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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

… Er selbst stand dort wie ein böser Engel, der gekommen ist, zu rächen, zu vernichten und ein armes, zuckendes Menschenherz zu zertreten.

Helene, die wie angemauert oder leblos auf die Scene in der Tiefe des Zimmers geblickt hatte, zog plötzlich hastig ihren Arm aus dem ihres Bruders und wankte auf Elisabeth zu; sie war keinen Augenblick im Zweifel, daß Hollfeld’s Werbung geglückt und der Bund geschlossen sei.

„Seien Sie mir tausendmal willkommen, liebe Elisabeth!“ rief sie in heftiger Bewegung, während Thränenströme aus ihren Augen stürzten; sie nahm die zitternden Hände des jungen Mädchens zwischen die ihren. „Emil führt mir in Ihnen eine liebe Schwester zu; haben Sie mich lieb wie eine solche, ich werde Ihnen lebenslänglich dafür dankbar sein … Sei nicht so finster, Amalie,“ wandte sie sich bittend zurück nach der Baronin, die noch immer wie eine Bildsäule außerhalb des Pavillons stand, „es gilt ja Emil’s ganzes Lebensglück … Sieh Dir Elisabeth an. Kann sie nicht alle Ansprüche erfüllen, die Du mit Recht an Diejenige stellst, welche Dir in Zukunft so nahe stehen soll? Jung, von der Natur reich ausgestattet, aus alter Familie mit berühmtem Namen.“

Sie hielt erschrocken inne. Es war, als kehre erst jetzt das Leben in Elisabeth’s erstarrte Glieder zurück, als sei sie erst in diesem Moment fähig, das, was gesprochen wurde, aufzufassen. Mittels einer raschen Bewegung hatte sie Helenen beide Hände entzogen und stand plötzlich hoch ausgerichtet neben ihr.

„Sie irren, gnädiges Fräulein,“ sagte sie in eigenthümlich vibrirendem Ton, „ich bin eine Bürgerliche.“

„Wie, haben Sie nicht das festbegründete Recht, den Namen von Gnadewitz zu führen?“

„Ja, unzweifelhaft, aber wir lassen dieses Recht fallen.“

„Sie würden in Wirklichkeit ein solches Glück mit dem Fuße fortstoßen?“

„Ich kann nicht einsehen, wie das wahre Glück sich an einen Klang, einen Schall knüpfen sollte.“ Man hörte deutlich, wie sie rang, um ihrer treulosen Stimme Festigkeit zu geben.

Die Baronin war indessen näher getreten. Sie fing an, zu begreifen, was hier vorging. Innerlich war sie wüthend, daß ihr Sohn eine Wahl getroffen hatte, ohne auch nur im Entferntesten um ihren mütterlichen Rath, ihre Einwilligung zu fragen; ferner war und blieb der Gegenstand dieser Wahl für sie ein verhaßtes Wesen. Allein sie wußte recht gut, daß ihr Einspruch höchstens ein mitleidiges Achselzucken, eine spöttische Miene ihres Sohnes hervorrufen und ihn erst recht in seinem Vorhaben bestärken würde; auch fiel es für sie und ihre eigenen Interessen schwer in’s Gewicht, daß Helene die Sache in die Hand genommen hatte und dieselbe mit einer Art von enthusiastischem Opfermuth durchführen zu wollen schien. Wenn auch völlig im Unklaren über die Motive dieser höchst merkwürdigen Thatsache, fühlte sie doch instinctmäßig, daß hier kein Nachtheil zu befürchten sei, und deshalb entschloß sie sich rasch, obschon mit grollendem Herzen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und die Rolle der verzeihenden und segnenden Mutter zu spielen. Elisabeth’s Antworten verschlossen ihr jedoch plötzlich wieder den Mund. Die Hoffnung tauchte in ihr auf, daß das Mädchen durch seinen Eigensinn die Sache selbst verderben würde, und dann galt es, Oel in’s Feuer zu gießen.

„Da stoßen wir auf einen spießbürgerlichen Begriff, meine Liebe,“ sagte sie spitz zu Helene, die Elisabeth’s Erwiderung ganz bestürzt gemacht hatte. „Sie mögen indeß jedenfalls Ihre triftigen Gründe haben, das Licht der höheren Regionen zu scheuen,“ fuhr die Dame in beißendem Ton zu Elisabeth gewendet fort.

„Ich habe durchaus keine Ursache, dies Licht zu fliehen,“ entgegnete diese, bei Weitem ruhiger und beherrschter sprechend, als zuvor, „es müßte mir denn plötzlich unvermuthete häßliche Fehler meines Charakters zeigen, wie es die Flecken auf jenem Wappenschild grell beleuchtet… Aber wir lieben unseren Namen, weil er rein und ehrlich ist, und wollen dies fleckenlose Erbtheil nicht vertauschen gegen ein Gut, das sich aus den Thränen und dem Schweiß Anderer groß genährt hat!“

„Gott, wie erhaben!“ rief die Baronin höhnisch lachend.

