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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Ufern des Euphrat. Aus den Dunstwogen tauchten die Schatten der Klosterfrauen auf mit starren, leidenschaftslosen Zügen, das ausgeglühte Herz unter dem lang herabfließenden Gewande und die wächserne Stirne hinter der mattschimmernden Binde befreit von den unruhigen, marternden Gedanken, die den Weg zwischen Himmel und Welt unausgesetzt durchlaufen hatten und störrig immer wieder zurückgesunken waren auf die enge Erde voll Sünde und böser Lust…

Elisabeth dachte an jene finstere Zeit, da hier dunkle Mauern in die Lüfte stiegen, die Verbrechen eines adeligen Mörders zu sühnen – ein Fräulein von Gnadewitz hatte das Kloster gestiftet, um mit noch zwölf anderen Jungfrauen für das Seelenheil ihres Bruders zu beten, der von Henkershand unter dem Rade geendet hatte – kalte, starre Mauern, um den zu versöhnen, der uns das lebendige Wort gegeben hat, der der Urquell der warmen, ewigen Liebe ist! … Ob wohl all’ die geflüsterten Gebete der lebendig Begrabenen, all’ der Meßgesang und Orgelklang vermocht hatten, die Blutflecken hinwegzuspülen, die der Verbrecher hinauftrug zu den Füßen des Ewigen? … Nein, und abermals nein. Er läßt sich nicht Weihrauch streuen im Baalsdienst und ändert niemals seine ewigen Beschlüsse nach dem einsichtslosen Begehr seiner Creaturen! …

Welch’ grauenvolles Stück Familiengeschichte Derer von Gnadewitz erzählten die zerbröckelnden Mauerreste da drunten! … Und doch sollte ein Wesen, das sich seines Ringens und Strebens nach Tugend und geistigem Fortschreiten wohl bewußt war, erst Geltung erhalten in dem Augenblick, da es jenen Namen tragen durfte? Es mußte erfahren, daß sein reines Leben als ein Nichts galt menschlicher Satzung gegenüber, die in der That ein Hirngespinnst, ein Nichts war?

War der Aberglaube, der Hexen verbrannte, finsterer, als der Wahn der Geburtsbevorrechtigung, der, in seinen Consequenzen wahrlich nicht weniger grausam als die Flamme des Scheiterhaufens, manche schöne, reiche Menschenseele erstickt? Jener Wahn, der schnöde entgegentritt der Absicht des Allgütigen, nach welcher alle seine Kinder gleich aus seiner Hand hervorgehen, gleich in der äußeren Gestalt, in ihrem Bau, in der Ausrüstung ihrer Sinneswerkzeuge, mit denen der König wie der Bettler auf gleiche Weise genießt oder leidet, gleich in der Beschaffenheit des Lichtfunkens, der diese äußere Hülle beseelt, oder wo wäre eine Seele, die selbst auf dem Gipfel menschlicher Vollkommenheit nicht ihre Schwächen hätte, und wo der gesunkenste Mensch, bei welchem unter dem Schutt der Verkommenheit nicht noch wenigstens Eine gute Eigenschaft auftauchte? … Und er, der das Gepräge eines denkenden Geistes auf der ernsten Stirn trug, dessen Blick und Stimme, wenn auch selten, doch in einer Weichheit schmelzen konnten, wie sie nur aus einem Gemüth kommt, welches tiefen Gemüthserschütterungen zugänglich ist, auch er stand unter dem Einfluß jener starren Vorurtheile? Die zerbrechliche Form stellte er über das unsterbliche Recht des Menschengeistes, nach welchem wir frei denken und handeln sollen? … Und war es nicht gerade das höchste und heiligste Gefühl des menschlichen Herzens, die Liebe, das so oft von jenem System erbarmungslos zermalmt wurde? Hätte Elisabeth in der That Hollfeld geliebt, was wäre ihr Loos gewesen ohne jene Entdeckung? … Und wäre – ein schneidender Zug flog um die zuckenden Lippen des jungen Mädchens – in Herrn von Walde’s Brust je eine Neigung für sie aufgetaucht und er käme jetzt und böte ihr seine Hand? Schrecklicher Gedanke! Nie und nimmer würde sie neben ihm leben können in dem Bewußtsein, daß ihre unsägliche Liebe nur insoweit erwidert werde, als es die Convenienz, alterssteife, verknöcherte Gesetze gestatteten! Einer solchen fortgesetzten Qual gegenüber verlor der Schmerz der Entsagung viel von seiner Furchtbarkeit.

Mit verfinstertem Blick trat Elisabeth in die Ecke des Geländers und sah hinüber nach dem Lindhofer Schlosse. Dort herrschte das tiefste Schweigen. Ueber der ärmlichsten Hütte des Dorfes, wie über dem stolzen Schloßbau, flimmerte ein und derselbe Stern und schickte seinen milden Schein unparteiisch hernieder, oder fiel wirklich ein vereinzelter Strahl des rothen Lichtes dort auf die Stelle, wo der Wald sich lichtete und in den Park auslief? Nein, der Schimmer stieg vom Boden auf und färbte, rasch in den dichten Wald eindringend und fortlaufend, schwach röthlich die Wipfel. Es war ohne Zweifel eine Fackel, die den schmalen Weg entlang getragen wurde, auf welchem auch Elisabeth bis zum Nonnenthurm gelangt war.

