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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Täglich mit einer namhaften Rolle beschäftigt – als Director sagte er mir einst, er sei sein fleißigstes Mitglied – spielte er doch nur mit Widerwillen, kam erst in der letzten Minute seiner Verpflichtung, nach, war in der Garderobe, fünf Minuten vor dem Auftreten, noch der mißmuthige, faule Nestroy, der sich aber, sobald er die Scene betrat, mit Blitzesschnelle in den genialen, geistreichen Künstler verwandelte. Director Carl pflegte das Talent seiner Komiker in jeder nur denkbaren Weise auszubeuten, unter Anderem auch dadurch, daß er denselben kleine Rollen in ernsten, ja selbst in classischen Stücken aufbürdete, um die Zugkraft dieser Stücke zu erhöhen. Nestroy und Scholz nahmen sich vor, ihrem Chef dies in ihrer Art ein für allemal gründlich abzugewöhnen, und als ihnen dieser einst die Rollen der beiden Wächter des Hutes in Schiller’s Tell octroyirte, setzten sie dies Vorhaben in folgender Weise in Scene. In der bekannten dritten Scene des dritten Actes erschien Nestroy als Frießhardt mit einem riesigen Bart, Scholz als Leuthold mit glattem Gesicht, knallrothen Backen und über den Augen zwei schwarzen, kurzen, dicken, aufrechtstehenden Wülsten, welche die Brauen vorstellen sollten. Mit steinernem Ernst, der um so drastischer wirken mußte, nahmen die Söldlinge den Tell – von Kunst dargestellt – gefangen, „weil er dem Hut nicht Reverenz bewiesen“. Bis dahin lief die Sache leidlich ab, bis der böse Landvogt, mit großem Gefolge, Rudolf, Bertha und Rudenz, auf die Scene tritt und von den Wächtern erfährt, daß Tell gefangen sei, weil „er dem Hut nicht Reverenz bewiesen“.

Erzürnt spricht nun der Landvogt: „Verachtest Du so Deinen Kaiser, Tell –“

Nestroy als Frießhardt einfallend: „Daß Du dem Hut nicht Reverenz beweisest?“

Geßler (mit abwehrender Bewegung gegen Nestroy fortfahrend): „Und mich, der hier an seiner Statt gebietet –“

Scholz als Leuthold: „Daß Du dem Hut nicht Reverenz beweisest.“

Geßler: „Daß Du die Ehr’ versagst dem Hut, den ich zur Prüfung des Gehorsams aufgehangen?“

Nestroy, wie oben: „Daß Du demselben nicht Reverenz beweisest?“

Tell: „Verzeiht mir, lieber Herr! Aus Unbedacht, nicht aus Verachtung Euer ist’s geschehn. Wär’ ich besonnen –“

Scholz: „Würde er dem Hute Reverenz bewiesen haben.“

So ging die Scene fort, in immer unpassenderer, störenderen Weise, bis die Darsteller der ernsten Rollen sich vor Verlegenheit nicht mehr zu fassen wußten und die Zuschauer in ein nicht enden wollendes, brüllendes Gelächter ausbrachen. Wenn der Landvogt Tell befahl, die Armbrust zu nehmen, so rieth ihm Scholz, dem Hute Reverenz zu beweisen; wenn Geßler den armen Vater höhnte, daß er das Seltsame liebe, so meinte Nestroy, das bewiese er, „weil er dem Hut nicht Reverenz bewiese.“

Die Scene nahm ein Ende mit Schrecken; die Komiker wurden von der Direction in Ordnungsstrafe genommen, aber in kleinen Rollen ernster Stücke nie mehr beschäftigt.

Freilich hatte Nestroy noch oft genug Gelegenheit, in tragischen Scenen anderer Art seinen Jocus zu treiben. Ich erinnere mich noch des unauslöschlichen Gelächters, als in einem der damals modernen Ritterstücke ein Gottesgericht mit großer Feierlichkeit in Scene gesetzt wurde. Die Kämpfer standen unter der schwarzbehangenen Tribüne, die offenen Särge, bereit, die Leiche des Ueberwundenen aufzunehmen, an ihrer Seite. Der Kampfrichter theilt, unter dumpfem Trommelwirbel, „Sonne und Wind“, die Leibknappen – der eine von Nestroy dargestellt – stehen im Hintergrunde mit den Waffen ihrer Gebieter. Trompetenschall, der Kampf beginnt. „Knappe, mein Schwert!“ ruft der tapfere Held. Nestroy übergiebt ihm dasselbe mit den Worten: „Hier ist es, acht Groschen habe ich für’s Schleifen bezahlt.“

Alle Scherze, Witzworte und Calembourgs Nestroy’s trugen den Stempel des ausgesprochensten Cynismus oder der bittersten Ironie, und doch war er persönlich einer der gutmüthigsten Menschen, der mit Willen keiner Katze weh thun konnte. Ein wunderbareres Gemisch von guten und schlimmen Eigenschaften, von Schüchternheit und namenloser Frechheit, von böser Zunge und weichem Herzen ward wohl noch nie unter einem Menschenhaupt vereinigt gefunden.

