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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

auszusprechen, was unter den obwaltenden Verhältnissen die Mutter voraussichtlich erschrecken und mit großer Sorge um die Tochter erfüllen mußte.


13.

Die Ruinen von Gnadeck mochten wohl verwundert aufhorchen bei dem seltsamen Geräusch, das seit dem ersten Morgengrauen mit kleinen Unterbrechungen an ihre schiefen Mauern schlug. Das klang so ganz anders als das Zerstörungswerk der Regenfluthen, oder der Schneemassen, wenn sie in der Frühlingssonne schmolzen. Heute waren es Menschenhände, welche das Zerstörungswerk vollbrachten. Unglaublich schnell und rührig hoben sie Stein um Stein ab. Der Erker, der so kühn seinen Fuß vorgestreckt hielt und Jahrhunderte lang wie ein unerschütterlicher Wachtposten vor dem Flügel gestanden hatte, sah kläglich aus. Er hatte bereits ein beträchtliches Stück von seiner Höhe eingebüßt; sein Epheugewand war zerrissen, es wurden nun dunkle Fensterhöhlen und grünangelaufenes Mauerwerk sichtbar, dessen jetzt freilich verstümmelte und zerklüftete Steinzierrathen einst schön und kunstreich gewesen sein mochten. Die Arbeiter waren sehr fleißig. Es interessirte sie selbst, so halsbrechend auch die Aufgabe war, von oben herab in die dunklen Winkel und Ecken des alten Nestes sehen zu können, das der Gespensterglaube des Volkes mit zahllosen schauerlichen Erscheinungen bevölkerte.

Am Nachmittag saß nun wieder Frau Ferber mit Elisabeth und Miß Mertens auf dem Damm, als Reinhard, der sich stets Nachmittags zu einer bestimmten Stunde einfand, erschien und erzählte, daß Linke heute Morgen in aller Stille beerdigt worden sei. Währenddem rollte und prasselte es beinahe unaufhörlich drüben bei dem Erker. Bald darauf trat Ferber in den Garten. Er war im Forsthause gewesen und kam nun in Begleitung des Oberförsters zum Kaffeestündchen heim. Ernst lief ihm aufgeregt entgegen. Der Kleine hatte, obgleich den Cordon streng respectirend, den der Vater der Sicherheit wegen für ihn gezogen, bis dahin fast immer im Hauptweg gestanden und mit großem Interesse das Abtragen des Erkers verfolgt.

„Papa, Papa!“ rief er, „der Maurer will Dich sprechen, Du sollst hinaufkommen … er sagt, er habe etwas gesehen.“

Wirklich winkte einer der Arbeiter den beiden Männern eifrig zu, näher zu kommen.

„Wir sind auf eine Kammer, oder was es sein mag, gerathen,“ rief der Mann hinab, „und wenn ich recht sehe, so steht ein Sarg drin. Wollen Sie nicht erst einmal die Sache ansehen, Herr Ferber, ehe wir weiter arbeiten? … Sie können sich getrost heraufwagen; wir stehen auf einer noch recht festen Decke.“

Reinhard hatte den Zuruf gehört und kam eilends die Terrassenstufen herabgelaufen. Ein verborgener Raum, der einen Sarg enthielt, das klang fast berauschend für seine Alterthumsforscherseele.

Vorsichtig stiegen die drei Männer die Leiter hinauf.

Die Arbeiter standen da, wo der Erker aus dem Hauptgebäude hervorsprang, und zeigten auf eine ziemlich weite Oeffnung zu ihren Füßen. Bis dahin waren sie auf keinen verschlossenen Raum gestoßen. Dem Hauptgebäude fehlte ja zum Theil das Dach. Man sah, auf dem Erker stehend, nach allen Richtungen hin durch ein Wirrsal offener Zimmer, halb eingestürzter Gänge, und durch breite Spalten im Fußboden hinunter in die Schloßcapelle. Der Erker selbst sah ebenfalls in seinem Innern nicht halb so unheimlich aus, wie von draußen gesehen; der blaue Himmel lugte allerorten herein, und die frische Luft fegte hindurch, so viel sie Lust hatte … Und nun erschien plötzlich da unten ein Raum, umschlossen von scheinbar festen Wänden und geschützt durch einen ziemlich gut erhaltenen Plafond. So viel man von oben herab beurtheilen konnte, schob sich das Zimmer wie ein Keil zwischen die Capelle und den Raum, der hinter dem Erker lag. Jedenfalls mußte sich an der äußersten Spitze, welche die Wände bildeten und die in der Ecke des Erkers und des Hauptgebäudes mündete, ein Fenster befinden, denn von dort her fielen schwache Lichtreflexe durch gefärbtes Glas herein und huschten über den Gegenstand, den man nur zum Theil sah und den der Maurer für einen Sarg erklärt hatte.

