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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

weil die Persönlichkeit, von der sie ausging, eine interessante und sympathische ist.

Im Spätherbst 1788, kurz vor dem Zusammentritt der französischen Reichsstände, war zu Paris, in der Rue du Bac, im Hause eines Akademikers, eine glänzende Gesellschaft, aus schönen Frauen, Hofleuten, Philosophen und Schöngeistern bestehend, bei einem großen Diner versammelt. Da war der ehemalige Minister Malherbes, da Condorcet, der Freund d’Alembert’s, der berühmte Mathematiker und Verfasser des Lebens Voltaire’s, da Chamfort, Mirabeau’s Freund, anwesend, der herbe, kalte, schneidende und doch so unterhaltende Misanthrop, dessen jegliches Wort ein Epigramm war, der Mann der wie Scheidewasser brennenden Aphorismen. Neben der schönen Herzogin von Gramont saß Cazotte, der wunderliche Greis, von reckenhafter Statur, der mit seiner ehrwürdigen Miene und seinem schneeweißen Haare mehr einem Patriarchen als dem Verfasser des Diable amoureux ähnlich sah.

Es ging lebhaft zu. Man sprach von den Fortschritten der Vernunft, von der herannahenden großartigen Epoche, welche die Rechte des Menschen und Bürgers zur Geltung bringen und die Könige ihrer Pflichten eingedenk machen werde, von den Ereignissen, welche sich bereits ankündigten. Alle begrüßten das herannahende Reich des von den Fesseln der Vorurtheile befreiten Menschengeistes.

Bei diesem Einklang der Meinungen blieb Cazotte allein still. Als man sich deshalb an ihn wandte, behauptete er: daß er in der Zukunft nur schreckliche Dinge, Blut und wüsten Kampf sehe. Die Epigramme Beaumarchais’ und Voltaire’s würden sich in Beile verwandeln. Und als Condorcet über diese pessimistische Anschauung der Dinge spottete, erwiderte er:

„Lachen Sie nicht, Herr Condorcet, Sie greifen noch einmal zum Gift, um dem Scharfrichter zu entgehen!“

Mehrere lachten, darunter Chamfort, Bailly, Malherbes und Roucher. Cazotte sah sie der Reihe nach eine Weile an, dann sagte er: „Meine Herren, ich sehe Sie Alle auf dem Schaffot. Nur Sie, Chamfort, fallen, dem Beil zu entgehen, durch eigene Hand!“

„Zum Mindesten bleibt doch unser Geschlecht verschont?“ fragte die Herzogin von Gramont.

„Ihr Geschlecht?“ antwortete Cazotte. „Sie selbst werden, die Hände auf den Rücken gebunden, im Karren zur Richtstätte fahren –“

Während Cazotte so sprach, hatte sich sein Gesicht, wie Laharpe, der dabei gewesen sein will, erzählt, ganz geändert. Sein hohes Alter, sein weißes Haar, der hingerissene Ausdruck seiner Züge wirkten mit, den finsteren Worten doppelte Macht zu geben. Die vorhin noch so heiteren Gäste überlief ein Schauer.

„Cazotte hat kein Erbarmen!“ rief, sich gewaltsam zum Scherze stachelnd, die Herzogin. „Er wird mir doch meinen Beichtvater lassen?“

„Nein! Sie werden keinen haben,“ sagte Cazotte, „der Letzte, der mit einem Beichtvater zur Richtstätte gehen wird, ist –“

Er verstummte.

„Wer? Wer?“ fragten Alle im Kreise.

„Der König von Frankreich!“

Von einer unwiderstehlichen Bewegung gepackt, erhoben sich alle Gäste mit einem Schlag. Cazotte wollte sich zurückziehen, die Herzogin aber wandte sich an ihn und fragte: „Und Sie, Herr Prophet, was wird Ihr Loos sein?“

Cazotte blieb eine Weile gesenkten Kopfes stehen; endlich sagte er: „Während Jerusalem belagert ward, umkreiste durch sieben Tage ein Mann die Stadt und rief klagend: Weh über Dich, Jerusalem! In diesem Augenblick fiel ein römisches Geschoß und zerschmetterte den Mann.“

Nachdem Cazotte so gesprochen, verbeugte er sich und verließ das Haus.

Kurz darauf ging die Gesellschaft auseinander. Man hatte die Absicht gehabt Faro zu spielen, aber die gute Laune war wie weggeblasen.

