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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

höchste Ueberraschung aussprechen, denn nach einem augenblicklichen, tiefen Schweigen drehte sie sich erstaunt nach ihm um. Er hatte die Hand auf Stirn und Augen gepreßt und der Theil des Gesichts, den sie nicht bedeckte, war aschbleich. Bei Helenens Bewegung, jedoch ließ er die Hand sinken, erhob sich rasch und trat an das offene Fenster, um frische Luft einzuathmen.

„Bist Du unwohl, Rudolph?“ rief sie ängstlich hinüber.

„Ein vorübergehender Schwindel, weiter nichts,“ antwortete er und näherte sich ihr wieder. Seine Züge sahen entstellt aus. Er ging einigemal im Zimmer auf und ab und nahm dann seinen Platz wieder ein.

„Ich habe Dir gesagt, daß Emil sich verloben will, Rudolph,“ begann Helene wieder, jedes Wort markirend.

„Das hast Du gesagt,“ wiederholte er tonlos und mechanisch.

„Du billigst diesen Schritt“

„Der geht mich nichts an. Hollfeld ist sein eigener Herr; er kann thun, was ihm beliebt.“

„Ich glaube, er hat gut gewählt. Dürfte ich, so wollte ich Dir den Namen des jungen Mädchens nennen.“

„Ist nicht vonnöthen … Ich werde ihn früh genug hören, wenn er von der Kanzel herab verkündigt wird.“

Sein Gesichtsausdruck war eisig, die Stimme klang rauh und abweisend und aus den Wangen schien auch der letzte Blutstropfen entwichen zu sein.

„Rudolph, ich bitte Dich, sei nicht so entsetzlich schroff!“ bat Helene flehentlich. „Ich weiß ja, daß Du die vielen Worte nicht liebst, und bin an Deine lakonischen Antworten gewöhnt; aber in diesem Augenblick bist Du geradezu abstoßend, und gerade jetzt, wo ich eine Bitte an Dich richten möchte.“

„Sprich nur; soll ich vielleicht die Ehre haben, Brautführer des Herrn von Hollfeld zu sein?“

Helene zuckte zusammen vor dem schneidenden Hohn, mit welchem diese Worte gesprochen wurden.

„Du bist dem armen Emil abgeneigt, und das macht sich heute wieder einmal recht geltend,“ sagte sie vorwurfsvoll nach einer kleinen Pause, während welcher Herr von Walde aufgestanden war und mit raschen Schritten einigemal das Zimmer durchmessen hatte. „Ich bitte Dich inständigst, lieber Rudolph, höre mich ruhig an; ich muß heute mit Dir über die Angelegenheit sprechen!“

Er lehnte sich mit verschränkten Armen an einen Fensterpfeiler in der Nähe und sagte kurz: „Du siehst, ich bin bereit, zu hören.“

„Das junge Mädchen,“ hob sie stockend an, diesmal weniger infolge eigener Gemüthsbewegung, als weil sie der eiskalte Blick ihres Bruders einschüchterte, „das junge Mädchen, das Emil gewählt hat, ist arm.“

„Sehr uneigennützig in der That; weiter!“

„Emil’s Einkünfte sind nicht sehr bedeutend –“

„Der arme Mann hat nur sechstausend Thaler Revenüen; er muß nothwendig dabei verhungern.“

Sie schwieg, sichtlich betroffen. Ihr Bruder übertrieb nie; die Summe, die er aufstellte, war sicher bis auf den Groschen richtig angegeben.

„Nun, er mag schon reicher sein, als ich glaubte,“ hob sie nach einer kurzen Pause wieder an; „das kommt übrigens hier ganz und gar nicht in Betracht … Ich habe die Erwählte sehr, sehr gern“ – mit welcher Anstrengung sie sprach! – „sie hat etwas gethan, wofür ihr mein schwesterliches Herz ewig dankbar sein wird.“ Herrn von Walde’s verschränkte Arme lösten sich; er trommelte mit den Fingern der Linken so heftig gegen die Fensterscheibe, daß Helene meinte, das Glas müsse zerspringen.

„Sie soll mir eine Schwester sein,“ fuhr sie fort; „ich will nicht, daß sie Emil’s Haus arm betrete, und möchte ihr sehr gern die Einkünfte von Neuborn zuweisen … darf ich?“

„Das Gut gehört Dir, Du bist majorenn, ich habe hier durchaus nicht das Recht, zu verweigern, oder zu erlauben.“

„O ja, Rudolph, insofern, als Du die nächsten Ansprüche an mich und mein Erbe hast… Also bin ich Deiner Zustimmung gewiß?“

„Vollkommen; wenn Du denn durchaus der Ansicht bist, daß sie dazu gehöre –“

„Dank, vielen Dank!“ unterbrach sie ihn und bot ihm die Hand; aber er schien es nicht zu bemerken, obgleich sein Blick auf sie gerichtet war… „Verdenkst Du mich darum?“ fragte sie nach einer Weile beklommen.

