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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Aber entlassen kannst Du ihn, wenn er eine Wahl trifft, die Deinen nächsten Anverwandten den Aufenthalt in Deinem Hause verleidet.“

„Auch das kann ich nicht, denn er ist lebenslänglich bei mir angestellt, und ich habe soeben seiner zukünftigen Frau im Fall seines Todes eine Pension zugesichert… Uebrigens bist Du doch ein klein wenig im Irrthum, beste Cousine, wenn Du glaubst, es könne mich irgend etwas in der Welt bewegen, einen Menschen, den ich einmal als treu und zuverlässig erkannt habe, von mir zu lassen… Ich bin mit Reinhard’s Wahl vollkommen einverstanden und habe ihm die hübsche, große Erdgeschoßwohnung im nördlichen Flügel für alle Zeiten angewiesen … er wird auch seine Schwiegermutter zu sich nehmen.“

„Nun, ich gratulire ihm zu dieser vortrefflichen Acquisition,“ entgegnete die Baronin und ihre scharfe Stimme wankte im verhaltenen Zorn. „Nur Eines erlaube ich mir zu bemerken, ich kann es nicht über mich gewinnen, die Person auch nur einen Tag länger um mich zu dulden, mag sie sehen, wo sie bis zu ihrer Hochzeit unterkommt… Hoffentlich wirst Du einsehen, lieber Rudolph, daß die interessanten Brautleute unter den obwaltenden Umständen nicht unter Einem Dache bleiben dürfen.“

„Wenn Sie mir erlauben wollten,“ wendete sich hier Elisabeth an Helene, „so möchte ich meine Eltern bitten, die Braut aufzunehmen; wir haben Raum genug!“

„Ach ja, thun Sie das; besser könnte die Frage nicht gelöst werden,“ antwortete Fräulein von Walde und reichte Elisabeth die Hand. Die Baronin schoß einen wüthenden Blick auf Elisabeth.

„Nun, da wäre ja jetzt die Sache zur allseitigen Zufriedenheit geordnet,“ sagte sie, mühsam ihre Fassung behauptend. „Ich bescheide mich und will in Demuth abwarten, ob mir die zukünftige Frau Secretärin ein Plätzchen übrig lassen wird, wo ich vor ihrem widerwärtigen Anblick sicher bin… Apropos, Fräulein Ferber,“ fuhr sie nach einer Weile in leichtem Ton fort, „da fällt mir eben ein, daß Ihr Honorar für die Stunden bereits seit einigen Tagen in den Händen meiner Kammerfrau ist … klopfen Sie im Vorübergehen bei ihr an, sie wird Ihnen das Geld geben, sammt Berechnung, die ich aber zu quittiren bitte.“

„Aber, Amalie!“ rief Helene, sich erschrocken aufrichtend.

„Ich werde Ihrem Befehl nachkommen, gnädige Frau,“ entgegnete Elisabeth ruhig. Sie hatte bemerkt, wie bei den Worten der Baronin in Herrn von Walde’s Auge ein zorniger Blitz jäh aufgeflammt war, es hatte ausgesehen, als ob eine dunkle Wetterwolke über seine Stirn hinziehe; aber schon im nächsten Augenblick waren diese Zeugen innerer Bewegung einem unbeschreiblich sarkastischen Ausdruck gewichen.

„Wenn ich Ihnen rathen soll, Fräulein,“ wandte er sich an das junge Mädchen, „so wagen Sie sich nicht so ohne Weiteres in die Appartements der Frau Baronin – es geht um dort – ja, lächeln Sie nur, ich weiß das ganz genau. Böse Geister zeigen sich am hellen Tage, und ihr Thun und Treiben hat schon manches Unheil gestiftet… Kümmern Sie sich nicht weiter um die berührte Sache, mein Hausverwalter soll sie in Ordnung bringen; er ist zuverlässig und behandelt dergleichen Angelegenheiten mit so viel Tact, daß er darin selbst Damen beschämen könnte.“

Die Baronin rollte ihre Arbeit hastig zusammen und stand auf.

„Es wird gut sein, wenn ich für den Rest des Tages mein einsames Zimmer aufsuche,“ wendete sie sich mit zuckenden Lippen an Helene. „Es giebt Augenblicke, wo man mit den harmlosesten Absichten und Worten verstößt und sich zu seinem Schmerz mißverstanden sieht … Ich bitte also, mein Nichterscheinen beim Thee zu entschuldigen.“

Sie machte eine unceremonielle Verbeugung vor den Geschwistern, ergriff den Arm ihres Sohnes, der sehr verlegen aussah, und rauschte zur Thür hinaus.

Helene erhob sich mit Thränen in den Augen und wollte ihr nachgehen, aber ihr Bruder faßte mit sanftem Ernst ihre Hand und zog sie wieder neben sich auf das Sopha.

„Willst Du mir nicht wenigstens so lange Gesellschaft leisten, bis ich meinen Kaffee getrunken habe?“ fragte er freundlich und so unbefangen, als sei nicht das Mindeste vorgefallen.

