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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

den Cavaliere de Rossi fand, der allerdings heute durch den Besuch des damals gerade anwesenden Kronprinzen und der Kronprinzessin von Preußen und des Prinzen von Wales in Anspruch genommen war, aber, soweit seine Zeit es ihm gestattete, durch die hauptsächlichsten Grabkammern und Gräbergänge mich führte und Bau und Construction, sowie Inhalt der Malereien mir erklärte. An seiner kundigen Hand wollen auch wir eine kurze Wanderung durch dies Leichengebiet unternehmen.

Ernst und monoton ist der Weg, dichtes Dunkel umgiebt uns, eine feuchte, giftigschwere Luft läßt die Lampen und Wachskerzen nur düster brennen, und in den Sommermonaten, wo die Malaria die verderblichen Fieberdünste über die Campagna führt, wäre der Besuch dieser Orte kaum rathsam. Lange, schmale Gänge ziehen bald hoch, mit Spuren von Wölbungen, bald niedrig, daß man kaum gebückt vorwärts gehen kann, sich düster dahin. Der Boden ist uneben, führt bald hinauf, bald hinab, neue Gänge durchkreuzen die ersten und führen seitwärts ab. Aus rohen Stufen, oft nur allmähliche Anhöhen emporsteigend, gelangt man zu einer höheren Galerie, die in derselben Weise schachtartig gegraben ist, von da zu einer dritten, so daß oft drei Stockwerke übereinander liegen. Die Seitenwände öffnen sich hier und da zu kleinen Eingängen, die in ein sogenanntes Cubiculum, eine Grabcapelle, führen, meist von viereckiger, doch auch mitunter von achteckiger, auch runder Gestalt. Oefter liegen mehrere davon nebeneinander und stehen durch Eingänge mit einander in Verbindung, öfter durchbrechen sie nach oben ein Stockwerk, auch werden zwei am Gange sich gegenüberliegende zu einer verbunden, durch die dann der Gang hindurchführt, wie wir es z. B. in unserer Abbildung sehen, die eine Capelle der Katakombe von S. Agnese darstellt, in welcher die rohen Formen eines Centralbaues zu erkennen sind. Ueberhaupt ist die Architektur dieser stillen Todtenstraßen einfach und roh, wie sie eben der Spaten und die Axt der Todtengräber beschaffen konnte. Nur die erwähnten Grabkammern sind durch gegliederte Wölbung der Decke und Spuren von Säulenverzierung ausgezeichnet. Die ganze Anlage macht den Eindruck, als wäre sie mehr in ängstlicher Hast gewühlt, als mit ruhigem Fleiße ausgebaut worden. Man sieht, es war eine bewegte und bedrängte Zeit für die, welche hier unten ihre schwierige Pflicht erfüllten.

An beiden Seiten der Gänge ziehen sich in ernster Monotonie Gräber an Gräber repositorienartig neben- und übereinander angelegt dahin; es sind horizontale Oeffnungen in die Wand gegraben, genau so breit und so lang wie der menschliche Körper; eine Marmor- oder Sandsteinplatte mit einer einfachen Inschrift, meist der Name mit dem Zusatz: „in Frieden“, „in Gott“ etc., auch wohl die roh eingekratzten Figuren eines Fisches, einer Palme, eines Ankers, einer Taube darauf, schließen die sogenannte Ruhestätte, die meist für eine, mitunter aber auch für zwei und mehrere Personen bestimmt war. Ein ausgezeichneteres Grab erhielten Kirchenfürsten und Märtyrer, auch wohl später die, welche für ihr Geld sich das Recht dazu erkauften. Ihr Grab oder Loculus war nämlich mit einem in die Wand gearbeiteten Bogen nischenartig überwölbt, die Marmorplatte verschloß hier das Grab nicht von der Seite, sondern von oben; oft kamen in eine solche Grabnische mehrere Leiber, die dann übereinander gelegt wurden.

Diese Grabnischen oder Arcosolia finden wir namentlich in den erwähnten Grabkammern und Capellen. Die Bestattung in Sarkophagen gehört erst einer spätern Zeit an. In dem Mörtel, womit die Grabstätte eingemauert worden war, finden sich die Fläschchen mit Abendmahlswein, die man fälschlich für Blutfläschchen hielt, außerdem Ringe, Gläser, Lampen. Die Leichen wurden in Linnen gewickelt und Gefäße mit Wohlgerüchen dazu gestellt, die noch, als Cavaliere de Rossi sie fand, geduftet haben sollen. – Dasjenige, was uns bei unserer Wanderung vor allen auffällt, sind die an den Wänden und Decken der Grabkammern befindlichen Malereien, und die Inschriften auf den Grabsteinplatten. Die letzteren sind denn auch die Urkunden für ein ganz neues Blatt in der Geschichte der ersten Jahrhunderte des Christenthums geworden.