Es wurde sofort eine Leiter von beträchtlicher Länge hinabgelassen, da das Zimmer eine bedeutende Höhe hatte, und in lebhafter Spannung stieg Einer nach dem Andern hinunter. Man hatte beim Herniedersteigen in nächster Nähe ein durch das Alter beinahe schwarzbraun gewordenes Wandgetäfel vor sich. Das Auge erschrak fast vor den wunderlichen Schnörkeleien, die hier aus der Hand des Holzschnitzers hervorgegangen waren. An der Decke hin lief eine schmale, kunstlose Holzleiste von viel späterem Datum, an der lange schwarze Tuchfetzen herabhingen; die andere Hälfte der Trauerbekleidung lag unten auf dem Boden, ein modernder, gestaltloser Klumpen.

Ohne Zweifel hatte der Raum vom Anbeginn den Zweck der Verborgenheit gehabt, denn es war auf seine Form nicht die mindeste Rücksicht genommen worden. Ein unregelmäßiges Dreieck, in dessen eine etwas abgestumpfte Spitze in der That das vermuthete, sehr schmale Fenster eingefügt war, schmiegte er sich so eng an die Capelle, daß Reinhard’s Vermuthung, man habe hier in alten, katholischen Zeiten die Kirchenkostbarkeiten verwahrt, sehr viel Wahrscheinlichkeit erhielt, um so mehr, als fünf bis sechs ausgetretene Steinstufen zu einer von innen vermauerten Thür in der Capellenwand hinabführten. Das Fenster lag hinter der Steineiche, die ihre dicken Aeste gerade hier fest andrückte; auch einige Epheuranken woben ein zartes Gespinnst über die Scheiben, trotzdem stahl sich die Sonne durch die zierlichen, farbenprächtigen Glasrosetten, welche auch nicht eine Spur der Zerstörung an sich trugen.

Es war in der That ein Sarg, ein kleiner, schmaler Zinnsarg, der, hell von der schwarzen Sammetdecke des Postaments sich absetzend, einsam und vergessen inmitten der drei Wände stand. Zu seinen Häupten erhob sich ein mächtiger Kandelaber, aus dessen Armen noch Reste von dicken Wachskerzen sichtbar waren; ihm zu Füßen aber stand ein Schemel, eine Mandoline lag darauf, die Saiten hingen zerrissen herab. Es war schon ein altes Instrument zu Lebzeiten des letzten Besitzers gewesen, denn das schwarze Griffbret zeigte viel helle, abgegriffene Stellen und der Resonanzboden war da leicht eingebogen, wo der Spielende den kleinen Finger aufzusetzen pflegt.

Die letzten Atome verdorrter Blumenspenden flogen bei Annäherung der Herabsteigenden vom Sarge nieder, auf dessen Deckel in vergoldeten Lettern der Name Lila stand.

An der tiefen Wand, zugleich auch der breitesten des Raumes, war ein großer, dunkler Schrank aus Eichenholz angebracht; zur Aufbewahrung der Meßornate bestimmt, meinte Reinhard im ersten Augenblick. Er schlug die beiden nur angelehnten Thüren zurück; infolge dieser Erschütterung rauschte und rieselte es drinnen, und kleine Staubwolken flogen aus den Falten einer Menge hier aufgehangener Frauengewänder … Es war das aber eine merkwürdig phantastische Garderobe; bunt und von fast leichtfertig kokettem Schnitt, contrastirten diese Maskeradenanzüge seltsam mit der Feierlichkeit und dem Ernst ihrer Umgebung.

Es mußte ein kleines, außerordentlich zartes Geschöpfchen gewesen sein, das diese Gewänder getragen hatte, denn die seidenen, meist mit einer reichen Goldstickerei bordirten Röckchen waren kurz wie ein Kinderkleid, und die Form der Mieder von purpurnem oder veilchenblauem Sammet mit den seidenen Bandschleifen und dem Latz von goldenem Zindel ließen auf eine bewunderswürdig biegsame, feine Mädchentaille schließen … Viele, viele Jahre mochten hier vorübergeglitten sein, ohne daß ein menschlicher Athemzug in dieser Abgeschiedenheit hörbar geworden wäre, eine lebenswarme Hand die hier eingeschlossenen Gegenstände berührt hatte. Die Haken im Schranke hatten allmählich die mürbe gewordenen Stoffe durchbohrt, und die Fäden, die einst Perlen und Goldflitter auf den seidenen Borden festgehalten hatten, hingen lose und zerrissen herab.

An eine der Seitenwände lehnte sich ein kleiner Tisch mit einer Marmorplatte. Er schien sich kaum noch auf den altersschwach gewordenen Füßen halten zu können und brachte durch seine schiefe Haltung einen auf seiner Platte stehenden Kasten in die Gefahr herabzustürzen. Dieser Kasten war ein wahres Meisterstück von eingelegter Arbeit in Metall und Elfenbein. Der Deckel schien nicht verschlossen zu sein, es sah vielmehr aus, als sei er nur lose niedergelegt, um ein breites Papier festzuhalten, das aus dem Kasten hervorragte und augenscheinlich mit großer Sorgfalt so placirt war, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Es war braun gefärbt vom Alter, auch lagerte, wie auf Allem, eine dicke Staubschicht darüber; aber die großen, steifen, schwarzen Schriftzüge schauten unvertilgbar darunter hervor und der Name „Jost von Gnadewitz“ war auch in weiterer Entfernung lesbar.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_222.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)