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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

verlangen wollte, daß sie ihn kennen und in Ansehung seiner richtige Begriffe von ihm haben sollte.“

Das geistliche Gericht, erklärte trotz dieser Vertheidigung in seinem Berichte an das Ministerium: „daß der Angeklagte Lehrer der Religion nicht heißen, sein und bleiben könne.“

Damals regierte noch Friedrich der Große, und unter ihm der freisinnige Minister von Zedlitz, ein Mann von hellem Verstande und vorurtheilsfreiem Blick. Derselbe beschied das Consistorium: „Es hat der Prediger Schulz sein Buch ohne alle Rücksicht auf irgend eine Religion, wie dessen Inhalt und schon der Titel besagt, geschrieben und als Schriftsteller die wider ihn deshalb angestellte Rüge nicht verdient, welche Wir auch daher gänzlich niederzuschlagen befehlen. Gegen das Publicum, für welches das Buch sein soll, mag der Verfasser die darin enthaltenen philosophisch-speculativen Sätze vertheidigen, zu deren Prüfung und Beurtheilung aber Leute, die seine Gemeinde ausmachen, nicht aufgelegt sind und keinen Beruf haben. Diese aber im Guten fest zu erhalten und nicht wankend zu machen, auch ob des Endes ihr Seelsorger, als Lehrer der Religion, seine Gemeinde zu guten Menschen zu bilden, ihren Willen auf’s Gute zu lenken, ihre Neigungen und Empfindungen zu veredeln sich angelegen sein lasse und ob sein Wandel diesem Zwecke entspreche, sind die eigentlichen Dinge, worauf Ihr, als ein den Predigern und Gemeinden vorgesetztes geistliches Collegium, zu achten habt.

Dieser Ausgang mußte natürlich die Feinde und Gegner des ehrlichen Schulz nur noch mehr erbittern. Einstweilen entsagten sie jedoch, so lange Friedrich der Große noch lebte, jeder weiteren Verfolgung, von deren Nutzlosigkeit sie sich überzeugt hatten.

Als jedoch Friedrich Wilhelm der Zweite zur Regierung gelangte und durch den pietistischen Minister von Wöllner das berüchtigte Religionsedict erlassen wurde, häuften sich die Denunciationen und Angriffe gegen den freisinnigen Prediger. Zwei Lehrer, Michaelis jun. und Ahrend, übernahmen die gehässige Rolle der Ankläger in einem Briefe, welchen der Minister Wöllner dem betreffenden Inquirenten selbst übergab.

Zu dem Vorwurf des religiösen Unglaubens gesellte sich noch die politische Beschuldigung, daß der Zopfschulz in einer Predigt sich dahin geäußert: „Da sieht man, wie die Wahrheit Beifall findet; das Volk sieht’s gleich ein, und ist dies nur erst erleuchtet, so wird Alles nach dem Volke gehen, denn die Macht ist ja in den Händen des Volkes.“

Auf den Vortrag des Cultusministers von Wöllner befahl der König die Einleitung der Untersuchung in einer besonderen Cabinetsordre. „Ich höre,“ lautet dieselbe, „von dem längst berüchtigten Prediger Schulz zu Gielsdorf, desgleichen von dem Prediger Stark zu Berlin so viele böse Dinge, daß ich unmöglich dazu stille schweigen kann, sondern Euch hierdurch ernstlich anbefehlen muß, die Sache gründlich und nach aller Strenge untersuchen zu lassen.“

Zunächst wurde der Angeklagte wegen seiner Lehren und Ansichten vernommen. Offen und freimüthig bekannte er sich zu dem reinen Glauben, wie ihn Christus selbst gelehrt, indem er den Grundsatz festhielt: „Nicht die Andachtsübungen und Gottesdienste, sondern die rechtschaffene, moralische Denkungs- und Handlungsart, die sich der Mensch hier zu eigen macht, und insonderheit die treue und geflissentliche Ausübung der Menschenliebe in allen ihren Pflichten, die sie in sich faßt, machen den Menschen für diese und die künftige Welt glücklich und selig.“

Zugleich berief er sich wie Luther auf die Bibel, auf die Freiheit des Gewissens und vor Allem auf die Unsträflichkeit seines Lebenswandels und die Zustimmung seiner Gemeinde, welche ihm das beste Zeugniß und wiederholte Zeichen der treuesten Anhänglichkeit gab.

Da sich im Publicum das Gerücht verbreitet hatte, der König würde die Acten an die Oberlandesregierung zu Breslau zur Aburtelung senden, oder gar eine Immediat-Commission ernennen, so protestirte der Vertheidiger des Angeklagten gegen eine derartige Maßregel, worauf die Sache dem Kammergericht in Berlin überwiesen wurde.

