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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Vermögensverhältnisse und sonstige Fähigkeiten des designirten Bräutigams, was Alles vom Onkel, wie von einem Instructionsrichter, zu Papier genommen wurde. Meine Schwester hielt das Kreuzfeuer der Fragen mit großer Vorsicht aus; die Partie kam zu Stande, der Onkel gab achtzigtausend Mark Banco der Nichte als Mitgift, der glänzende Polterabend, zu dem ich ein Festspiel mit Tanz geschrieben hatte, wurde von ihm arrangirt, die Hochzeit selbst (die Trauung wurde vom Vater Christiani’s, dem alten General-Superintendenten, vollzogen) in Ottensen (der schönen Villa des Onkels) gefeiert, und wir hatten eine Frau Doctor Christiani in unserer Familie.

Mein Bruder Heinrich, der damals schon in Paris wohnte, schrieb in Folge dieser neuen Verwandtschaft an Doctor Christiani einen ungemein heiteren Brief, der so anfing: „Wir können uns jetzt wie die Könige mon Cousin anreden,“ etc. Da, wo Heinrich von Christiani’s künftigem Onkel, dem Löwen der Familie, spricht, schreibt er ihm: „Fürchte Dich nur nicht gleich, wenn er brüllt, ist er doch sonst gut und edel, am umgänglichsten aber in der Fütterungsstunde.“

Dieser so höchst originelle Brief hatte Abschriften gefunden und sollte den Feinden und Widersachern des Dichters – und zu diesen gehörten ganz besonders Dr. Riesser in Hamburg, die Schwiegersöhne des Onkels, Halle und Oppenheimer – zur Angriffswaffe dienen, als Onkel und Neffe einstmals wieder in momentanen Conflict gerathen waren. Aber der gute Onkel nahm die Sache von der heitersten Seite und unterschrieb einst einen in bester Laune abgefaßten Brief an mich mit den Worten: „Dein Dich liebender Onkel vor der Fütterungsstunde.“




Alpenbilder.
3. Die Wildheuer.


Welch’ ein Unterschied zwischen flachem Land und Gebirge, welch’ ein so ganz anderes Leben in der Ebene, als auf den Rücken der Berge! Der Bewohner des platten Landes, sei der Boden auch noch so kümmerlich, hat eine feste Grundlage unter sich, auf die er sich verlassen kann, die Geschlechter und Jahrhunderte hindurch dasselbe beständige Antlitz trägt; wer auf den Höhen haust, dem wandelt sich so zu sagen der Grund unter den Füßen; er ist keinen Abend sicher, ob sein erwachendes Auge nicht ganz andere Bilder zu schauen bekommt, als von denen das entschlafende Abschied genommen. Die Beständigkeit ist eintönig; was man Schönheit nennt, kühne Abwechselung, immer neuer Reiz, ist daher in der Ebene nicht heimisch, in den Bergen hat sie ihren Thron aufgeschlagen, aber diese Farbenpracht und dieser Bilderreichthum sind um den Preis der Sicherheit erkauft. Ist es doch eine alte Regel, Abwechselung brütet Abenteuer, und was wäre ein Abenteuer ohne Gefahr? Glücklicherweise ist dem Menschen ein Geselle beigegeben, der in all’ die Wohnplätze, in die er sich zerstreut, ihm unzertrennlich folgt, ihn überall heimisch macht und nicht abläßt, bis ihm sogar der abgelegenste Winkel schön vorkommt, wenn dieser nur seine Hütte trägt, bis er in seinen Armen sorglos schläft und sähe die furchtbarste Gefahr auch zu allen Fenstern herein.

Der gute Geselle ist die Gewohnheit.

Wenn die Gewohnheit nicht wäre, würde der Bauer oder Hirt wohl in den rauhen und wilden Thälern Tirols, in Patznaun oder Galtür aushalten und hausen, oder gar im schaurigen Oetzthal, in dem winterlichen Gurgl oder dem noch einsameren Rofen, wo kein Baum mehr wächst und die Gletscher die angenehm kühle Nachbarschaft bilden? Wenn die Gewohnheit nicht wäre, würde der Bauer sein Haus in die Thalsohle stellen neben den kleinen Bergbach, der sich in dem ausgetrockneten Rinnsal fast verliert, der aber nach einem Gewitter wie ein wüthender Strom daherkommt, Haus und Garten mitnimmt und den Platz, wo sie gestanden, unter Geröll und Gestein vergräbt? Die Gewohnheit macht damit vertraut, daß im Winter, gelockert durch einen Schrei, einen Schuß oder den Fall eines kleinen Steines, die Schneelahn abgeht, Alles, was ihr im Wege steht, Wald und Fels, Haus und Dorf vor sich hinfegt, zermalmt und verschüttet, oder daß im Sommer, durch Quellen unterspült oder von einem leichten Erdstoß gerüttelt, ein Stück Berg mit Allem, was auf der seit Jahrhunderten angehäuften Erdschicht steht, zu rutschen beginnt, oder daß eine Murre (Moräne) niedergeht und das schönste angebaute Land, Gärten, Straßen und Weinberg in wenigen Augenblicken so vollends zerstört, daß man ihre Stelle wiederzufinden Mühe hat. Der Bewohner steht wohl in den ersten Augenblicken vernichtet da, er geht in den ersten Tagen herum wie ein Verzweifelter, dann aber legt er Hand an, er räumt die Steine weg, sondert Schlamm und Erde sorglich davon ab und wenn der Boden wieder frei gemacht ist, füllt er die Löcher mit den Steinen aus, breitet den herbeigeschwemmten Schlamm darüber und die Gewohnheit stärkt ihm die Hand bei dieser mühseligen Arbeit, die „Umwenden“ genannt wird; Warum soll er nicht einmal im Großen thun, was er im Kleinen oft thun muß, wenn der Regen von den Rebenterrassen oder den kleinen Felsäckern das gute Erdreich niederschwemmt, das dann unten zusammen gelesen und in „Kraxen“ auf dem Rücken wieder hinauf getragen wird! Das Bild von den Wildheuern gemahnt auch an ein Stück solcher Gewohnheit, und darum will ich davon berichten.

