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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Zeuge den Ausspruch von Ihnen gehört: ‚Man brauche mehr Muth dazu, eine offenbare Lüge dreist zu sagen, als einen Fehler zu bekennen‘?“

„Das ist meine Ueberzeugung, ich wiederhole sie.“

„Ah, es ist etwas Hohes um die Charakterfestigkeit! … aber ich meine, wenn man zu wahrhaftig ist, um seine Lippen mit einer Unwahrheit zu beflecken, so darf man auch seinem Auge nicht gestatten, zu lügen … ich kenne jedoch einen Moment in Ihrem Leben, wo Sie sich anders zeigten, als Sie dachten.“

Das junge Mädchen zog verletzt die Hand aus seinem Arm.

„O nein, so wohlfeil entkommen Sie mir nicht!“ rief er, sie festhaltend. „Jetzt heißt es bestätigen oder widerlegen. … Sie schienen neulich gleichgültig, als ich das zärtliche Andenken meines Vetters, die Rose, wegwarf.“

„Hätte ich ihr nachspringen sollen?“

„Allerdings, wenn Sie wahrhaftig waren.“

Elisabeth wußte jetzt, weshalb er den einsamen Waldweg mit ihr betreten hatte, sie sollte beichten, wie sie über Hollfeld denke. Es war richtig, wie sie damals vermuthet hatte, Herr von Walde war offenbar in großer Besorgniß, daß sie jene Huldigung seines Vetters zu hoch anschlagen und sich wohl gar einbilden könne, er habe ihren bürgerlichen Standpunkt vergessen. Jetzt war der Moment gekommen, wo sie ihre Ansicht aussprechen durfte. Mit einer raschen Bewegung befreite sie ihre Hand von der seinigen und trat einen Schritt seitwärts.

„Ich muß Ihnen zugeben,“ sagte sie, „daß mein Aeußeres, wenn es in jenem Augenblick gleichgültig war, durchaus nicht im Einklang mit meinem Innern gewesen ist.“

„Sehen Sie!“ rief er, aber es lag nichts weniger als ein Triumph in diesem Ausruf.

„Ich war vielmehr entrüstet.“

„Ueber mich?“

„Zunächst über den unpassenden Scherz des Herrn von Hollfeld.“

„Er hatte Sie sehr erschreckt – freilich –“

„Nein, beleidigt. Wie konnte er es wagen, sich mir in der Weise aufzudrängen! … Ich verabscheue ihn!“

Sie hatte Recht gehabt in ihrer Voraussetzung, aber daß er einen solchen außerordentlichen Werth auf ihren Ausspruch legen würde, hatte sie nicht geahnt. Es schien ihm eine Centnerlast vom Herzen zu fallen … Brach es nicht wie heller Jubel aus den Augen, die eben noch in einem Gemisch von Mißtrauen, Hohn und Bitterkeit auf sie gerichtet gewesen waren? Er schöpfte tief Athem und breitete plötzlich die Arme aus … Elisabeth sah sich um nach dem unbekannten Etwas, das seine leuchtenden Blicke in der Luft suchten, um es ohne Zweifel an sein Herz zu ziehen. Sie entdeckte nichts, wohl aber fühlte sie ein heftiges Zittern seiner Hand, als er die ihrige nahm und sie wieder auf seinen Arm legte. Sie gingen einige Schritte weiter, er sprach kein Wort.

Plötzlich blieb er wieder stehen.

„Wir sind in diesem Augenblick ganz allein,“ sagte er mit unbeschreiblich milder Stimme. „Sehen Sie, nur ein Stückchen blaues Himmelsauge sieht auf uns herab, keines jener Gesellschaftsgesichter drängt sich zwischen uns … ich kann und will Ihren Glückwunsch nicht entbehren … Sagen Sie ihn jetzt, wo ihn Niemand hört, als ich, ich ganz allein!“

Sie schwieg verlegen.

„Nun, wissen Sie nicht, wie man das macht?“ drängte er.

„O ja,“ entgegnete sie, und ein schelmisches Lächeln flog um ihren Mund, „ich habe Uebung darin; die Eltern der Onkel Ernst –“

„Jedes hat seinen Geburtstag,“ fiel er lächelnd ein, „aber Sie können es mir nicht verdenken, wenn ich meinen Glückwunsch für mich ganz allein haben will, daß ich verlange, er soll ganz anders klingen, als alle, die Sie bisher ausgesprochen haben, denn ich bin weder Ihr Vater, noch der barsche Försteronkel, am allerwenigsten aber beanspruche ich die Rechte des Bruders, mit dem Sie spielen … Nun sprechen Sie!“

Sie schwieg abermals. Was sollte sie sagen? … Sie hatte schon längst die Augen gesenkt, denn sie konnte den Blick nicht ertragen, der so peinlich forschend, mit einem eigenthümlichen Ausdruck von ängstlicher Unruhe und Erwartung tief, tief in ihre Seele drang.

