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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„O, Sie sind über diese kleinen Huldigungen mißvergnügt, wie ich zu meiner großen Befriedigung bemerke,“ rief er triumphirend. „Haben Sie im Ernst geglaubt, ich könne da zärtlich fühlen, wo mein Schönheitssinn so stark beleidigt wird?… Ich schätze mein Mühmchen, aber deswegen vergesse ich doch keinen Augenblick, daß sie ein Jahr älter ist, als ich, einen Höcker und eine schiefe Hüfte hat und –“

„Abscheulich!“ unterbrach ihn Elisabeth, außer sich vor Entrüstung, und sprang hinüber auf die Chaussee. Er folgte ihr.

„‚Abscheulich‘ sage auch ich,“ fuhr er fort, indem er gleichen Schritt mit ihr zu halten suchte, „besonders, wenn ich Ihre Hebegestalt neben ihr sehe … Und nun laufen Sie nicht so, schließen Sie lieber Frieden mit mir und verzögern Sie nicht muthwillig das Glück, von welchem ich Tag und Nacht träume.“

Er legte plötzlich den Arm um ihre Taille und zwang sie, stehen zu bleiben, sein glühendes Gesicht mit den funkelnden Augen näherte sich dem ihrigen. Im ersten Augenblick starrte sie ihn an, wie gelähmt oder bewußtlos, dann flog ein Schauder durch ihre Glieder, und mit einer Gebehrde des tiefsten Abscheues stieß sie ihn von sich.

„Wagen Sie es nicht noch einmal, mich zu berühren!“ rief sie mit weithinklingender Stimme. In dem Augenblick scholl lautes Hundegebell in der Nähe. Elisabeth wandte freudig erschrocken den Kopf nach der Richtung.

„Hector, hierher!“ rief sie in den Wald hinein. Gleich darauf stürzte der Jagdhund des Oberförsters aus dem Dickicht und sprang mit einem Freudengeheul an ihr in die Höhe.

„Mein Onkel ist in der Nähe,“ wandte sie sich jetzt ruhig und kalt an den verdutzt Dastehenden, „er kann jeden Augenblick hier sein … Sie werden sicher nicht wünschen, daß ich ihn bitte, mich von Ihrer Begleitung zu befreien; ich rathe Ihnen deshalb, freiwillig den Rückweg anzutreten.“

Wirklich blieb er feige stehen, während sie sich mit dem Hunde entfernte, aber er stampfte wüthend mit dem Fuße auf und verwünschte seine rasende Leidenschaft, die ihn unvorsichtig gemacht hatte. Daß er dem jungen Mädchen in Wirklichkeit einen Widerwillen einflößen könne, das fiel ihm nicht im Entferntesten ein, ihm, dem Vielbegehrten, von dem ein karges Wort, eine Aufforderung zum Tanze in der gesammten L.’schen Damenwelt Sensation machte und oft zur Fackel der Zwietracht wurde, ihm konnte ein solcher Gedanke gar nicht kommen. Es lag viel näher, daß die Forstschreiberstochter eine Kokette war, die ihm die Eroberung so schwer wie möglich zu machen suchte. An die jungfräuliche Reinheit der Seele, die Elisabeth’s ganze Erscheinung so unwiderstehlich machte und deren Zauber gerade auf ihn, wenn auch von ihm unverstanden, hinreißend wirkte – an jenes keusche, unentweihte innere Leben glaubte er nicht, und deshalb konnte er auch nie zu dem Schluß gelangen, daß das junge Mädchen instinctmäßig vor seiner innern Zerrüttung und Verdorbenheit zurückbebe. Er machte sich heftige Vorwürfe, zu plump und stürmisch gewesen zu sein, wodurch er das heißbegehrte Ziel selbst wieder in unbestimmte Ferne gerückt hatte. Ueber eine Stunde lief er im Walde umher, um Herr seiner Aufregung zu werden, denn die dort drüben auf dem Festplatze, von welchem die heitern Klänge der Tanzmusik zu ihm herüberschallten, durften ja nie erfahren, daß hinter der interessant kalten, verschlossenen Außenseite ein solcher Vulcan tobte.

