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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

der Mund gestopft wird, so hat man höchst sinnreich eine Art Lotterie veranstaltet. Jede unverehelichte Dame zieht ein mit dem Namen eines unverheiratheten Herrn versehenes Papierröllchen, und es bleibt nun Fortuna und Amor überlassen, ob sie begünstigen oder hämischerweise zwei zärtliche Herzen trennen wollen.“

Elisabeth gerieth bei diesem Bericht in eine unbeschreibliche Aufregung. Sie hatte nicht weiter darüber nachgedacht, ob sich an das Concert noch eine andere Festlichkeit reihen werde. Jetzt wurde ihr klar, weshalb die Baronin gestern den Schluß des Concertes und ihr Nachhausegehen so eigenthümlich betont hatte … Ihre Wangen glühten vor Beschämung, denn sie hatte sich mit der Annahme des Papierstreifens, den der Hausverwalter aus Versehen ihr präsentirt hatte und der in diesem Augenblick wie Feuer in ihrer Hand brannte, den Anschein einer grenzenlosen Aufdringlichkeit gegeben. Rasch entschlossen trat sie in den Saal, wo eben das Oeffnen der verhängnißvollen Rollen unter Lachen und gegenseitigen Verbeugungen der Herren und Damen vor sich ging.

„Welche abgeschmackte Idee von der Quittelsdorf!“ sagte eben, als Elisabeth vorüberging, ein junger, adeliger Actuar verdrießlich zu seinem Nachbar. „Jetzt habe ich die dicke, fromme Lehr auf dem Halse – Fi donc!“

Das junge Mädchen brauchte die Baronin nicht lange zu suchen; sie stand ziemlich abgesondert in der Nähe des einen Fensters. Fräulein von Quittelsdorf, die Oberhofmeisterin und Helene standen bei ihr in lebhaftem, aber wie es schien, nicht sehr angenehmem Wortwechsel. Die Oberhofmeisterin sprach heftig auf Fräulein von Quittelsdorf hinein, die ein um das andere Mal rathlos mit den Achseln zuckte. Auf dem Gesicht der Baronin Lessen spiegelte sich der tiefste Verdruß, es hätte diesmal der zwei rothen Flecken nicht bedurft, um zu erkennen, daß sie sich schwer ärgere. Nicht weit von der Gruppe, an einem Pfeiler, lehnte Herr von Walde mit verschränkten Armen; er schien nur mit halbem Ohr auf die Mittheilungen des alten, neben ihm stehenden, decorirten Begleiters der Oberhofmeisterin zu hören, während seine Augen unablässig auf den gesticulirenden Damen ruhten.

Elisabeth schritt eilig auf die Baronin zu. Sie konnte nicht umhin, zu bemerken, wie Fräulein von Quittelsdorf bei ihrem Erblicken die Oberhofmeisterin leicht anstieß und wie diese sich darauf hin umdrehte und einen feindseligen Blick auf sie richtete. Sie erkannte, daß sie der Gegenstand der Debatte gewesen war, und beeilte ihre Schritte, um so schnell wie möglich den unwürdigen Verdacht zurückzuweisen.

„Gnädige Frau,“ sagte sie, sich leicht verbeugend, zu der Baronin, „ich habe, ohne zu wissen, um was es sich handle, infolge eines Mißverständnisses dies Papier an mich genommen und erfahre erst in diesem Augenblick, daß mit demselben eine Verpflichtung verknüpft ist, die ich nicht auf mich nehmen kann, denn meine Eltern erwarten mich.“

Sie reichte die kleine Rolle der Baronin, die, urplötzlich einen wahren Sonnenschein in ihren Zügen entwickelnd, hastig danach griff.

„Ich glaube, Sie sind im Irrthum, Fräulein Ferber!“ rief plötzlich Herr von Walde mit seiner ruhigen, klangvollen Stimme herüber. „Vor Allem haben Sie sich wohl bei dem Herrn zu entschuldigen, dessen Namen das Papier enthält; von ihm hängt es ab, ob er Sie freigeben will, oder nicht.“ Sein Auge flog, während er eigenthümlich lächelte, über die Anwesenden, die sich bereits paarweise gruppirt und zum Fortgehen gerüstet hatten, selbst der alte Cavalier schritt eben auf die Oberhofmeisterin zu und reichte ihr galant den gekrümmten Arm. Herr von Walde fuhr fort, indem er langsam näher trat: „Als Hausherr, der keine Beeinträchtigung eines Gastes dulden darf, muß ich Sie bitten, mein Fräulein, das Papier zu öffnen.“

Elisabeth gehorchte schweigend und reichte ihm tief erglühend den entfalteten Papierstreifen hin. Er warf einen Blick auf den Zettel.

„Ah!“ rief er. „Ich habe, wie ich sehe, meine eigenen Rechte gewahrt! … Sie werden mir zugeben, Fräulein, daß es völlig in meiner Hand liegt, ob ich Ihre Entschuldigung beachten will, oder nicht, ich ziehe das Letztere vor und bitte Sie, streng der Verpflichtung nachzukommen, die Ihnen dies kleine Stückchen Papier auferlegt.“

Die Baronin näherte sich ihm und legte die Hand auf seinen Arm. Es sah fast aus, als ob sie mit dem Weinen kämpfe.

