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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

brachte er einen bedeutenden Eindruck hervor. Von München hatte sich Haase nämlich unter Umständen getrennt, die von Weitem unleidlich erscheinen, weil sie wie ein von ihm verschuldeter Vertrauensbruch aussahen. Die heilige Hermandad des Cartellvereins processirte hinter ihm drein und in den Zeitungen wechselten Erklärungen und Gegenerklärungen mit einander ab, in denen immer diejenige Partei Recht behielt, die gerade am Worte war. Dies Zerwürfniß war eben nur zum Schweigen, aber noch nicht zur Ausgleichung gebracht, als eines schönen Mittags Fritz Haase in eigener Person bei mir in Hamburg erschien. Er wollte dem Stadttheater ein paar Frankfurter Urlaubswochen zu Gastspielen zuwenden. Der Empfang des schlanken, braunäugigen Herrn war von meiner Seite ein gezwungen freundlicher. Das ihm gespendete Lob hatte doch ein starkes Gegengewicht in meinem Gemüth an dem Aerger gefunden, den Haase den Münchnern, oder vielmehr, den er Dingelstedt bereitet hatte. Das ist also wieder Einer von den hochfliegenden und unruhigen Schauspielern. Der geordnete Dienst der Kunst und eine der Kunstanstalt untergeordnete Wirksamkeit genügt ihnen nicht. Sie wollen die alleinherrschenden Virtuosen sein. Dabei musterte ich die Formen seiner Tracht und seines Benehmens mit dem Mißtrauen, daß ich einen dandyhaften Günstling der Frauen in Haase erblickte. Mein Besuch war allerdings sehr sorgfältig nach der letzten Mode gekleidet, allein der elegante Rahmen war der Portraitgestalt so geschmackvoll angepaßt, daß die Ausstattung des Bildes dem Charakter desselben entsprach. So wählt kein Geck seinen Schnitt und seine Farben, und ein harmonischer Sinn für Aeußerlichkeit hat für die Bühne ihren großen Werth.

Die üblichen Höflichkeiten einer ersten Begegnung waren ausgetauscht, das Gespräch pausirte nach den Worten, womit ich dem Gaste gutes Glück zu seinem Auftreten gewünscht, als Friedrich Haase, anstatt mit einer pflichtschuldigen Verbeugung abzugehen, sich zu einem festen Sitze niederließ. „Es wird mir also schwer werden, Ihre Voreingenommenheit gegen mich zu überwinden,“ sagte er und trocknete sich die Stirn mit dem Tuche ab, als ob ein großer Angstschweiß darauf säße. Der Schelm! So gut wußte er das Verschwiegene zu errathen und so gewiß war er seiner Mittel, nicht anders denn als Sieger über meine Zurückhaltung vom Platze zu weichen!

Sein Vorhaben gelang ihm eben so rasch wie vollständig. Er lieferte in Kurzem eine so unumwundene Darlegung seiner künstlerischen Absichten und persönlichen Verhältnisse, als ob wir seit jeher die innigst Vertrauten gewesen und ihm diese Generalbeichte daher ein dringendes Herzensbedürfniß sei! Beileibe, daß er die Irrthümer seiner Handlungsweise beschönigt oder die Fehler derselben verborgen hätte! Gerade das gefährlich Mißzudeutende gab er mit einer Offenheit preis, welche wir eine rührend kindliche nennen würden, wäre sie nicht eine so überlegen kluge gewesen. Denn seine Aufrichtigkeit sprach sich mit einem Humor aus, der den Zuhörer unwiderstehlich zu der Partei des Humoristen hinüberzog. Haase ist nicht nur der vorgeschriebenen Rede, des Vortrags auf der Bühne Meister; sein freies Wort ist eben so sauber und den Gegenstand mit Anmuth „deckend“ wie sein Kleid. Dazu die pfiffige Frömmigkeit in seinem Blick, mag er das Auge niederschlagen oder erheben. Freilich blieb, er mochte sich erklären, wie er wollte, an seiner Künstlerschaft ein brennender Zug zum Virtuosenthum haften – wo sind wir denn noch so naiv in unserer ganzen Bildungswelt, daß es anders sein könnte an einem Kinde dieser Zeit? schien eine demüthige Senkung der Wimpern dabei zu fragen – und freilich behielt die Münchner Fahnenflucht ihre bürgerlich anstößige Seite. Aber ist das Virtuosenthum, das zu erweiterter künstlerischer Wirkung führt, am Schauspieler stärker als am Musiker oder am Maler zu tadeln? Der Münchner Contractzwiespalt endlich ist später und er ist mittels einer männlichen Buße gesühnt worden, zu der wir rathend und vermittelnd selber beigetragen haben.

Haase trat damals in Hamburg auf den Bretern des Stadttheaters und ein paar Jahre später in der Thalia auf, in welcher letztern wir eine Bühne von seltener Tüchtigkeit für das Conversationsstück besitzen. Einen Schauspieler in der Mannigfaltigkeit seiner Gebilde zu beschreiben, das ist eine schwere Aufgabe.