Ich war als Student nach Tirol gewandert, ich wollte auch diese großartige Natur schauen, das Maß meiner naturwissenschaftlichen Kenntnisse daran erproben und Stoffe sammeln zu Arbeiten, die mir noch unklar vorschwebten, um sich erst später zu Geschichten und Lebensbildern zu krystallisiren. Die Ferner lockten mich vor Allem und so war ich dem Oetzthal zugewandert, das gleichsam den Kern und Mittelpunkt der ganzen Tiroler Eiswelt bildet. Ich war Morgens von Sölden aufgebrochen und hatte gehofft, vor Abend noch das einsame Gurgl zu erreichen, aber die Wanderung durch die nach Zwieselstein führende Enge, die wildeste des ganzen Thales, ging nur langsam von statten, denn jeder Schritt bot so viel des Ueberraschenden und Wunderbaren, daß man immer wieder und wieder gezwungen ward, stehen zu bleiben und sich die furchtbare Herrlichkeit zu übersehen. Es giebt vielleicht in Europa keinen Bergweg, der mit diesem verglichen werden kann. Die tobende Ach schäumt in einem thurmtiefen Abgrunde dahin, darüber steigt die Wand ebenso hoch hinauf und es ist manchmal geradezu unbegreiflich, wie man nur noch Raum gefunden hat, den schmalen Steig anzubringen. Stellenweise hört er auch völlig auf und wird durch Brücken ersetzt, einzelne Bäume, denen irgend ein Felsenspalt oder wohl gar der schwankende Wipfel eines Lärchbaums zur Stütze dient. Der Weg wurde um so bedenklicher, als es schon zu dunkeln begann, und als endlich die Tiefe des Tobels, in dem man wieder hinab muß, erreicht war, begrüßte ich die erste der zerstreut liegenden Hütten von Zwieselstein mit einem Vergnügen, wie kaum das beste Hotel einer großen Stadt.

Es war unnöthig, anzupochen, denn die Thür des Hauses stand offen; es ging lebhaft darinnen her und Jung und Alt schien hin- und hergehend mit allerlei Vorbereitungen beschäftigt, hinter dem Hause aber sprangen und wälzten sich jubelnde Kinder, zum Beweise, daß es etwas Fröhliches war, wozu man rüstete. Dennoch stand die Art, wie man mich empfing, damit im Widerspruch, und der Mann, den ich um ein Obdach für die Nacht ansprach, nahm den kurzen Pfeifenstummel aus dem Munde und betrachtete mich bedenklich von oben bis unten wie einen unwillkommenen Störenfried. Er hieß mich noch ein halbes Stündchen weitergehen, dort würde ich ein größeres Haus treffen, das sei besser für Gäste eingerichtet, und als ich meine Müdigkeit erwähnte, versicherte er, daß ich bei ihm sehr schlecht angekommen sei, er könne mir nur eine ganz schlechte Liegerstatt bieten und diese nur auf ein paar Stunden. „Und zu essen giebt’s gar nichts mehr,“ sagte er, „als ein Stückl Brod … wir sind schon völlig zusamm’gericht’ und haben ein’packt, denn wie nur ein Fleckl grau wird am Firmament, so ziehn wir fort und geh’n in’s Wildheu.“ Ich war auch mit der wenigen Rast zufrieden, zumal da ich erfuhr, daß der Zug in der Richtung gehe, die ich einzuschlagen vorhatte und wobei der Bauer also mir zum Führer dienen konnte. So blieb ich denn und ließ mir erzählen, was es mit dem Wildheuen für eine Bewandtniß habe. Die Unternehmung galt einem jener großen und besonders grasreichen Wiesenplätze, welche auf den höchsten Bergkuppen vorkommen und wohin das Vieh wegen der Steile des Weges oder wegen seiner besondern Gefährlichkeit nicht gebracht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_251.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)