Seite:Die Gartenlaube (1866) 253.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

die Milch liefern. Alles Andere, dessen man bedurfte, war in Rucksäcken verpackt und Jedes hatte sich ein Stück Hausrath aufgeladen, von Dreifuß, Beil und Pfanne bis zu Schwegel und Cither.

Eine aus übereinandergelegten Steinplatten gefügte Hütte ohne jegliche Unterabtheilung war zu Aufnahme des Heus und zur Familienwohnung bestimmt; den Tag über war Alles, was dazu Kraft besaß, eifrig überm Mähen, Wenden und „Schochern“ des Heus; Abends wurde dasselbe zu großen Bürden in Tücher zusammengebunden in die Hütte gebracht und diente nun als das allgemeine Lager. Zuvor oder zur Bereitung des Mittagsmahls wurde Feuer auf dem Boden angemacht; eine davor aufgestellte Felsplatte diente als Pfannenstütze und so kam das Schmalzmus zu Stande oder eine Art Kuchen, der immer kurze Zeit auf einer Seite gebacken, dann aber gewendet wird; dies Wenden ist ein Kunst- und Probestück der Köchin, denn es geschieht blos durch Schütteln, indem der Kuchen in der Pfanne in die Höhe geschnellt, auf diese Weise gedreht und kunstgerecht mit der Pfanne wieder aufgefangen wird. Der Abend bildet ein kleines häusliches Fest, dem zwar aller Comfort fehlt, das aber die Hauptsache in Ueberfluß hat, das Gepräge wahrer Heiterkeit. Alles lagert und kauert um das Feuer, so gut es geht; man plaudert, erzählt, singt und spielt Cither und ist vollends guter Dinge, wenn die Bergmahd so gelegen ist, daß von einer andern die Besucher nachbarlich in „Heimgart“ kommen können. So währt es ein paar Wochen, bis die Mahd abgeerntet ist; dann geht es wieder heim und die Höhe bleibt einsam bis zum Winter, wo der Schnee, der anderwärts die Bahn verdirbt, den Berg so wegsam gemacht hat, daß man mit Schneereifen und Schlitten hinauf kann, um den in der Hütte aufgespeicherten Futtervorrath zu holen und „abzufahren“, eine Schlittenfahrt, bei der dem nicht Gewöhnten wohl Hören und Sehen vergehen würde.

Ich hatte gedacht, meine neuen Freunde nur bis an ihr Ziel zu begleiten, dann wollte ich weiter und einen der nächsten Ferner besteigen, ich blieb aber volle drei Tage und der Bauer führte mich, so oft er abkommen konnte, auf irgend eine Platte, wo sich eine besondere Fernsicht auf die Häupter der umliegenden Berge bot, auf den Wildspitz, den Ramol oder Similaun, oder wo der Ueberblick eines Gletschers sich aufthat oder das Aneinanderstoßen des Fender-, Gurgler- und Timbler-Thals, die wie Strahlen in einen Heerd zusammenlaufen. Bei einer solchen Wanderung blieb mein Auge an einer Bergwand hangen, die in einiger Entfernung noch in furchtbarer Schroffheit anscheinend senkrecht über unserem Standpunkt emporstieg. Einzelne dunkle Flecken daran waren nicht genau zu unterscheiden und … irrte ich denn oder täuschte mich mein sonst jagdgeschärftes Auge? Nein, wahrhaftig, an der Wand regte sich etwas, es mochte ein Adler sein, der dort seinen Horst hatte. Ich fragte meinen Führer und deutete dahin.

„Nein,“ sagte er lachend, „das sind keine Adler, Herr, das sind erst die rechten Wildheuer, arme Leut’, die, weil sie keine Weidenschaft und keine Mahden haben, überall hinauf kraxeln, wo noch ein Grasfleckl ist, und es abmähen. Dort an der Wand sind woltern viel Vorsprüng’ in den Steinfelsen, da kann höchstens eine Gams hin; drum setzen sich die Wildheuer auf einen Prügel und lassen sich dann an einem Seil hinunter, bis so ein Fleckl abgemäht ist!“

Mich schauderte und die Verse aus Schiller’s Tell kamen mir zu Sinn, wo Armgard den Landvogt Geßler um die Befreiung ihres Mannes bestürmt und auf seine Frage nach ihm antwortet:

     … Ein armer
Wildheuer, guter Herr, vom Rigiberge,
Der über’m Abgrund weg das freie Gras
Abmähet von den schroffen Felsenwänden,
Wohin das Vieh sich nicht getraut zu steigen.

Der Harras aber sagt darauf:

Bei Gott, ein elend und erbärmlich Leben!
Ich bitt’ Euch, gebt ihn los, den armen Mann!
Was er auch Schweres mag verschuldet haben,
Strafe genug ist sein entsetzlich Handwerk!

