ihn in’s Zimmer der Prinzessin. Dann eilte er die nöthigen Befehle zu ertheilen; die Hornfanfaren der Jäger weckten gleich darauf das Echo der alten Burgmauern, um das Signal zum Ausziehen zu geben, und bald darauf war der ganze Schwarm da unten im Hofe versammelt; zehn Minuten später war das kleine Schloß verlassen und menschenleer.

Der Tag war schön, die Jagdbeute war reich; aber Graf Wilhelm war an der Spitze seines fröhlichen Jagdgefolges heute eigenthümlich schweigsam und verschlossen. Niemand erinnerte sich, ihn je so völlig in sich versunken und theilnahmlos für Alles, was ihn umgab, gesehen zu haben. Auch zeigte er sich als einen der schlechtesten Schützen heute; nur ein einziges Häslein erlag seinem Geschoß. Und am frühen Nachmittage wurde die Jagd schon eingestellt, als die eifrigsten der Theilnehmer der Ansicht waren, daß die eigentliche Lust erst beginnen müsse.

Herder war sofort, als er des Grafen Erlaubniß endlich erhalten, in das Zimmer der Prinzessin geeilt. Der zornige Ausruf: „Caroline!“ der auf seinen Lippen lag, erstarb, als er in ein ihm ganz fremdes Antlitz blickte. Diese stolze Schönheit vor ihm hatte in Gestalt und Zügen Aehnlichkeit mit Caroline Flachsland, eine große Aehnlichkeit, aber sie selbst war es nicht; sie war schöner, höher, blendender als diese.

Ueberrascht stand er vor ihr.

„Herr Hofprediger,“ begann sie, nachdem sie mit einem huldvollen Wink ihn eingeladen, auf einem Stuhl in der tiefen Fensternische Platz zu nehmen, wo sie sich ihm gegenübersetzte, „wir sind Ihnen eine Erklärung schuldig, und ich bin bereit, sie Ihnen zu geben. Zuerst lassen Sie mich Ihnen sagen, daß an der Mystification, welche man sich mit Ihnen erlaubte und die an Ihrem unerhörten und völlig unmoralischen Mangel auch am leisesten Gespensterglauben scheiterte, Ihre Braut nicht den allermindesten Antheil hat. Mein Wort darauf, sie ahnt nicht das Geringste davon!“

Herder athmete sichtlich erleichtert auf.

„Ich danke Ihnen von Herzen für diese Versicherung,“ sagte er, „der ich unbedingt Glauben beimesse, wenn ich auch nicht weiß –“

„Wer sie Ihnen giebt? Sie haben Recht! Ich bin eine Freundin, eine Vertraute des edlen Mädchens, von dem wir reden, deren Werth Sie nie, niemals hoch genug anschlagen können, ich bin die Prinzessin Sidonie von Birkenfeld …“

Herder fuhr in die Höhe.

„Durchlaucht – Sie – Sie sind es? Caroline hat mir mit so begeisterten Worten von Ihnen geschrieben … o lassen Sie mich Ihnen alle Huldigungen darbringen, welche ein unter allen Frauen der Zeit so hervorleuchtendes Wesen verdient …“

„Bitte, bleiben Sie ruhig sitzen, Huldigungen verlange ich nicht, nur daß Sie mich ganz geduldig und sanft anhören und mein Verlangen erfüllen.“

„O reden Sie, Durchlaucht!“

„So hören Sie. Ich stand zu dem Grafen Wilhelm in einem ähnlichen Verhältniß, wie Sie zu dem Mädchen, das ich mit Stolz meine Freundin nenne. Ich spielte in der vergangenen Nacht eine Rolle, die Sie gegen Caroline empört hat, die Sie ihrer unwürdig fanden. Nun wohl, Sie sehen, Sie thaten ihr Unrecht. Ich spielte die Rolle. Und was gegen Sie gemünzt schien, das sollte allerdings auch Ihnen eine Mahnung sein, denn Sie haben Unrecht, Sie betragen sich gegen Ihre Braut gewissenlos. Aber gerichtet war das Ganze ebenso sehr wider den Grafen; mir lag der Gedanke, daß der Graf bei der Operation, die Ihnen den Splitter aus dem Auge ziehen sollte, an den Balken in seinem eigenen denken würde, zunächst. Darum handelte ich, thöricht, kindisch vielleicht … ich überlasse Ihnen es zu nennen, wie Sie wollen, aber ich verlange von Ihnen, daß Sie dem Grafen, der die Sache als einen harmlosen Scherz nahm, verzeihen!“

Herder hatte ihr äußerst überrascht zugehört.