Wenn Cazotte, wie er gewohnt war, um Mitternacht aus den Salons, die er besuchte, nach Hause kam und in seine stille traute Wohnung trat, da saß Dom Chavis, ihn erwartend, schon im Lehnstuhl vor dem Kamin. Dom Chavis war ein alter maronitischer Mönch aus dem Kloster Mar-Hanna’s, d. h. Johannes des Täufers, auf dem Gebirge Kesruan am Libanon, welcher nichts besaß als eine Handschrift des Elf-Karafa, das ist „Tausend und eine Nacht“. Was er Cazotte davon mitgetheilt, hatte diesen so entzückt, daß er eine Uebersetzung davon zu liefern unternahm. Dom Chavis, seine Blätter in der Hand, gab in seinem halb italienischen, halb französischen Kauderwelsch die Umrisse dieser lieblichen Erzählung, die „mit einer Fußspitze die Erde, mit der anderen eine goldschimmernde Wolke berühren“; Cazotte, mit rascher Feder sich seiner Phantasie überlassend, füllte die Umrisse aus. Fast ebenso viele Nächte schon, wie Sultan Schachriar und Sheherezade, hatten die Beiden mit einander zugebracht. Umsonst bat die schöne Elisabeth den Vater, sich doch endlich Ruhe zu gönnen. Cazotte ging meist erst, wenn der Morgen dämmerte, zu Bette. Dafür sollten aber auch „Tausend und eine Nacht“ demnächst schon complet erscheinen.

Schon seit langer Zeit war Cazotte’s Name in Paris ein vielgenannter, wenn auch nicht eben als Dichter. Er hatte durch seinen Proceß gegen die Gesellschaft Jesu viel von sich sprechen gemacht. Ursprünglich Beamter im Marine-Departement, hatte Cazotte als Controleur in Martinique große Plantagen erworben und sich dabei um Frankreich sehr verdient gemacht. Seinem Muthe war es besonders zu danken, daß der Angriff der Engländer auf St. Pierre zurückgeschlagen worden war. Als ihn später eine Erbschaft in den Stand setzte, seiner Stelle zu entsagen und nach Frankreich zurückzukehren, hatte er seine Ländereien dem Superior Lavalette, der an der Spitze der großen jesuitischen Handelsgesellschaft stand, überlassen und wurde in Wechseln ausgezahlt, die nach langem Processiren, welches endlich die Aufhebung der Jesuiten zur Folge hatte, das Ordenshaus in Paris nur zum Theil einlöste.

Cazotte, welcher bei der Sache 50,000 Thaler eingebüßt, seinen Proceß aber mit großer Mäßigung geführt hatte, lebte seitdem mit dem Reste seines Vermögens bald in Paris, bald auf seinem Gute bei Epernay. Mit zunehmendem Alter hatte sich die Liebe zum Wunderbaren seines ganzen Gemüthes bemächtigt. Er hatte den portugiesischen Juden Martinez de Pasquallis kennen gelernt, der einer Illuminaten-Loge vorstand und war bald ganz in den Anschauungen dieses Mystikers aufgegangen.

Die Secte, welche Martinez de Pasquallis gestiftet, hatte von der Freimaurerei ihre Sprache, Zeichen, Chiffern geborgt. Sie erwartete die Ankunft eines neuen Heilands, welcher der heilige Geist in Menschengestalt sein werde. Es war die Zeit, in welcher Schröpfer, Saint Germain, Cagliostro eine große Rolle spielten und Mall vom Schlüssel Salomonis, von der Kabbala sprach. Swedenborg, Lavater und St. Martin, ein Schüler Martinez de Pasquallis’, bildeten eine andere Trias. Waren jene freche Betrüger, welche sich mit Geisterbeschwörungen, der Universalmedicin, der Goldmacherei und der Kabbala beschäftigten, so suchten diese eine mystische verständliche Philosophie zu gestalten, von der uns in den Büchern Saint-Martin’s die Umrisse entgegenleuchten.

Allmählich erst, als das Illuminatenthum durch die unlauteren Elemente, die sich hier einmischten, immer bedenklicher wurde, fingen Cazotte die Augen aufzugehen an. Er vermied die Logen und warf sich dafür mit ganzer Neigung auf den Orient und seine Sagenschätze. Er mußte nun einmal schon im Element des Wunderbaren leben, um sich befriedigt zu fühlen. Aber trotz des tiefen Ernstes, der sein Wesen beherrschte, blieb er ein Weltmann, nicht selten schalkhaft, ironisch, der über seinen eigenen Wunderglauben wie über eine angeborene Schwäche spöttelte.

Als einige Tage nach dem Diner in der Rue du Bac Condorcet unserm Cazotte begegnete und darauf zu reden kam, wie dessen Prophezeiung die Gesellschaft alarmirt habe, sagte der Alte: „Opium, Opium! Ihr werdet Euch doch nicht durch Cazotte’s Tollheit in Schrecken setzen lassen? Cazotte, ich sage es Ihnen, ist toll, Cazotte weiß nicht, was er sagt. Wenn Licht, Wein, Parfüms, der Glanz von Edelsteinen, der Anblick schöngeputzter Frauen zusammenwirken, um seine Phantasie zu erhitzen und ihm die alten Sinne zu entzünden, da redet er in geistiger Trunkenheit das Wirrste durcheinander.“

„Nein, nein,“ sagte Condorcet, „das erklären Sie damit nicht! Es war, als spräche aus Ihnen ein fremdes Wesen heraus, ein Wesen, das wir bisher Alle nicht gekannt. Es war uns nicht geheuer, Cazotte! Wenn Sie an der Wand Zeichen hingemalt hätten, die plötzlich zu brennen anfangen, es wäre nicht unheimlicher gewesen.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_201.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)