Elisabeth war scheinbar festen Fußes schnell weiter geschritten. Sie hütete sich jedoch, rechts oder links zu sehen, in der Furcht, sein verhaßtes Gesicht könne plötzlich wieder neben ihr auftauchen. Endlich wagte sie es, stehen zu bleiben und sich umzusehen – er war verschwunden. Aufathmend lehnte sie sich an einen Baumstamm, um vorerst ihre Gedanken wieder zu sammeln, während Hector ruhig und mit klugem Blick vor ihr stehen blieb, als wisse er genau, daß er heute die Rolle ihres Beschützers spiele. Er hatte ohne Zweifel einen Spaziergang auf eigene Faust durch den Wald gemacht, denn von seinem Herrn war keine Spur zu sehen. Elisabeth fühlte jetzt erst, wie ihre Kniee zitterten. Ihr Schrecken, als Hollfeld gewagt hatte, sie zu umschlingen, war ein unbeschreiblicher gewesen. In ihrer unschuldigen Seele war nicht einmal der Gedanke an eine solche Rohheit aufgetaucht; deshalb hatte der plötzliche Angriff sie momentan starr gemacht vor Entsetzen. Sie vergoß schmerzliche Thränen der Scham, als Herrn von Walde’s Bild vor ihr aufstieg, nicht mit dem milden Ausdruck der letzten Stunden, sondern in seiner ganzen Strenge und Unnahbarkeit; sie glaubte nicht zu ihm aufblicken zu dürfen, weil jener Mensch sie berührt hatte. Ihre ganze Glückseligkeit lag zertrümmert zu ihren Füßen. Die unselige Begegnung mit Hollfeld hatte sie schonungslos in die Gegenwart zurückgeführt; seine Aeußerungen über Herrn von Walde, wenn auch niederträchtig und verleumderisch, hatten doch Vieles wieder wachgerüttelt, was sie sich einst als Steuer gegen ihre wachsende Neigung eingeprägt … Sie dachte an seinen unerschütterlichen Ahnenstolz, an die sich selbst vergessende Liebe zu seiner Schwester und an die Meinung Aller, daß er ein völlig kaltes Herz habe gegenüber dem andern Geschlecht … All’ die bunten, schimmernden Träume, die sie umflattert hatten auf dem Weg durch den stillen Wald, sie legten jetzt die Flügel zusammen und starben einer nach dem andern unter dem prüfenden Blick des erwachten Auges … Sie war sich ja jetzt nicht einmal klar, worin jene Glückseligkeit bestanden. Daß er heute eine wunderbar weiche Stimmung ihr gegenüber gezeigt und sie gegen den Hochmuth seiner Verwandten hochherzig in Schutz genommen hatte, konnte dies nicht Alles aus dem einen Gefühl einer strengen Gerechtigkeitsliebe stammen? Hatte er nicht auch Miß Mertens geschützt und großmüthig das Unrecht auszugleichen gesucht, das ihr unter seinem Dache widerfahren war? Und der Glückwunsch … an den Glückwunsch und sein noch ungelöstes Ende durfte sie freilich nicht denken, wenn nicht alle die Traumleichen ein fröhliches Auferstehen feiern sollten.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Gang durch die römische Unterwelt.


Der 23. November 1862 war einer der regnerischesten Tage, die über die alte Roma angebrochen, dennoch galt es trotz Schmutz und Nässe sich in die Campagna zu wagen, denn in den Katakomben von St. Callisto sollte an demselben Tage zum Gedächtniß der heiligen Cäcilie, deren Grab daselbst in der Capelle des heiligen Urban verehrt wird, Gottesdienst gehalten werden. Diese Feier lockt Fremde und Einheimische in sonst ungewohnter Menge auf die Via Appia, und ich schloß mich dem mehr neugierigen als andächtigen Pilgerzuge um so lieber an, da Cavaliere de Rossi, der berühmte Erforscher dieser Todtenwelt, an den ich von gewichtiger Seite empfohlen war, mir für diesen Tag seine Führung durch das seltsame Gräberlabyrinth zugesagt hatte. Die Katakombe liegt fast eine Miglie vor Porta S. Sebastiano. Der Weg dahin führt an den gewaltigsten Ueberresten einer dahingestorbenen großartigen Vergangenheit vorüber; wie überall in Rom, so wandeln wir auch hier auf der Spur der Todten und die öde, schweigende Campagna, einst der Schauplatz des reichsten und blühendsten Lebens der Welt, jetzt ein sumpfiges, fieberdunstiges Gefilde, sie trägt in ihrer stillen, erhabenen Trauer, wie kein zweiter Ort, den Stempel der Vergänglichkeit alles Irdischen; Grabmäler auf ihr, Gräber unter ihr.

Zu diesen unterirdischen Gräbern gehören die Katakomben, die wir heute besuchen. Aus einem einfachen Gemüsegarten führt eine neuerrichtete Holztreppe in diese Todtenstadt hinunter und wir befinden uns nun in einer Welt von Grabstätten, die mit ihren düstern Oeffnungen uns traurig entgegenstarren. Am heutigen Tage war es lebhaft und bewegt da unten, eine bunte Gesellschaft drängte sich durch die Gänge, in der Grabkammer des heiligen Urban wurde Messe gelesen, ein Altar war in dem engen Raume errichtet, und das kleine Grab der heiligen Cäcilie, in dem ihr Leichnam in derselben Lage gefunden sein soll, in welcher Madernos’ rührende Statue sie verewigt, war in schönster Weise mit Blumen geschmückt und mit Lampen erhellt, gleich wie das Grab einer geliebten Anverwandten, die uns gestern entrissen wurde. Nicht lange währte es, bis ich

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