„Darum nicht, daß Du den Wunsch hast, Menschen glücklich zu machen, Du wirst Dich erinnern, daß ich Dir stets bei dergleichen Gelegenheiten rückhaltslos die Hand geboten habe. Wohl aber mache ich Dir den Vorwurf der Uebereilung; Du bist sehr schnell bereit, jenes junge Wesen in’s Unglück zu stoßen.“

Sie fuhr wie von einer Viper gestochen in die Höhe. „Das ist ein harter Ausspruch!“ rief sie heftig, „Dein Vorurtheil gegen den beklagenswerthen Emil, Gott mag wissen, auf was es sich begründet, geht denn doch zu weit… Du kennst den armen Menschen viel zu wenig –“

„Ich kenne ihn viel zu gut, als daß ich ihn noch näher kennen lernen möchte… Er ist ein ehrloser Schmarotzer, ein erbärmlicher Bursche ohne allen Charakter, an dessen Seite ein Weib, selbst wenn es nur geringe Anforderungen an männliche Ehrenhaftigkeit stellt, elend werden muß … wehe der Armen, wenn sie zur Erkenntniß kommt!“ … Seine Stimme wankte im verhaltenen Schmerz. Helene hörte jedoch nur Groll und Ingrimm heraus.

„Gott, wie ungerecht!“ rief sie, ihre weinenden Augen nach der Zimmerdecke richtend. „Rudolph, Du versündigst Dich schwer. … Was hat Dir nur Emil gethan, daß Du ihn so unversöhnlich verfolgst?“

„Muß man erst persönlich beleidigt werden, um zu wissen, was man von dem Charakter eines Anderen halten soll?“ frug er zürnend zurück. „Kind, Du bist die Schwerbeleidigte, aber Du bist verblendet… Es wird eine Zeit kommen, wo Du das, tief gedemüthigt, erkennst. Wenn ich Dir auch diesen Schmerzenskelch von den Lippen nehmen wollte, es würde, zu Nichts fuhren; Du wehrst Dich verzweifelt und siehst in mir einen Barbaren, der Dich in Deinen heiligsten Gefühlen kränkt… Du zwingst mich selbst, Dich Deinen Weg allein gehen zu lassen bis zu dem Augenblick, wo Du trostbedürftig an mein Herz zurückflüchten wirst… Dir ist dann die Umkehr möglich; was aber bleibt jener Anderen übrig, die unauflöslich gebunden ist?“

Er ging in das Nebenzimmer und ließ die Thür hinter sich in’s Schloß fallen. Helene saß eine Zeitlang wie betäubt; dann erhob sie sich mühsam und verließ, sich an Wänden und Möbeln festhaltend, so schnell es ihr möglich war, den Salon.

Eine unsägliche Bitterkeit, ja, beinahe ein Gefühl von Haß erfüllte sie gegen den Bruder, der heute zum ersten Mal das, was jede Faser ihres Herzens liebend umschloß, so rücksichtslos und rauh antastete. Ihr Herz brach fast vor Leid, indem sie sich alle vermeintliche Aufopferung des Geliebten lebendig zurückrief; ja, es war ihr, als habe sie sich ihm gegenüber schon dadurch der größten Sünde schuldig gemacht, daß jene abscheulichen Schmähungen ihr Ohr berührt hatten. Er sollte nie, niemals erfahren, zu welchen Beschuldigungen ihr Bruder sich hatte hinreißen lassen. Keines, auch nicht das größte Opfer sollte ihr jetzt zu schwer werden, um das Unrecht zu sühnen, das er, wenn auch unbewußt, erdulden mußte. Freilich nun, nachdem ihr Bruder so unumwunden seine schlimme Meinung über Hollfeld ausgesprochen hatte, durfte sie nicht mehr leiden, daß Letzterer die Gastfreundschaft in Lindhof genieße. Sie wollte – natürlich ohne Angabe der Gründe – ihn selbst veranlassen, nach Odenberg zurückzukehren; vorher aber sollte er sein Verhältniß zu Elisabeth feststellen.

Mit diesen Gedanken betrat sie das Eßzimmer, und als Hollfeld sich kurze Zeit darauf auch einfand, empfing sie ihn mit einem ruhig freundlichen Lächeln und verkündete ihm, daß ihr Bruder, ohne den Namen der Erwählten erfahren zu haben, ihren Entschluß bezüglich der Mitgabe für die Braut billige. Sie verlangte nun aber auch, Elisabeth heute bei sich sehen zu dürfen, und Hollfeld, sehr erfreut über die ruhige Art und Weise, mit welcher sie sprach, ging darauf ein. Nachmittag um vier Uhr sollte die Zusammenkunft im Pavillon stattfinden. Hollfeld verließ sofort das Zimmer, um einem Bedienten in Helenens Namen den Auftrag zu geben. Wie würde die junge Dame erstaunt gewesen sein, hätte sie hören können, daß dem Diener ganz ausdrücklich die Weisung gegeben wurde, Fräulein Ferber auf drei Uhr einzuladen, während der Haushofmeister den Befehl erhielt, bis zu der genannten Stunde alles Erforderliche im Pavillon zu arrangiren, ja nicht später!

(Fortsetzung folgt.)



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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_246.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)