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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Hand welchen mit englischer Seife zu berühren er sich sorgfältig gehütet hatte sollte der Dame stummberedt sagen: Der zwischen uns vereinbarte Mord ist vollbracht und ich komme, den Mordminnesold einzuziehen.

Es ist überhaupt zu betonen, daß und wie sehr im weißen Schrecken mit der vornehmen Mordlust die vornehme Lüderlichkeit sich verband. Zu Montbrisson schleppte eine Bande von weißen Schreckensmännern eine Schaar von Frauen, deren Gatten als Republikaner bekannt und geächtet waren, unter den Freiheitsbaum, zog im hellen Sonnenschein die Erbarmungswürdigen splitternackt aus und peitschte sie mit Ochsensehnen, um sich an den Zuckungen der grausam Mißhandelten zu ergötzen. Der rothe Schrecken hatte doch mitunter vor weiblicher Schönheit und Opferfreudigkeit, vor der heroischen Liebe einer Gattin, einer Tochter, einer Schwester die Mordfaust gesenkt. Die Septembermörder von 1792, die Mörder in Lumpen, die Mörder um Taglohn, sie hatten inmitten des sie umgebenden Blutdampfes ein menschliches Regen und Rühren empfunden, als die Tochter des Herrn von Sombreuil sich schützend vor ihren Vater stellte, und hatten der Flehenden das Leben des Greises geschenkt. Selbst die rasende Horde Marat’s, selbst die „Furien der Guillotine“ waren in ein Gemurr der Entrüstung ausgebrochen, als der Henker die Infamie beging, die jungfräuliche Wange von Charlotte Corday’s abgeschlagenem Haupt mit einem Backenstreich zu beschimpfen. Der weiße Schrecken aber in seinem Wüthen für Thron und Altar kannte kein Erbarmen, weder mit Mann noch Weib noch Kind, weder mit den Lebenden noch mit den Todten. Die Mörder in Sammetwesten und seidenen Strümpfen waren über alle menschlichen Regungen hinweg. Sonst hätten sie nicht eines Tages ein fünfzehnjähriges Mädchen, welches sich schluchzend auf den Leichnam seines von ihnen erwürgten Vaters warf, weggerissen, nackt ausgezogen und durchgepeitscht. Sonst hätten sie auch nicht zu Ile, in der Nachbarschaft von Avignon, einer Frau den Arm abgehauen, welchen sie ausstreckte, um ihren unter den Dolchen der Mörder zusammengesunkenen Gatten zum letzten Mal zu umarmen.

Der rothe Schrecken hatte sich im Revolutionstribunal eine gesetzliche Organisation gegeben. Der weiße Schrecken verachtete und verschmähte solche Formalitäten und organisirte sich kurzweg in Form von Mörderbanden. Diese führten die Namen „Kinder der Sonne oder „Gesellen der Sonne“ (enfants ou compagnons du soleil), und „Gesellschaften Jesu“ (compagnies de Jésus). Ob in der letzteren Bezeichnung eine Beziehung zum Jesuitenorden liegen sollte, ist nicht klar, kann aber nicht so ganz unwahrscheinlich erscheinen, wenn man bedenkt, daß der weiße Schrecken ganz deutlich auf die Restauration des Ancien Régime abzielte. Indessen wird sehr bestimmt hervorgehoben – auch von Nodier – daß die Benamsung „Gesellschaften Jesu“ nur irrthümlicher Weise zu einer gäng und gäben geworden sei. Denn der eigentliche und ursprüngliche Name der zu Banden geschaarten Reactionäre habe „Gesellen Jehu’s“ (compagnos de Jéhu) gelautet, in Erinnerung an jenen König von Israel, welchen der Prophet Elisa gesalbt unter der Bedingung, daß er das Haus Ahab und die Baalspriester ausrotte.

Die Gesellen der Sonne nun und die Gesellen Jehu’s, durch Gemeinsamkeit der Anschauungen, Interessen und Wünsche verbunden, bündisch gegliedert, mittels Zeichen und Losungen eng aneinander geschlossen, schwammen lustig in der trüben Fluth der Anarchie, welche sich nach dem 9. Thermidor über Frankreich ergossen hatte. Die Regierungsmaschine, wie sie der Convent sich gezimmert, war zwar noch vorhanden; allein der energische Impuls, welcher dieselbe während des rothen Schreckens gelenkt und im Gang erhalten hatte, war dahin, und so lahmte und lotterte sie denn kläglich. Um so mehr, da die auch zur thermidorischen Zeit, wie früher, in die Provinzen gesandten Conventscommissäre an manchen Orten unter dem Vorgeben, die Ueberreste des Jacobinismus zu bekämpfen, mit der royalistisch-bourbonischen Reaction geheim oder offen gemeinsame Sache machten. Daher kam es, daß von Lyon an abwärts im ganzen Südosten Frankreichs für eine Weile der bündisch organisirte weiße Schrecken die einzige thatsächliche Gewalt und Macht gewesen ist. In diesen Gegenden galten Jacobiner und Republikaner für schlechthin identisch, und da der von den Thermidoriern beherrschte Convent allenthalben massenhafte Verhaftungen gegen den „Schweif Robespierre’s“ angeordnet hatte, so strotzten namentlich im südöstlichen Frankreich die Gefängnisse von Opfern, die dem Mordstahle der royalistischen Reaction schutzlos preisgegeben waren.


