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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Gesichtspunkt Ew. Majestät zu Füßen zu legen, damit Sie, Sire, beurtheilen können, ob ich nicht vollen Grund habe zu wünschen, daß jene Dame, nachdem die zwischen uns bestehende Verbindung an die Oeffentlichkeit gelangt, ihrer Verpflichtung, noch auf der Bühne zu erscheinen, entlassen werde. Es bedarf keines Wortes mehr, um Ew. Majestät zu sagen, wie weit und wie tief eine solche Gnade meine Dankbarkeit verpflichten würde. Dasjenige, was mir mehr als Alles auf der Welt am Herzen liegt, hängt von der Milde und dem Erbarmen Ew. Majestät ab. Ihre Entscheidung erwarte ich mit der pflichtschuldigen Unterwerfung, mit welcher ich in allertiefster Ehrfurcht immer bleiben werde etc. etc.

Stuart de Machinzie.“

Die einzige schriftliche Antwort, welche der König auf diesen rührenden Appell an die Allerhöchste Gnade erließ, lautete: „Reponatur“. (Werde zu den Acten gelegt.) Thatsächlich aber beantwortete der König das inständige Gesuch des Lords um die Befreiung seiner Verlobten von ihrer Verpflichtung, die Bühne zu betreten, mit dem Befehl: die Tänzerin habe am 13. Mai, also kaum fünf Tage nach Beendigung einer so aufregenden und angreifenden Reise, vor ihm zu erscheinen. –

Am 13. Mai wurde auf der Bühne des Schloßtheaters eine französische Komödie aufgeführt und Barbara Campanini erhielt den Befehl, in den Zwischenacten zu tanzen. Der Ruhm ihrer Künstlerschaft, der Ruf ihrer Schönheit und die abenteuerlichen Umstände, von denen ihr Engagement begleitet war, hatten das Interesse und die Erwartungen des Publicums auf das Höchste gespannt. Es war ein heißer Boden, den sie betrat, und heftig genug mag er ihr unter den zarten Sohlen der kleinen Füße gebrannt haben. Sie bedurfte alles Muthes, aller ihrer Energie; es galt, den mächtigsten der Feinde, den Zorn des gefürchteten Monarchen, zu besiegen.

Allein je furchtbarer der Feind, desto ruhmreicher ihr Sieg. Mit ihrem ersten Auftreten war er entschieden. Wie der große Cäsar bei seinem pontischen Triumph, konnte auch sie sagen: „Veni, vidi, vici.“ Ihre hinreißende Schönheit, von welcher das noch heut im Stadtschloß zu Potsdam aufbewahrte Portrait Zeugniß giebt, bezauberte den jungen König dermaßen, daß er gleich nach dem ersten Tanz ein längeres Gespräch mit ihr anknüpfte, und in diesem wußte sie ihn durch ihren sprudelnden Geist und ihre entzückende Anmuth so zu fesseln, daß alles Vorhergegangene im Augenblick vergeben und vergessen war.

Wie der Hirte, so die Heerde. Wie der König, so lag bald der ganze Hof und Alles, was mit ihm zusammen- und von ihm abhing, huldigend zu den Füßen ihres Talents und ihrer Schönheit. Wenige Tage darauf erschienen in der Spener’schen Zeitung deutsche und französische Gedichte, in welchen ihre Schönheit und ihre Meisterschaft gefeiert wurde, ja sogar ein zu ihrem Preise in lateinischen Distichen verfaßtes Carmen.

Man sah in ihr den erklärten Liebling, vielleicht bald die Geliebte des Königs. Wer ihren Reizen widerstand, wurde durch Liebedienerei und Eigennutz zu ihr gezogen. Je offener, ich möchte fast sagen, je absichtlicher der Monarch ihr seine Gunst bezeigte, desto eifriger umdrängte sie der Schwarm der Höflinge. Nur kurze Zeit und das mit Gewalt hergeschleppte „betrübte Frauentzimmer“ war der Brennpunkt und ihre in der Behrenstraße gelegene Wohnung der Sammelplatz der vornehmen Gesellschaft von Berlin.

Was in dieser ersten Zeit ihres aufgehenden Gestirns der arme Lord Stuart de Mackenzie gethan und gelitten haben mag, darüber fehlen uns nähere Nachrichten. Nur Zweierlei geht aus den uns aufbewahrten Documenten, die wir theilweise hier folgen lassen, hervor: erstens, daß die der Barbarina von dem König erwiesene Gunst der dauerhaft gearbeiteten Liebe des jungen Gentleman keinen Eintrag gethan, und zweitens, daß gegen Ende des Monats Juni eine Trennung der beiden Liebenden, wahrscheinlich durch eine allerhöchst befohlene Ausweisung des Engländers aus Berlin und dem zeitweiligen Umkreis der preußischen Staaten, erfolgte.