Einmal blieb das Licht unbeweglich stehen, und in demselben Augenblick drang ein ferner Ruf bis zu Elisabeth herüber. Sie sagte sich freudig, daß sich Hülfe nahe, daß sie gesucht werde, und erhob ihre Stimme zu einer Antwort, obwohl sie wußte, daß der schwache Laut die Rufenden nicht erreichen könne. Noch einen Augenblick verweilte der Schimmer, dann kam er in fliegender Eile näher und näher. Das junge Mädchen unterschied bald die Flamme und sah, wie beim Niederstoßen auf den Boden ein Funkenregen umhersprühte.

„Elisabeth!“ scholl es plötzlich durch den Wald.

Die Stimme ging ihr durch Mark und Bein, denn es war seine Stimme; Herr von Walde rief nach ihr in den Tönen unbeschreiblicher Angst.

„Hier,“ rief sie hinab, „hier bin ich, auf dem Thurme!“

Der Fackelträger stürzte durch das Dickicht, über die Waldblöße hinweg. In wenigen Augenblicken stand er drinnen auf den obersten Treppenstufen und rüttelte mit gewaltiger Hand an der Thür. Unmittelbar darauf erfolgten einige kräftige Fußstöße, und das alte Bretergefüge barst krachend auseinander.

Herr von Walde trat heraus auf die Plattform. In der Linken hielt er die Fackel und mit der Rechten zog er Elisabeth in das Bereich der Flamme. Er war ohne Kopfbedeckung, das dunkle Haar fiel ungeordnet auf die Stirn, und eine tiefe Blässe bedeckte sein Gesicht. Sein Blick lief wie ein Blitz über ihre Gestalt, als wolle er sich überzeugen, daß sie auch wirklich unverletzt vor ihm stehe. Er schien in einer unbeschreiblichen Aufregung zu sein; die Hand, die ihren Arm umklammerte, zitterte heftig, er war im ersten Augenblick keines Wortes mächtig.

„Elisabeth, armes Kind!“ stieß er endlich seufzend hervor. „Hierher, in die dunkle Nacht, auf dies unheimliche Gemäuer, hat Sie die Schmach getrieben, die Sie heute in meinem Hause erdulden mußten?“

Elisabeth erklärte ihm, daß ihr Verweilen hier oben kein freiwilliges gewesen sei, wie ja die geschlossene Thür beweise, und erzählte in flüchtigen Worten den Verlauf der Sache. Dabei schritt sie die Treppe hinab. Er ging ihr voraus und bot ihr die Hand, um sie zu stützen; aber sie faßte nach dem Strick, der als Treppengeländer diente, und wandte die Augen weg, um seine Bewegung ignoriren zu können.

In diesem Augenblick erlosch die Fackel, die ohnehin nur noch schwach brannte, in einem starken Luftzug, der durch eine offene Luke einströmte; tiefe Finsterniß umgab die Hinabsteigenden.

„Geben Sie mir jetzt die Hand!“ sagte er, in den befehlenden Ton von früher verfallend.

„Ich halte mich am Geländer und brauche keine andere Stütze,“ entgegnete sie abwehrend.

Kaum war das letzte Wort über ihre Lippen, als sie sich von zwei Armen umschlungen fühlte, die sie ohne Weiteres wie eine Feder vom Boden aufhoben und die Treppe hinabtrugen.

„Thörichtes Kind,“ sagte er, indem er sie draußen auf dem Rasenplatz niederließ, „ich werde doch nicht leiden, daß Sie sich auf den Steinfließen des Thurmes die Glieder zerschmettern!“

Sie schlug den Weg ein, der direct nach dem Lindhofer Schlosse führte; er war ja der kürzeste. Herr von Walde schritt schweigend neben ihr her.

„Sie haben die Absicht, heute von mir zu gehen, ohne mir ein versöhnliches Wort zu sagen?“ fragte er plötzlich stehen bleibend. In seinem Ton stritten Schmerz und verhaltener Groll. „Ich habe das Unglück gehabt, Sie zu beleidigen?“

„Ja, Sie haben mir wehe gethan.“

„Weil ich meinen Vetter nicht sofort zur Rechenschaft zog?“

„Das konnten Sie ja nicht, seine Werbung geschah mit Ihrer Genehmigung. Sie so gut, wie die Anderen, wollten mich zwingen, Herrn von Hollfeld meine Hand zu reichen.“

„Ich Sie zwingen? … Kind, wie schlecht verstehen Sie sich auf die Erforschung eines männlichen Herzens! … Ich war von einem finsteren Irrthum befangen, oder richtiger, ich wollte diesen Irrthum vollends von mir werfen, wollte prüfen, als ich ‚ja‘ sagte. … Sie sollen im Gegentheil erfahren, daß ich Alles entfernen werde, was Sie an den heutigen Vorfall erinnern könnte… Sie sind gern in Lindhof“?“

„Ja.“

„Die Baronin Lessen wird das Schloß verlassen, und ich will Sie bitten, meiner Schwester Stütze und Umgang zu sein, wenn

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_274.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)