Man hat Mühe, selbst Angesichts unanfechtbarster Bezeugungen, an den Cynismus zu glauben, womit die Herrschaft des Mordes für Thron und Altar sich aufthat. Lyon, damals, wie noch heute, ein Lieblingssitz der Finsterniß, ging voran. Die Jehuiten und Sonnengesellen trugen hier als Partei- und Erkennungszeichen eine weiße Hutschnur, in Erwartung einer baldigen Wiederaufpflanzung der weißen Fahne. Die Stadt wimmelte von Emigranten, welche, auf die Lässigkeit oder das heimliche Einverständniß der Thermidorier rechnend, zurückgekehrt waren und in die Mordbanden sich einreihten. Es ist ganz falsch, zu behaupten oder zu glauben, die Schlächtereien seien nur das Resultat eines ersten und unwiderstehlichen Rachereizes auf Seiten der Royalisten gewesen. Im Gegentheil, sie waren nach des Augenzeugen Fréron bestimmter Angabe eine „systematisch gegen die Republikaner organisirte Bartholomäusnacht“. Daraus erklärt es sich, daß unter den Opfern so viele Männer sich befanden, welche dem rothen Schrecken mit standhafter Energie entgegengewirkt und die Bestrafung rother Schreckensmänner durchgesetzt hatten. Ein recht auffallendes Beispiel hiervon war der an dem Citoyen Redon, welcher einer der Richter gewesen, die über das Scheusal Carrier den Todesspruch gefällt hatten, vollbrachte Mord. Er begegnete einer Rotte Jehuiten. „Du bist kein Terrorist,“ schrieen sie ihn an, „du bist ein ehrlicher Mann; aber du bist ein Republikaner!“ Und damit erwürgten sie ihn.

In den letzten Tagen des April und den ersten des Monats Mai 1795 waltete der weiße Schrecken souverain in Lyon. Sonnengesellen und Jehuiten durchstürmten die Straßen und machten Jeden und Jede nieder, die ihnen mißfielen, nämlich die „Mathevons“ und „Mathevonnes“, welchen Spitznamen man den Republikanern und Republikanerinnen[WS 1] gegeben hatte. Man sah erwürgte Frauen auf den Schwellen ihrer eigenen Häuser liegen. Mitunter ließen sich die Mörder herbei, die Leichname ihrer Schlachtopfer aufzuheben und in die Rhone zu werfen. Das Geräusch, welches die in’s Wasser fallenden Leichen verursachten, wurde mit der lachenden Bemerkung begleitet: „Wieder ein Mathevon weniger.“ Royalistische Damen waren eifrig dabei, die „goldene Jugend“ zum Mordgeschäfte anzueifern; die alten und frommen unter ihnen citirten zu diesem Zwecke alttestamentliche Blutverse, die jungen und galanten verhießen Schäferstunden. Gegen jede Regung von Erbarmen waren in Folge solcher Reizungen die royalistischen Stutzer gestählt. Als die Sonnengesellen eines Tages durch die Straßen paradirten, ließ eine siebenzigjährige Frau die harmlose Bemerkung fallen: „Die Muscadins haben eine flotte Tournüre,“ – und sogleich packten sechs „Muscadins“ die arme Greisin, schleppten sie an die Saonebrücke, schlugen ihr den Schädel ein und warfen sie in den Fluß.

Der Hauptmordtag in Lyon und Umgebung war der 5. Mai. Die Jehuiten ordneten sich in drei Banden, welche drei mit angeblichen Terroristen und Terroristinnen angefüllte Gefängnisse, des Recluses, Saint-Joseph und das zu Roanne, zu Zielen nahmen. Diese Gefängnisse wurden erstürmt und sechsundachtzig Gefangene abgeschlachtet, darunter sechs Frauen. Eine siebente warf sich, als die Streiter für Thron und Altar das Gefängniß anzündeten, um etwaigen Widerstand der Schlachtopfer kurz abzuthun, mit ihrem Kind an der Brust von der Zinne eines Thurmes in die Flammen… Aber thaten denn die Behörden gar nichts zur Sühnung dieses Gräuels? Doch! Die Mörder wurden der Form halber zu Roanne vor Gericht gestellt, aber selbstverständlich freigesprochen. Sie hielten dann einen Triumpheinzug in Lyon, wobei schöne Damen ihren Weg mit Blumen bestreuten, und am Abend wurden sie im Theater förmlich bekränzt. „Rufen wir doch“ – hieß es während dieser Orgie – „den kleinen Capet zum König aus! So wird Lyon die Hauptstadt des Königreichs werden.“

Und die thermidorischen Conventscommissäre, sie sahen das Alles unthätig so mit an? Freilich, und nicht nur das, sondern sie ermunterten und ermuthigten sogar mittelbar oder unmittelbar die mordlustige Reaction. Einer derselben, Chambon, schrieb am 10. Mai aus Marseille an den Convent: „Wie seufze ich über die Langsamkeit der gerichtlichen Formalitäten! Die Verschleppung der (gegen die verhafteten Republikaner angestrengten) Processe verwirrt die bestgesinnten Leute. Thut doch einen Generalschlag!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Republikanerninnen
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_282.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)