Das erste der erwähnten Documente ist ein vom 4. Juli 1744 datirter Bericht des Polizei-Präsidenten von Kircheysen an den König, in welchem es heißt: „Es ist der Lohn Laquay, welchen der Mackinzie mit sich von hier genommen, gestern Abend aus Hamburg zurückgekommen. Ich habe ihm sofort die ihm an die Barbarina anvertrauten Briefe, unter welchen er den ohne Aufschrift in derselben eigene Hände zu geben befehligt gewesen, abgefordert und Ew. K. Maj. solche sämmtlich unterthänigst einsenden sollen. Der Mackensie hat sich in Hamburg auf einem Schiffe nach London embarquirt.“

Diese Briefe – es sind ihrer drei – welche niemals an ihre Adresse gelangten, sind geeignet, eigenthümliche Lichter auf die Sitten jener Zeit überhaupt, sowie auf die hier in Rede stehenden Verhältnisse insbesondere zu werfen. Der erste derselben ist in französischer Sprache geschrieben und lautet folgendermaßen:

Hamburg. Montag, den 29. Juni 1744.

          „Meine Liebe!

Hier angelangt und gezwungen, mich morgen nach England einzuschiffen, konnte ich nicht umhin, Dir eine Zeile durch meinen nach Berlin zurückkehrenden Diener zu schreiben. Ich war von der Botschaft, welche Se. Majestät mir zukommen ließ, so bestürzt, daß ich nicht genau weiß, ob er meinte, es sei mir, so lang ich in den Staaten des Königs weilte, oder so lange Du in denselben wärest, jeder briefliche Verkehr mit Dir untersagt. Ich glaube, es hieß, so lange ich daselbst wäre; so daß ich jetzt, da ich nicht mehr dort bin, diese Zeilen an Dich zu richten wage. Was habe ich bei der Trennung von Dir gelitten! Aber Du ahnst es, deshalb will ich Dich nicht mit der Schilderung meiner Leiden betrüben; bin ich doch überzeugt, daß der Abschied von mir Dir ohnedies schwer genug geworden ist. O mein Gott! wie traurig ist unser Schicksal, mein süßes Babbyli! Hätte ich nur eine Gelegenheit gehabt, Se. Majestät zu sehen, so bin ich überzeugt, es wäre mir dies erspart worden. Aber gewisse Leute haben sich wohl gehütet, mich dem Throne nahe kommen zu lassen, aus Furcht, ich könnte Wahrheiten sagen, von denen sie um keinen Preis möchten, daß sie zur Kenntniß Sr. Majestät gelangten. Ich lasse meinen Wagen hier für Dich zurück. Es wird nicht viel kosten, ihn zu Wasser nach Berlin kommen zulassen; Du wirst aber für einen Geleitschein sorgen müssen, um die Eingangssteuern zu sparen, sonst dürfte es doch theuer zu stehen kommen. Mein Diener wird Dir sagen, wo der Wagen ist, und dann kannst Du ihn sofort kommen lassen; ich denke, Du wirst ihn gebrauchen können. Obgleich wir getrennt und sehr weit von einander entfernt sind, kannst Du doch so sicher auf mich zählen, als wäre ich bei Dir; ich bin zu fest entschlossen, und wir sind zu eng mit einander verbunden, als daß wir einander jemals vergessen könnten. Eine Leidenschaft schwindet oft mit der Zeit; aber heilige, durch die Ehre geweihte Bande vermag keine Zeit zu zerreißen, und ich glaube für mich bürgen zu können, daß, wenn wir uns, und wäre es nach noch so langer Zeit, wiedersehen, meine Empfindungen ganz dieselben wie in dieser Stunde sein werden.

Ich baue auf Dich, meine Seele, wie auf mich selbst; und überzeugt, Du werdest, wenn Du irgend kannst, nicht ermangeln mir zu schreiben, hoffe ich recht oft Nachrichten von Dir zu erhalten. Zähle auf mich in allen Dingen. Leb’ wohl, meine Liebe.

Anima mia carissima, adio!

Ich bin ganz Dein.          
Der Unglückliche (L’infortuné).“

Der zweite Brief ist in englischer Sprache verfaßt, von demselben Tage datirt und „an den Abbé Colman“ gerichtet. Darin giebt Lord Stuart Bericht von seiner „peinvollen Reise“ und meldet, daß er, in Hamburg angelangt, sich in künftiger Nacht nach London einschiffen werde. Zugleich bittet er in etwaigen Briefen an ihn von seinem „kleinen Weibchen“ nur als von dem „Doctor“ oder „Capitän“ zu sprechen, und ersucht, den Bruder des Grafen um seine Vermittelung beim König anzugehen.

Der dritte Brief trägt in englischer Sprache die Ueberschrift: „Mein ewig theuerstes Weib, meine liebenswürdige, süße Molly“, und fährt dann Französisch fort: „Mit welchen Ausdrücken soll ich Dir die Qualen schildern, die ich ausstand, als ich so, wie es geschah, von Dir getrennt wurde! Ich zweifle nicht, daß Du, mein Herz, als Du bei der Rückkehr aus der Komödie die Nachricht erhieltest, auch schwer gelitten hast; aber wenn Du gelitten hast, so denke, was ich, allein und ohne jeden tröstenden Beistand, gelitten haben muß. O Gott! Der Gedanke daran macht mein Blut erstarren! Ich habe Dir einen kurzen Brief geschrieben (ob Du ihn erhalten hast, weiß ich nicht), in welchem ich Dir mein Mißgeschick schilderte. Da ich nicht wußte, ob man Dir denselben zustellen würde, wagte ich nicht, Dir Alles zu sagen. Jetzt aber kann ich offen zu Dir sprechen; denn mein Diener, der nach Berlin

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_238.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)