„Verzeihe, lieber Rudolph,“ sagte sie, „es ist wirklich nicht meine Schuld!“

„Ich weiß nicht, welche Schuld Du meinst, Amalie,“ erwiderte er eiskalt, „aber Du hast den richtigen Moment gewählt, wenn Du Verzeihung suchst, ich könnte in diesem Augenblick viel Böses vergessen, was mir widerfahren ist.“

Er griff nach dem Hut, den ihm ein Bedienter brachte, reichte Elisabeth den Arm und gab das Signal zum Aufbruch.

„Aber meine Eltern!“ stammelte Elisabeth.

„Sind sie krank, oder wollen sie in diesem Augenblick verreisen?“ fragte er stehen bleibend.

„Beides nicht.“

„Nun, dann lassen Sie mich dafür sorgen, daß sie den Grund Ihres Ausbleibens erfahren.“

Er rief einen Bedienten und schickte ihn sofort hinauf nach Gnadeck.

Während der Saal sich allmählich leerte, blieb die Gruppe, zu der sich außer dem alten Cavalier auch noch Hollfeld mit einem sehr verdrießlichen Gesicht gesellt hatte, am Fenster stehen.

„Es geschieht Ihnen ganz recht, Cornelie,“ zürnte die Oberhofmeisterin. „Sie haben sich heute blamirt für alle Zeiten… Welch ein hirnloser Gedanke, diese Lotterie! … Wie oft schon habe ich gegen Ihre Farcen geeifert, denen leider unsere gnädigste Fürstin auch manchmal ein williges Ohr leiht!.. Nun soll der Hausverwalter schuld sein, warum haben Sie ihn nicht gehörig instruirt? … Sie halten sich für eine Hofdame par excellence und wissen nicht einmal, daß diese Art Leute nie ihre eigenen Gedanken haben dürfen? … Ihnen gönne ich diese Lehre von Herzen, wenn nur nicht gerade der unglückliche Walde das Opfer Ihres Leichtsinns sein müßte! … Da hat er nun das blonde Gänschen am Arm, er, der sich in seinem stolzen, aristokratischen Bewußtsein unzähligemal des Fehlers schuldig gemacht hat, es nicht zu bemerken, wenn sehr hochgestellte Damen von ihm geführt zu sein wünschten.… Wie mag ihm nur zu Muthe sein gegenüber dieser kleinen Clavierlehrerin, der Tochter eines – Forstschreibers?“

„Warum opfert er sich so bereitwillig?“ entgegnete Fräulein von Quittelsdorf; „es war ganz unnöthig, daß er sich in den Handel mischte. Die Kleine war ja im Begriff zu gehen; nein, da tritt er vor wie der Ritter ohne Furcht und Tadel und nimmt die Last freiwillig auf sich.“

„Nun, diese Last ist wenigstens blendend schön!“ hüstelte der alte Cavalier mit einem frivolem Lächeln.

„Was fällt Ihnen ein, Graf!“ rief die Oberhofmeisterin. „Das ist wieder einmal eine Bemerkung, ganz Ihrer würdig, der Sie sich für jedes runde Bauerngesicht enthusiasmiren… Uebrigens leugne ich nicht, daß die Kleine hübsch ist … Weshalb Walde sich heute großmüthig opfert, das hat er ja eben deutlich genug ausgesprochen. Er ist innerlich befriedigt und beglückt durch die große Theilnahme und Aufmerksamkeit, die wir Alle ihm heute an den Tag gelegt haben, und will Alles, selbst das kleine Ding, das übrigens ganz nett gespielt hat, froh und heiter sehen… Schade, daß solch ein Flecken auf das Fest fallen mußte… Ich rathe Ihnen, liebste Lessen, künftig bei dergleichen Arrangements dem Tact und Talent unserer Quittelsdorf nicht allzu unbedingt zu vertrauen.“

Die Hofdame biß sich auf die Lippen und warf heftig ihren Spitzenshawl über die Schultern. Draußen rollte der Wagen vor, der die Oberhofmeisterin und Helene in Begleitung der Baronin und des Grafen nach dem Festplatz bringen sollte.

„Die alte Katze!“ rief Fräulein von Quittelsdorf, nachdem sie der Oberhofmeisterin in den Wagen geholfen und darin für die Bequemlichkeit der Dame gesorgt hatte. „Sie ist wüthend, daß man bei dem Arrangement nicht erst ihren hochweisen Rath eingeholt hat… Haben Sie nicht gesehen, Hollfeld, beinahe wäre Ihrer Excellenz der falsche Scheitel auf die Nase gefallen, als sie so zornig mit dem Kopfe wackelte? Ich hätte mich vierzehn Tage lang nicht beruhigen können vor Lachen, wenn plötzlich unter dem Blumengarten ihrer Haube der kahle Kopf zum Vorschein gekommen wäre!“

Sie wollte sich auch jetzt ausschütten vor Lachen bei dem Gedanken. Ihr Begleiter aber schritt wortlos, als habe er von ihrem ganzen, langen Geschwätz nicht eine Silbe gehört, immer rascher vorwärts. In seinem ganzen Wesen lag eine auffallende

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