„Ich glaube von jedem Menschen das Schlechteste, selbst von mir, und ich habe mich nie getäuscht.“ Diese Phrase in seinem Munde, so absurd sie klingen mag, charakterisirte ihn doch auf das Entschiedenste. Nie, im Guten wie im Bösen, hat uns je etwas an Nestroy überrascht; er stand unter dem strengsten Pantoffelregiment eines ihn schwer drückenden Verhältnisses, darin ausharrend bis zum Ende seines Lebens, während ein rascher Entschluß die klirrenden Ketten gesprengt hätte. Dagegen entblödete er sich nicht, durch offene Untreue tausend und abertausend Mal die Eifersucht seiner Gebieterin bis zur rasenden Flamme anzufachen. Bei Gastspielen ließ er sich ein kleines „Extraconto“ für seine geheimen Plaisirs anlegen, da er „der Frau“ von der Verwendung eines jeden verdienten Guldens strenge Rechenschaft ablegen müsse. Dies gestand er selbst in größter Naivetät ein, obwohl er Gelegenheit genug fand, tausende von diesen Rechenschaftsgulden den Augen „der Frau“ zu entziehen.

Charakteristisch ist der Brief, den er an Scholz, seinen langjährigen Collegen, richtete, nachdem er die Direction des Carltheaters übernommen und Scholz ihn frug, ob jetzt das alte vertrauliche „Du“ zwischen ihm und seinem Director wegfallen müsse? Das Schriftstück lautete:

          „Lieber Freund Scholz!

Indem ich Dir beifolgend Deinen neuen Contract zusende (in demselben war Scholz das Doppelte seines bisherigen Gehaltes zugesichert), hoffe ich, Du wirst es als seinen Beweis meiner Freundschaft anerkennen, daß ich das Risico übernehme, ein Mitglied ohne Probegastspiel und ohne den Beisatz ‚auf Gefallen und Nichtgefallen‘ zu engagiren. Ich sichere Dir auch unser ‚Dusagen‘ contractlich zu, mit der Clausel, daß Du für jedesmalige Unterlassung eine Monatsgage als Strafe zu zahlen hättest.

„Wien, den 10. October 1854.

Dein alter Freund und junger Director
Johann Nestroy.“     

Einen größeren Gegensatz als den scharfen, sarkastischen, geistreichen Nestroy zu dem dicken behäbigen, gutmüthigen Scholz konnte man sich nicht denken. Nestroy mit angenehmen, feinen Zügen, Scholz mit einem kugelrunden verschwommenen Gesicht, kleinen munteren Augen, eine verkürzte Fallstafffigur, während Nestroy’s stattliche Persönlichkeit auch außer der Bühne imponirte. Auch die Witze der beiden Dioskuren trugen den Stempel ihrer Persönlichkeit. Die Scherze Nestroy’s waren immer scharf pointirt und ließen noch Vieles zwischen den Zeilen vermuthen, während die Späße des guten alten Scholz durch die knüppeldicke harmlose Dummheit stets eine enorme Wirkung hervorbrachten.

Bei dem Einzug eines Gutsbesitzers, dem auf einem nicht ganz reinlichen Kopfkissen die Schlüssel seines Schlosses von dem Amtmann entgegen gebracht wurden, hielt Scholz die Anrede und entschuldigte den Mangel an Sauberkeit des Kissens damit, „daß der Mann kleine Kinder habe“. In einer Posse, wo in einer Versammlung Gutgesinnter jeder angab, was er im Jahre 1848 für sein Vaterland gethan habe, erzählte Scholz: „Im Jahre Achtundvierzig habe ich für mein Vaterland gezittert.“ „Schlagt sie in Keden“ (Ketten), ruft er als Tyrann Sacripandus, „schlagt sie in Keden, aber mit einem weichen D, damit es ihr nicht so weh thut.“ Bei einer Herrschaft, bei der er sich zum Dienstantritt meldet, verlangt er, daß ihm sein neuer Herr alle Monate auf seine Kosten einen Zahn reißen lasse und ihm täglich einen Groschen für Milch gebe, denn er müsse täglich Milch trinken, da seine gute Mutter vergessen habe, ihn als Säugling zu entwöhnen.

Solche Späße erregten stets ein brüllendes Gelächter, welches freilich nur durch die Art des Vortrages, durch die unbeschreibliche Komik des Mannes begreiflich wurde.

Im Sommer des Jahres 1857 trat er ganz unverhofft zu mir in’s Zimmer. „Er sei mit seiner jungen Frau auf einer Reise nach Hamburg begriffen und wolle das ‚Mier‘ (das Meer) sehen,“ erzählte er mir, weshalb er auch meine Aufforderung, einigemal in Berlin zu spielen, ablehnte. Ich machte ihm nun den Vorschlag, er möge sechs Mal als Gast an meinem Theater auftreten, dann wolle ich mit ihm reisen und gemeinschaftlich mit ihm und seiner Frau das „Mier“ sehen, welches mir keine neue Erscheinung mehr war.

Während Scholze’s Gastspiel war das Haus täglich überfüllt und erdröhnte von schallendem Gelächter durch die ganze Vorstellung; nach Beendigung derselben raisonnirten die Zuschauer in fast maßloser Weise: es wäre doch gar zu dumm, es läge doch gar kein Sinn und Verstand in dieser Art von Komik etc. Mit diesen lauten Aeußerungen entfernte sich das Publicum jeden Abend, um

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_174.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)