Damals gab es noch Richter in Berlin. Noch war das Kammergericht das heilige Palladium der Gesetze, ein Bollwerk gegen die Gewalt und die Willkür der Cabinetsjustiz. Mit Stolz und Ehrfurcht blickte das preußische Volk, mit Neid das übrige Deutschland auf dies herrliche Institut. Das Kammergericht leitete die Untersuchung ein und hörte den Beklagten, der wiederholt versicherte, von den Grundwahrheiten der Lehre Jesu in seinen Predigten nie abgewichen zu sein. In Folge dieser Behauptung forderte das Gericht das Ober-Consistorium auf, die folgenden fünf Fragen zu beantworten: 1) Ob die Lehre Jesu sämmtliche Grundwahrheiten der christlichen Religion enthalte und worin diese bestehen? 2) Ob außer der Lehre Jesu noch andere Grundwahrheiten der christlichen Religion vorhanden und worin diese bestehen? 3) Ob die Grundwahrheiten der lutherischen Confession mit den Grundwahrheiten der christlichen Religion übereinstimmen und worauf ihre Nichtübereinstimmung sich gründe? 4) Was es mit den sogenannten Glaubenslehren für ein Bewandniß habe und ob dieselben die Grundwahrheiten der Religion und der lutherischen Confession insbesondere ausmachen? 5) Ob der Prediger Schulz bei seinen Lehren von der christlichen Religion überhaupt oder von der lutherischen Confession abgewichen sei?

Der König, der an den Verhandlungen den lebhaftesten Antheil nahm, fand die Fragen des Kammergerichts „sehr wunderlich“ und bedeutete den Präsidenten des Consistoriums nur darüber eine Meinung abgeben zu lassen: „ob der Prediger Schulz dem Religions-Edict conform gelehrt habe und also ein lutherischer Prediger sei oder nicht?“ Dagegen remonstirte das Kammergericht, daß ein solches Verfahren die Sicherheit eines Angeschuldigten und die Festigkeit der richterlichen Entscheidung in Gefahr setzte. „Ein solches Verfahren,“ hieß es in der Beschwerde desselben, „ist ein offenbarer Eingriff und eine Verhinderung der reinen und lauteren Rechtspflege.“ Hierauf erfolgte das Gutachten der Ober-Consistorialräthe, unter denen sich der berühmte Propst Teller am entschiedensten zu Gunsten des Angeklagten aussprach. Nach seinem besten Wissen und Gewissen erklärte dieser: „Nach der Theorie des Protestantismus und des Lutherthums giebt es nur zwei Grundwahrheiten: Die erste: Ein Jeder ist in Glaubenssachen sein eigener Richter. Die zweite: Die heilige Schrift ist die alleinige Quelle der daraus herzuleitenden Lehren, wobei aber unbestimmt gelassen, wie viel Bücher dazu gerechnet werden müssen, und dies nach dem ersten Grundsatze nicht für jede und auf alle Zeiten bestimmt werden könnte. Hiernach kann der Schulz überhaupt ein lutherischer Prediger sein.“ Auch die meisten der übrigen Consistorialräthe wagten nicht, dem Angeklagten unbedingt das Prädicat eines christlichen Lehrers abzusprechen.

Nach Anhörung der Sachkundigen fällte das Kammergericht sein Urtheil: daß der Prediger Schulz zwar für keinen lutherischen Prediger zu achten, dennoch aber als ein christlicher Prediger mit seiner christlichen Gemeinde zu dulden und bei seiner Lehre zu schützen sei.“

Als das Urtheil dem Könige zur Bestätigung vorgelegt wurde, änderte er dasselbe willkürlich dahin ab, daß der Angeklagte für einen protestantisch-lutherischen Prediger nicht zu achten, solchem nach derselbe dieses Amtes bei den lutherischen Kirchen zu Gielsdorf, Wilkendorf und Hirsche zu entsetzen, auch in die Kosten der Untersuchung zu verurtheilen.

Zugleich entlud sich der Zorn des Monarchen über die kühnen Räthe des Kammergerichts und über das Haupt des freisinnigen Propstes Teller. „Da das Kammergericht,“ lautet die Cabinetsordre an den Minister von Wöllner, „sich unterstanden hat, den Schulz, ohngeachtet seiner abscheulichen Behauptungen gegen die Grundlehren der christlichen Religion, dennoch als Volkslehrer beizubehalten, so habe ich dem Großkanzler meine Meinung gesagt und die pflichtvergessenen Räthe in Strafe genommen. Es erhellet aber aus den in der Sentenz enthaltenen Gründen, wodurch dies Verfahren gerechtfertigt werden will, daß der Propst Teller durch sein Votum dazu Gelegenheit gegeben und das Kammergericht verführt hat. Dafür muß er bestraft werden, und Ihr sollt ihn daher drei Monate von seinem Amt suspendiren, das Gehalt auf diese Zeit einziehen und an das Armendirectorium auszahlen lassen, welches angewiesen ist, dies Geld zum Besten des Irrenhauses zu verwenden.“

Den Räthen des Kammergerichts wurde ebenfalls der dreimonatliche Betrag ihrer Besoldung als Strafe entzogen und ihnen außerdem in einem besondern Handschreiben der Vorwurf der Unfähigkeit und Unredlichkeit gemacht, wogegen sie jedoch in einer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_158.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)