„O ja, wenn Du es wünschest,“ antwortete sie zögernd und die Augen von ihm abwendend, „aber so leid es mir auch thut, muß ich Dich doch bitten, ein klein wenig zu eilen, denn Fräulein Ferber ist zur Stunde gekommen und hat schon ungebührlich lange warten müssen.“

„Nun, dann wollen wir gleich gehen, aber ich mache eine Bedingung, Helene.“

„Und die ist?“

„Daß ich zuhören darf.“

„Nein, nein, das geht wirklich nicht … Ich bin noch zu weit zurück, Deine Ohren würden die mangelhafte Stümperei nicht ertragen!“

„Armer Emil!… Er ahnt sicher nicht, daß er die Gunst, zuhören zu dürfen, seinen ungebildeten Ohren verdankt!“

Helene wurde dunkelroth. Sie hatte ihrem Bruder bisher nichts von Hollfeld’s Besuchen gesagt, aus leicht erklärlichen Gründen. Uebrigens war sie auch der Meinung gewesen, daß er darüber sehr gleichgültig denken würde, und nun legte er, wie es schien, Gewicht darauf. Sie kam sich vor wie eine ertappte Lügnerin und war im ersten Augenblick sprachlos. Elisabeth ahnte, was in ihr vorging; sie wurde mit ihr verlegen und fühlte, wie ihr plötzlich eine Purpurgluth in das Gesicht stieg. In diesem Moment wandte Herr von Walde den Kopf nach ihr; ein forschender, scharfer Blick flog über ihr Gesicht, und zugleich erschien eine finstere Falte zwischen seinen Augenbrauen.

„Spielt Fräulein Ferber auch ihre Phantasien in diesen sogenannten Uebungsstunden?“ fragte er, rascher als gewöhnlich, seine Schwester.

„O nein,“ entgegnete diese, froh ihre Fassung wieder gewonnen zu haben, „dann würde ich doch wahrhaftig nicht von Stümperei sprechen … Ich habe Emil auch nur den Zutritt gestattet, weil ich denke, man müsse die erwachende Liebe zur Musik pflegen, wo man sie finde.“

Ein leises Lächeln glitt über Herrn von Walde’s Gesicht, aber es war nicht jenes Lächeln, das neulich einen so eigenthümlichen Reiz für Elisabeth gehabt hatte. Die finstere Falte verschwand nicht, und auch sein Auge hatte etwas Düsteres, als er das junge Mädchen abermals durchdringend ansah.

„Du hast Recht, Helene,“ sagte er endlich kalt und nicht ohne einen Anflug von Spott. „Aber welcher Magnet muß in diesen musikalischen Uebungen liegen, daß solche Wunder geschehen! … Noch vor ganz kurzer Zeit hörte Emil das Gebell seiner Diana lieber, als die Beethoven’schen Sonaten.“

Helene schwieg und senkte die Augen.

„Da fällt mir eben die arme Miß Mertens ein,“ nahm ihr Bruder plötzlich in gänzlich verändertem Ton wieder das Wort. „Wäre es nicht zweckmäßig, wenn Fräulein Ferber vor Allem diese Angelegenheit in Ordnung brächte?“

„Ei freilich,“ entgegnete Helene, den Gedanken mit Hast ergreifend, denn er gab ja dem peinlichen Gespräch eine andere Wendung. „Wir wollen lieber die Stunde für heute streichen, damit Sie, liebes Kind,“ wendete sie sich an Elisabeth, „die nöthigen Schritte thun können … Gehen Sie also jetzt zu Ihren Eltern und bitten Sie auch in meinem Namen um Aufnahme der armen Miß.“

Elisabeth erhob sich. Zu gleicher Zeit stand auch Helene auf. Als ihr Bruder bemerkte, daß sie den Pavillon verlassen wollte, schlang er rasch seine Arme um die kleine Gestalt, hob sie wie eine Feder vom Boden auf und trug sie hinaus auf den Wagen, der vor der Thür stand. Nachdem er die Kissen stützend hinter ihrem Rücken geordnet und ihre kleinen Füße sorgsam mit einem Shawl bedeckt hatte, lüftete er den Hut leicht vor Elisabeth, wobei sie bemerken mußte, daß sich die Wolke zwischen den Brauen noch nicht verzogen hatte, und schob den Wagen auf den nächsten Weg, der nach dem Schlosse führte. –


10.

Die Eltern erklärten sich sofort mit Elisabeth’s Bitte und Vorschlag einverstanden, und diese eilte unverweilt wieder hinunter in’s Schloß, Miß Mertens im Namen der Eltern einzuladen, Als sie in das Zimmer der Erzieherin trat, lehnte diese mit gefalteten Händen an der Wand. Zu ihren Füßen stand ein halb gepackter Koffer, Schränke und Kommoden standen offen und die Stühle lagen voll Bücher, Kleidungsstücke und Wäsche. Das junge Mädchen eilte auf die Gouvernante zu, schloß sie in ihre Arme und hob das von Thränen überströmte Gesicht in die Höhe, aber unter den hellen Tropfen strahlte das Glück.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_148.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)