Ich scheute mich nicht, dem Schauder und Staunen über solch’ ein Geschäft Ausdruck zu geben. Der Bauer fand darin nichts so sehr Befremdliches. „Es ist halt, wie man’s g’wohnt ischt,“ sagte er lächelnd, „kommoder ischt’s wohl, wenn man’s nitte nothwendig hat, aber wenn sie Obacht geben, daß das Seil nitte reißt und daß sie sich nitte an ein’ Steinl’ anschlagen, so ischt’s nitte so viel g’fährlich. Freilich“, schloß er achselzuckend und dampfte stärker, „diemalen kommt Eins nimmer heim von die Wildheuer und derstürzt und derschippt sich wohl … dem wird’s wohl so aufg’setzt sein und unser Herrgott ischt ja überall!“

Tags darauf gab er mir, weil er, um daheim nachzusehen, zu Thal ging, das Geleit bis an eine Stelle, wo ich hoffen konnte, den Saumpfad über das Timblerjoch zu finden, der in wenig Stunden sicher in’s Passeier hinüberführt. Der Weg, der mir als völlig gefahrlos geschildert worden, war immer noch abenteuerlich genug; er zog sich zwischen den Spitzen und Zacken einer Bergwand hin, die tief abfiel; als ich um eine Ecke vorbog, war er überdies durch eine eigenthümliche Gruppe versperrt.

Eine sonderbare Gestalt saß auf einem Stein an der Seite, eine schwere Heubürde in mächtigem Bündel auf dem Kopf; eine andere ähnliche stand vor ihr, die starken Füße in den schweren Schuhen mit den Steigeisen, die unförmlichen Beinkleider ließen auf Männer schließen, während Mieder und Kopfputz sie als Weiber kennzeichneten. Es war kein Zweifel, ich hatte ein paar Wildheuerinnen vor mir, ein paar starke Dirnen mit männlichen Zügen, zu denen die kurze Tabakspfeife vollkommen paßte, aus der sie unablässig dampften. Das Gras in den Bürden, der Rechen und die kurzstieligen Sensen, Hacken genannt, womit das Gras an den Hängen abgeheimst wird, vollendeten das Bild.

Es ist begreiflich, wenn ich die Begegnung benützen wollte, einen Blick in ein so romantisches Leben und Treiben zu thun, dem doch nach der äußern Erscheinung alle Romantik so vollständig zu fehlen schien; ich wollte mindestens wissen, was die Mädels zu einem so schweren, gefährlichen Gewerbe trieb. Ich hatte Knaster bei mir und bot ihnen für ihre Pfeifen, das machte sie zutraulich und sie mieden es nicht, sich in ein Gespräch mit mir einzulassen. Es war nicht viel heraus zu holen aus den einfachen Gemüthern und ich wußte bald, wonach mich lüstete. Sie waren Schwestern und im Kaunserthal daheim, wo ihr Vater eine kleine Hütte hatte; der Vater aber war blind geworden und so war es „so viel hart“, daß der „Koaser“ den Bruder zum Militär genommen und nach Mantua geschickt hatte. Da hatten die Mädels sich vorgenommen, so viel zusammenzubringen, daß sie ihn die letzten Jahre seiner Dienstzeit loskaufen könnten, und waren „Wildheuerinnen“ geworden. Sie waren dabei gutes Muths und hofften gewiß, wenn das Heuen sich noch ein Jahr so günstig anlasse, „wie heuer und ferten“ (im vorigen Jahr), so werde das Jockele frei, die Arbeit aber scheuten und fürchteten sie nicht, denn, sagten sie: „Es ischt gar so viel schien (schön) auf den Bergnen.“

Wir schieden als die besten Freunde.

Ein paar Jahre später führte mich ein neuer Ausflug in’s Kaunserthal und erinnerte mich an meine Begegnung mit den Wildheuerinnen. Es reizte mich zu erfahren, ob sie das Ziel ihrer Beharrlichkeit erreicht hatten oder etwa auch „nimmer heim’ kommen waren“, wie der Zwieselsteiner sich ausgedrückt hatte. Das war nun zwar nicht der Fall, aber die schwere Mühe war doch umsonst gewesen; ehe die nöthige Summe beisammen war, war das Jockele zu Mantua gestorben, an der dortigen Sumpfluft oder am Heimweh, der süßesten aller Gewohnheiten.

N. D.




Bismarck an Uhden.
Kleine Skizze aus großer Zeit.
Von E. Dohm.
III.


Da, wie unser Gewährsmann versichert, die im letzten Abschnitte unserer Skizze mitgetheilten Briefe noch gegenwärtig im königlichen Cabinetsarchive zu Berlin aufbewahrt werden, so ist fast mit Sicherheit anzunehmen, daß sie niemals an ihre Adresse gelangt sind. Eine kaum geringere Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß das „betrübte Frauentzimmer“ das Ausbleiben

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_253.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)