„Das kann Ihr Ernst nicht sein, Elisabeth,“ sagte Helene. „Vergessen Sie nicht, daß an diesem Ausspruch das Lebensglück zweier Menschen hängt.“ Sie warf dem jungen Mädchen einen vielsagenden Blick zu, der aber begreiflicher Weise nicht verstanden wurde. „Sie müssen nun einmal in die Sphäre, der Sie von nun angehören sollen, einen adeligen Namen mitbringen; das wissen Sie so gut wie ich und werden um einer Grille willen nicht Ihre eigenen Hoffnungen und die Anderer zerstören wollen.“

„Aber ich bin völlig unfähig, Sie zu verstehen!“ rief Elisabeth aufgeregt. „Es fällt mir gar nicht ein, irgend eine Hoffnung mit jenem Namen in Verbindung zu bringen; am allerwenigsten aber begreife ich, wie die Wünsche oder das Geschick Anderer abhängen sollten von dem Entschluß eines so unbedeutenden, armen Mädchens, wie ich bin.“

„Sie sind nicht arm, liebes Kind,“ erwiderte Helene. „Kommen Sie,“ fuhr sie tief bewegt fort, „wir sind von heute an treue Schwestern! … Nicht wahr, lieber Rudolph,“ wandte sie sich nicht ohne Verlegenheit an ihren Bruder, „auch Du heißest Emil’s Braut willkommen in unserer Familie und erlaubst, daß ich schwesterlich mit ihr theile?“

„Ja,“ klang es dumpf, aber fest herüber.

Elisabeth fuhr mit der Hand nach der Stirn, es klang so unglaublich, was sie eben gehört hatte… „Emil’s Braut“ hatte Fräulein von Walde gesagt, und das sollte sie, sie sein – es war unmöglich. Hatten sich diese Menschen verschworen, ihr einen fürchterlichen Schrecken einzujagen? … Und er, der wußte, daß sie Hollfeld verabscheue, er hielt zu Jenen; er stand dort drüben mit untergeschlagenen Armen, ein Bild unerbittlicher Strenge und Zurückweisung. Er hatte die ganze Zeit unbeweglich gestanden und jetzt nur die Lippen geöffnet, um das Ja auszusprechen, das von beinahe zermalmender Wirkung für das junge Mädchen war. Hatte er nicht früher selbst in der rauhesten Weise ein Entgegenkommen seines Vetters ihr gegenüber zu verhindern gesucht? … Wie ein erleuchtender Blitz fuhr es plötzlich bei diesem Gedanken durch ihre Seele: Sie war ja jetzt von Adel, das erklärte Alles. Hollfeld’s Stammbaum wurde nicht mehr verunehrt durch die bürgerlich Geborene; daher die Bereitwilligkeit der Verwandten, ihn in seiner Werbung zu unterstützen; daher Helenens Betroffenheit bei ihrer Erklärung, daß sie den ihr zugefallenen adligen Namen verschmähe… Wie es aber zusammenhing, daß Alle bereits ein völliges Einvernehmen zwischen ihr und dem Verhaßten voraussetzten, das zu ergründen war ihr im Augenblick unmöglich; denn ihre Gedanken wirbelten in einem unaussprechlichen Aufruhr durcheinander. Nur Eines war ihr klar: daß sie augenblicklich, ohne Rückhalt jenes Ansinnen zurückweisen müsse.

„Ich sehe mich einem Mißverständniß gegenüber, dessen Entstehen ich mir nicht enträthseln kann,“ nahm sie das Wort in fliegender Hast. „Es wäre wohl Herrn von Hollfeld’s Pflicht, hier Aufklärung zu geben; da er es jedoch vorzieht, zu schweigen, so sehe ich mich genöthigt, auszusprechen, daß er nie und nimmer irgend welches Versprechen von mir erhalten hat!“

„Aber, liebes Kind,“ sagte Helene zögernd und verlegen, „haben wir nicht vorhin bei unserem Eintritt mit eigenen Augen gesehen, daß –“ sie brach ab.

Wie ein Donnerschlag trafen Elisabeth diese Worte. In ihrer reinen, unschuldigen Seele war auch nicht einen Moment die Furcht aufgetaucht, daß jener Augenblick des Schreckens und der Hülflosigkeit mißverstanden werden könne, und nun mußte sie zu ihrem höchsten Schmerz erfahren, daß er ein abscheuliches Licht auf sie geworfen hatte… Sie wandte sich noch einmal rasch um nach Hollfeld; doch schon der eine Blick auf ihn belehrte sie, daß sie von dieser Seite keine Genugthuung, keine Ehrenrettung zu hoffen habe. Er lehnte, den anderen Anwesenden den Rücken halb zuwendend, wie ein ertappter Schulknabe am Fenster. Wären die Damen allein gewesen, so hätte er sich ohne Zweifel durch ein freches Lügengewebe zu helfen gesucht; allein Herrn von Walde’s Anwesenheit lähmte ihn vollständig. Er begnügte sich, in einem zweifelhaften Schweigen zu verharren, welches die verschiedenartigsten Deutungen zuließ.

„Gott im Himmel, wie schrecklich!“ rief das junge Mädchen außer sich und rang die Hände. „Sie haben gesehen,“ fuhr sie, das Gesicht schamhaft senkend, nach einem tiefen Athemholen fort, „wie ein wehrloses Mädchen vergebens gestrebt hat, die Zudringlichkeiten eines Ehrlosen zurückzuweisen… Die Versicherung meiner tiefsten Verachtung, meiner völligen Abneigung vermochten nicht, ihn zu verscheuchen. Ich habe Herrn von Hollfeld diese Gesinnungen stets unverhohlen gezeigt, trotzdem –“

Ein starkes Geräusch hinter ihr ließ sie plötzlich verstummen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_259.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)