Sein Talent beherrscht vom verschlagenen Bolingbroke in „Ein Glas Wasser“ an die mit einer farbensatten Charakteristik zu Werke gehenden Liebhaberpartien bis auf den alten Klingsberg, in welcher Kotzebue’schen Figur Haase unter Anderem durch den souverän-herablassenden Ton für den Standpunkt Propaganda macht, von welchem aus der Graf der gemeinen Moralpredigt die Abgestandenheit ihres Wesens entgegenseufzt. Sein Marinelli ist ein höfischer Schmarotzer vom feinsten Schliff und sein Carlos in „Clavigo“ vollends hat den Stempel einer Geselligkeit, daß wir den einen oder den anderen unserer wohlwollendsten Hausfreunde in ihm zu erkennen glauben. Aber selbst mit seinem Franz Moor ließe es sich noch leben. Er ist kein zähnefletschender Popanz. Haase’s Bösewichte sind nur Bösewichte aus äußerster Nothwendigkeit ihrer Einsicht und ihrer verzweifeltsten Lagen. Stürbe Carl Moor an einem Duell in Leipzig, so würden wir in Franz einen ganz erträglichen Majoratsherrn der Familie Moor besitzen. Ist das nicht ein Humanitätsfortschritt der Kunst in Parallele mit dem Leben? In den kranken Erscheinungen, die Haase in den verknöcherten Edelmannsvorurtheilen eines Rocheferrière oder in dem von seinem Gewissen gequälten Lord Harleigh zur Anschauung bringt, wird dem Wunsche des Zuschauers von vornherein sympathisch durch einen Wegweiser zur Genesung genug gethan. Einen Tartüffe von Molière dagegen oder dessen Geizhals spielt Haase auch in der Methode des Verfassers, die in dieser einen Persönlichkeit einmal alles Unkraut desselben Charakters zum vollen Schusse aufsprießen lassen will. Haase’s Richard der Dritte ist ein so bestechender Unhold, daß er sich nicht allein durch irgend welche Hinterthür in’s Herz der unglücklichen Anna stiehlt. Mit seiner dämonischen Laune schmeichelt er sich so zuversichtlich auch beim Zuschauer ein, daß dieser der Ueberlegenheit des abgebrühten Schurken einen Beifall staunenden Ergötzens schenkt, so lange Richard seine Blutwirthschaft im Großen wider die Widerstände seiner Usurpation treibt. Mit Entsetzen erkennen sie das Gebiß des Wolfs erst wieder, wenn es aus der heuchlerischen Schafsmaske hervor auch gegen den Freund Buckingham und mit einem „Kopf ab!“ wider den Helfer Hastings schnappt. So sucht seine Kunst auch im Historischen das Individuelle darzustellen. Im Leben der Gegenwart ist es das markirt Gesellschaftliche, welches er mit ausdauerndem Nachdruck zu wechselnder Gestaltung bringt.

Eine Bemerkung zum Schluß an die Anatomen. Wenn Haase den Elias Krumm giebt, so hat er einen räthselhaft perspectivischen Hals. So lange es gut geht mit den Aussichten des Candidaten, schiebt sich ein Scharnier nach dem andern empor, so daß der Kopf des Krumm auf dem Gipfelpunkte seiner Pfarramts-Seligkeit wie auf einem Schwanenhalse hin und her schwankt. Aber dann tritt die Wendung ein und der heuchlerische Kerl geht mit einem Nacken ab, unter welchem nur der Höcker fehlt. Alles was Hals heißt ist ihm dermaßen in die Halsbinde gefallen, als ob der Kopf in den Schultern eingemauert wäre.

Für Auszeichnungen ist Haase nicht unempfänglich. Literarische Verherrlichungen verstimmen ihn keineswegs, und die Ordensfarben von Oldenburg und Coburg trägt er gewissenhaft im Knopfloche.




Die socialen Folgen der Arbeitstheilung.
Vortrag gehalten im Saale des großen Handwerkervereins zu Berlin von Schulze-Delitzsch.
(Schluß.)
III. Geschichtliche Entwickelung.

Haben wir sonach die tröstliche Ueberzeugung gewonnen, daß das Krankhafte unserer socialen Zustände nicht dauernd und principiell der Arbeitstheilung selbst, und in ihr dem Lebensnerv der Civilisation anhafte, daß es vielmehr in Einflüssen seinen Grund habe, welche ihrem Wesen fremd sind, so fragen wir weiter: wo denn diese Einflüsse zu suchen sind, aus welchen sich die fraglichen Mißstände erklären lassen, die sich seit Jahrtausenden bis in unsere Tage hinein schleppen? Schon die stetige Abnahme derselben im Laufe der Zeit, sowohl dem Grade als der Ausdehnung nach,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_205.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)