„Kommen Sie!“ rief er rauh, nachdem er einen Augenblick vergeblich auf einen Laut von ihren Lippen gewartet hatte, und zog sie fort. „Es war ein thörichtes Verlangen von mir … Ich weiß ja, Ihr Mund, der allzeit bereit ist, Anderen Freundliches und Liebes zu sagen, schweigt entweder für mich, oder ergeht sich in strenger Zurechtweisung.“

Sie erblaßte bei diesen Worten und blieb unwillkürlich stehen.

„Sie wollen?“ frug er milder. „Geht es durchaus nicht?“ fuhr er kopfschüttelnd fort, als sie noch immer nicht sprach, ihn aber bittend ansah. „Nun, dann will ich Ihnen einen Vorschlag machen … Ich werde Ihnen den Glückwunsch sagen, wie ich ihn ungefähr von Ihren Lippen zu hören gewünscht hätte, aber ich mache die Bedingung, daß Sie ihn Wort für Wort nachsprechen.“

Jetzt erschien wieder ein Lächeln auf Elisabeth’s Gesicht und sie nickte zustimmend.

„Zuerst reicht man dem – dem Freunde die Hand,“ begann er und nahm ihre Hand in die seine – sie bebte, zog aber die Hand nicht zurück – „und spricht: ‚Sie sind bisher ein armer, unbeglückter Wanderer gewesen; es war hohe Zeit, daß die Wolken sich theilten und daß endlich der holde Lichtstrahl erschien, der Ihr ganzes Dasein umgewandelt hat. Es ist mein eigener, unumstößlicher Wunsch und Wille, daß er Sie nie wieder verlasse, hier ist meine Hand als Bürge eines unaussprechlichen Glückes.‘“

Bis dahin hatte sie den höchst seltsam lautenden Glückwunsch pünktlich nachgesprochen, bei dem letzten Satz trat sie erstaunt zurück und zögerte. Er aber faßte heftig auch ihre andere Hand und drängte: „Weiter, weiter!“

„Hier ist meine .…„begann sie endlich.

„Das ist zu hübsch, Herr von Walde,“ rief plötzlich Corneliens Stimme durch das Gebüsch, „daß wir uns hier treffen! So habe ich doch den Triumph, an Ihrer Seite mit Musik empfangen zu werden!“

(Fortsetzung folgt.)




Ein neues Stück Deutschland in London.


Den 27. August des Jahres 1862 haben viele Deutsche Londons rosenroth in ihrem Kalender angestrichen. An jenem Tage feierten sie in den hohen, lichten Räumen des Krystallpalastes von Sydenham ein Fest, desgleichen Altengland noch nie gesehen hatte: ein vollständiges Turnfest mit heiterem Singen und Fahnenschwingen und malerischem Fackelzug am Schlusse. Groß war das Erstaunen und redlich die Anerkennung der eingeborenen Zuschauer. Am nächsten Morgen um sieben Uhr gingen die Pauken und Trompeten der öffentlichen Meinung von Charing Croß und Ludgate Hill aus durch’s ganze Land mit der Kunde, daß die Teutonen nicht blos Ideen hätten und Träume; sintemalen an dem neudeutschen Geschlechte der Turner auch Muskeln entdeckt worden seien, verhältnißmäßig ganz respectable Muskeln, dito Sehnen und Gliedmaßen, beinahe so fest und brauchbar, als wären sie durch Cricket und Boxen entstanden. Schiller und Goethe, Humboldt und Beethoven und der düngerkundige Liebig haben dem deutschen Namen bei denkenden Engländern einen guten Credit eröffnet; aber in breiteren Kreisen, tiefer und plötzlicher wirkten am Tage von Sydenham die hohen Sprünge der Turner. Der Eindruck dieser „wahrhaft moralischen und feierlichen Demonstration von physischer Kraft“, wie ein bekannter Friedensfreund das Fest zu beloben pflegte, machte sich in vielfacher und wohlthuender Weise bemerkbar.

Allmählich erregte die teutonische Turnkunst die Aufmerksamkeit praktischer Volksfreunde und es wurde ernstlich daran gedacht, die deutsche Gymnastik auf britischen Boden zu verpflanzen, namentlich zu Nutz und Frommen der ärmeren Jugend in den riesengroßen, stickluftigen Fabrikstädten. „Aber,“ meinte eine englische Freundin nicht ohne Grund, „glauben Sie mir, es ist nur ein augenblicklicher Einfall. Das Turnen wird bei uns niemals fashionable, nie eine noble Passion werden; es ist gar keine Passion

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_183.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)