„Ich verstehe, Durchlaucht,“ sagte er jetzt, „am französischen und spanischen Hofe wurden ehemals junge Edelleute neben den Prinzen erzogen, welche die Prügel erhielten, die sich die kleinen königlichen Hoheiten verdient hatten. Ich habe Euerer Durchlaucht als Prügelknabe gedient!“

Die Prinzessin lächelte.

„Sie dürfen es allerdings am Ende so nennen. Doch litten Sie auch für eigene Schuld. Wollen Sie das einsehen, mir bekennen und mir versprechen, dem Grafen zu verzeihen? ihm keinerlei Groll nachzutragen?“

Wer hätte dem huldvollen, bezaubernden Lächeln der hohen Dame widerstehen können? Herder hatte seinen Groll längst dahinschmelzen gefühlt.

„Wälzen Sie alle Schuld auf mich,“ fuhr sie fort. „Und nun, da ich Ihr Versprechen habe … nicht wahr, ich habe es? nun führen Sie mich augenblicklich aus diesem Schlosse fort, so daß Niemand uns sieht. Begleiten Sie mich, da Sie doch einmal von der Jagd sich ausgeschlossen haben, nach meiner Wohnung in Eilsen zurück. Wollen Sie? Es ist vielleicht viel verlangt, aber ich kann dem Wunsch nicht widerstehen, länger in der Gesellschaft eines Mannes wie Herder zu sein.“

„Gebieten Sie über mich, Durchlaucht,“ fiel Herder entzückt ein, die Huld der Prinzessin hatte den letzten Rest von Unmuth in ihm geschmolzen.

„Gehen Sie, sich fertig zu machen,“ antwortete sie, „mein Mädchen packt eben meine Sachen drinnen zusammen, in zehn Minuten erwarte ich Sie.“

„Wollen Sie auch dies zu Ihren Sachen legen lassen?“ fragte Herder lächelnd, einen Papierstreifen aus der Brieftasche hervorziehend.

„Was ist das? Ach, ein Stück eines Billets von Caroline, ein Lesezeichen, das mir entfiel; nein, das dürfen Sie als Andenken behalten!“


5.

Als Herder für den Ausflug nach Eilsen fertig und gerüstet in das Vorzimmer der Prinzessin trat, fand er sie beschäftigt, einen Brief zu siegeln und zu adressiren, den sie eben geschrieben hatte. Er lautete:

„Prinzessin Sidonie ist gegangen und Sie werden sie hier nicht wiedersehen, erlauchter Graf, weder hier, noch in Eilsen. Sie hat vollführt, was sie gewollt; weshalb sollte sie noch länger weilen? Sie hat zwei Männer an die Wahrheit gemahnt, einen Schriftsteller, dem man die Wahrheit selten, und einen Fürsten, dem man sie nie sagt. Und nur das wollte sie. Wollen Sie Sidonie wiedersehen, so suchen Sie dieselbe auf in ihrer Heimath, in ihrer Angehörigen Mitte, in ihren eigenen Räumen daheim, wo Sie längst erwartet wurden. Vielleicht tritt Ihnen Prinzessin Sidonie dort jedoch in einer anderen Gestalt entgegen, und Sie sagen sich, diese Sidonie sei nicht die, welche Sie heute sahen. Möglich … eine persische Mythe sagt, über jedem Menschen schwebe das reine Gedankenleben desselben als seine zweite Gestalt, als sein Urbild. Sagen Sie sich also, es sei heute diese zweite Gestalt Sidoniens vor Sie hingetreten, nur ihr reines Gedankenleben, der ganze Inhalt dessen, was sie glaubt und fühlt und wie sie urtheilt, sei Ihnen erschienen, um sich vor Ihnen auszusprechen. Nur das, ohne daß die irdische Gestalt der Prinzessin irgend etwas davon geahnt, davon gewußt, was ihre seelische Doppelgängerin gethan. Vielleicht auch – Sie wissen, daß die Menschen, welche so sensitive Naturen sind, wie Prinzessin Sidonie, in einen magnetischen Schlummer verfallen können, während dessen ihre Seelen sie verlassen und sich weit, weit fort über Länder und Gebirge versetzen, um da zu erscheinen, wohin Sehnsucht und Liebe sie ziehen. Denken Sie, so sei’s gewesen, wenn Prinzessin Sidonie Ihnen ableugnen sollte, heute in dieser stillen Waldburg gewesen zu sein, Sie gesehen, mit Ihnen geredet zu haben … denken Sie, die magnetisch entrückte Seelengestalt Ihrer Freundin sei Ihnen erschienen. Sie haben begonnen, Geister zu citiren, sie zum Scherze in Ihr Haus locken wollen, nun dürfen Sie sich nicht beklagen, daß sie gekommen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_135.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)