Es ist ein Wort, das tausend Mal wiederholt auf den Grabsteinen eingegraben steht, das ist das Wort „in pace“ (in Frieden). Und dieser Friede des Todes, dem diese Orte geweiht, spiegelt sich in diesen Bildern ab. Der ganze Ort, auf dem die Katakombe sich befindet, weist auf diesen Frieden, diese Versöhnung hin. In nächster Nähe befindet sich die Katakombe der Juden, nicht weit davon die heidnischen Columbarien und das Grabmal der Cäcilia Metella; auf kleinem Raume liegen so die Vertreter der drei großen weltgeschichtlichen Potenzen, des Christenthums, des Heidenthums und des Judenthums, vereint. Wie sie auch im Leben in steten Ueberzeugungskämpfen sich zerfleischt, der Tod hat sie nebeneinander gebettet. Und das ist nicht blos Zufall gewesen. Damals war das Christenthum noch seiner großen Aufgabe treuer gewesen, als oftmals später, die Versöhnung zu predigen und selbst bei entgegenstehender Lehre nicht von der Liebe zu lassen gegen die Person. Die heilige Cäcilie, vielleicht die liebens- und verehrungswürdigste aller katholischen Heiligen, ließ sich, halb schon zu Tode gemartert, aus ihrer Wohnung noch in die Katakombe des Calixtus tragen, aus innigem Verlangen an der heiligen Stätte begraben zu sein, aber auch aus einer Sehnsucht, nicht fern von ihren heidnischen Verwandten zu liegen, zu denen sie die Anhänglichkeit nicht verleugnete, wenigstens nicht in der Stunde des Todes. Und so sind denn auch die bildlichen Darstellungen in den Katakomben durchaus nicht in dem schroffen Gegensatz gegen die heidnische Welt befangen, wie man wohl glauben möchte. Sie haben nicht verschmäht, die würdevolle Schönheit und die heitere Anmuth in ihren Kunstwerken zu verwerthen, die das schönste Erbtheil der Heidenwelt für alle Zeiten gewesen sind, Die ersten Malereien in den Katakomben, an den Decken ihrer Grabkammern und in den Nischenbogen ihrer Arcosolien sind noch von demselben Geiste angehaucht, der den Wandgemälden von Pompeji einen so unzerstörbaren Reiz verleiht: dieselbe gefällige Leichtigkeit der Composition, derselbe harmonische Schwung der Glieder, ja auch trotz der Unbequemlichkeit des Malens in diesen unterirdischen Räumen bei künstlicher Beleuchtung derselbe Geist feiner Farbennüancirung, der an den pompejanischen Gestalten uns entzückt. Erst später wurde die Technik flüchtiger und geschmackloser, und Leidenschaft und Inbrunst der Darstellung mußten ersetzen, was ihnen an Schönheit mangelte.

Auch in der Wahl der Gegenstände und der Art ihrer Auffassung haucht uns jener Geist des Friedens und der künstlerische Sinn der Antike aus den Katakombenbildern früheren Datums an. Da ist nichts von jenen widerwärtigen Zerfleischungs- und Hinrichtungsscenen, womit die spätere Zeit ihre Märtyrer zu verewigen suchte, ja selbst das Bild des gekreuzigten Erlösers scheute man sich darzustellen. In Zeiten der Verfolgung und Bedrängniß schmückten die Christen die Gräber ihrer theilweise grausam geopferten Brüder lieber mit Bildern des Lebens und der Auferstehung, zum Zeichen, daß die, welche hier lagen, die Kämpfe und Qualen des Lebens überwunden haben, den Ueberlebenden zur Ermunterung, wie sie zu überwinden und in der Erwartung des Sieges getrost zu dulden, und wie die Begebenheiten des Alten Testamentes in ihrem sinnbildlichen Hinweis auf das Neue meist gewählt wurden, das auszusprechen, was man im Bilde noch nicht auszudrücken wagte, so griff man auch zu heidnischen Symbolen, vertiefte und bezog sie auf christliche Ideen. Allmählich erst zog man die Gestalt Jesu Christi selbst in den Kreis der Darstellungen hinein, immer aber in jener jugendlichen Idealität gehalten, in der die Antike ihre Götter darzustellen liebte, bis man endlich zur Portraitdarstellung Christi und der Apostel selbst überging und einen bestimmten Typus dafür feststellte.

Wie diese Stätten den Todten geweiht waren, so waren sie zugleich zu Zeiten der Verfolgung die einzig sichern Heiligthümer der Lebendigen. Heilige Handlungen, deren Störung man auf der Oberfläche der Erde befürchten mußte, wurden deshalb hier vollzogen, namentlich die beiden Sacramente der Taufe und des Abendmahls. Hatte doch schon der Apostel Paulus von einer Taufe über den Todten geredet, und Bischof Felix gebot am Ende des dritten Jahrhunderts geradezu, das Abendmahl nur über den Gräbern der Märtyrer zu halten. Auch auf diese beiden Sacramente bezieht sich ein Kreis der symbolischen Wandbilder in den Katakomben, so Noah in der Arche, dem die Taube zufliegt, Moses, der Wasser aus dem Felsen schlägt, ein Mann, der Fische fängt, ein Hinweis auf die Taufe, und in der Darstellung des Fischers, der den Brodkorb auf dem Rücken trägt, des Weinwunders zu Cana, des Tobias, der die Hand in des Fisches Mund steckt, ja der Abbildung Christi und seiner Jünger selbst, wie sie zu Tische sitzen und essen, eine Verherrlichung des hier gefeierten Abendmahls, worauf noch Spuren eines Credenztisches in der Wand und Scherben emaillirter

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