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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

aufsetzte. „Solch’ einem alten Mann mit dem kühlen Blut in den Adern und den abgemessenen Gedanken unter den weißen Haaren, dem mag das Schweigen freilich leicht werden. Aber ich, ich muß sprechen, Sabine, und wenn es mir den Tod bringt, desto besser!“

Sie zog die Haushälterin auf den Bettrand und beichtete bitterlich weinend ihre Schuld.

Sie hatte ein Liebesverhältniß mit Hollfeld gehabt. Er hatte ihr versprochen, sie zu heirathen; sie dagegen hatte ihm feierlich schwören müssen, daß sie das Verhältniß geheim halten und ihre Rechte auch nicht eher öffentlich geltend machen wolle, als bis er sie dazu autorisire, denn er mußte, wie er vorgab, seine Mutter und die Verwandten in Lindhof berücksichtigen, die er erst ganz allmählich seinen Wünschen geneigt machen könne. Die Unbesonnene schwur, und, exaltirt wie sie war, fügte sie das Gelübde hinzu, daß Anderen gegenüber nicht eher wieder ein Wort über ihre Lippen kommen solle, als bis sie der Welt ihr stolzes Geheimniß mittheilen dürfe. Die Zusammenkünfte Beider fanden gewöhnlich im Nonnenthurm oder im Pavillon des Lindhofer Parkes statt. Niemand kam ihnen auf die Spur. Nur die Baronin Lessen hatte eines Tages Verdacht geschöpft, in Folge dessen sie in den heftigsten Zorn gerieth und dem Mädchen den ferneren Zutritt im Lindhofer Schlosse verbot.

Das erschütterte Bertha’s kühne, hochstrebende Hoffnungen nicht, denn Hollfeld tröstete sie und verwies sie auf die Zukunft. … Aber da kam Elisabeth Ferber, und von jenem Augenblick an war er ein Anderer. Er vermied sie, und wenn sie ihn endlich durch Drohungen zu einer Zusammenkunft zwang, zeigte er ihr eine höhnische Kälte, eine Nichtachtung, die ihr das Herz umwendeten und ihr leidenschaftliches Gemüth bis zur Wuth empörten.

Als sie endlich erkannte, daß sie es mit einem Ehrlosen zu thun habe, da wurden ihr die ganzen Schrecken ihrer Lage klar. Sie gerieth in Verzweiflung, und von da an begannen ihre nächtlichen Wanderungen. Kein Schlaf berührte ihre Augen, und nur draußen im nachtstillen, einsamen Wald, wo sie ihren heißen Schmerz, ihre Seelenangst ausschreien durfte, ward sie momentan ruhiger.

Endlich fand das Drama seinen Schluß, wie dergleichen Liebesdramen schon unzählige Mal geschlossen haben und wohl noch eben so oft schließen werden, denn das warnende Exempel hat wohl Kraft für den Verstand, nie aber für ein arglos liebendes weibliches Herz; Hollfeld bot der Bethörten eine Summe Geldes, wenn sie ihre Ansprüche aufgeben und sich in eine entfernte Stadt zurückziehen wolle. Er gab vor, daß seine Mutter und die Lindhofer Verwandten ihn zwängen, das „neugebackene Fräulein von Gnadewitz“ zu heirathen. Sie schalt ihn einen ehrvergessenen Lügner und stürzte wie rasend fort… Zornflammend und rachedürstend drang sie in das Zimmer seiner Mutter und sagte ihr Alles.

Bis dahin hatte Bertha unter heftigen Gesticulationen, mitunter von Schluchzen und Weinen unterbrochen, in geordneter Reihenfolge erzählt. Jetzt aber schwieg sie einen Augenblick und ein Ausdruck von unauslöschlichem Haß entstellte ihr fiebergeröthetes Gesicht.

„Das abscheuliche Weib,“ rief sie endlich mit fliegendem Athem, „hat stets Bibelsprüche auf den Lippen. Sie strickt und näht und sammelt Tag und Nacht für die Mission, die Gottes Wort unter die Heiden tragen soll, damit sie menschlich werden; unmenschlicher und grausamer aber können sie nicht sein in ihrer Unwissenheit, als diese Christin in ihrem Hochmuth. Den Götzendienst will sie ausrotten helfen, diese Hochgeborene; sie selbst aber macht sich zum Götzen, umgiebt sich mit Kriechern, Schmeichlern und Speichelleckern, welche ihr stets wiederholen müssen, daß sie zu den Auserwählten gehöre, die aus ganz anderem Stoff gemacht sein sollen, als die übrigen Menschenkinder. Wehe, wenn ein gerader, ehrlicher Mensch diese Meinung nicht theilt; seine Schuld ist nicht geringer, als die des Gotteslästerers! … Sie stieß mich vor die Thür und wollte mich mit Hunden aus dem Schlosse hetzen lassen, wenn ich mich je wieder blicken ließe… Von dem Augenblick an weiß ich nicht mehr, was mit mir vorgegangen ist,“ sagte sie, erschöpft in die Kissen zurücksinkend, während sie die Hand gegen die schmerzende Stirn preßte. „Ich weiß nur, daß ich erwachte und das Gesicht des Doctors über mir sah. ... Er hat dem Onkel meine Schmach mitgetheilt, ich hörte es… Was soll aus mir werden!“

Sabine hatte die Beichte mit Schauder und Schrecken gehört. Sie hielt streng auf einen reinen Lebenswandel und war eine unnachsichtige Richterin für Fehltritte, wie sie Bertha bekannt hatte. Aber sie besaß auch ein Herz, reich an Liebe und tiefem Erbarmen. Deshalb sah sie jetzt mit Thränen auf die zerknirschte Verirrte und legte tröstend und beschwichtigend das müde Haupt an ihre Brust. Sie hatte die Genugthuung, daß das Mädchen wie ein müdegeweintes Kind in ihren Armen einschlief.

Bald hörte man nur noch die ruhigen Athemzüge der Kranken und das leise Ticken der Wanduhr im engen Stübchen. Sabine zog die Brille und ein abgegriffenes Exemplar des neuen Testamentes aus dem Handkorb und wachte treulich, bis das helle Morgenlicht durch’s Fenster schaute.

Bertha starb nicht, wie sie gehofft hatte, in Folge ihrer erschütternden Bekenntnisse. Sie erholte sich im Gegentheil wunderbar schnell unter Frau Ferber’s und Sabinens Pflege. Ein Anfall von Geistesstörung war nicht wiedergekehrt. Die Kopfwunde, die von einem Fall auf einen spitzen Stein herrührte, war durch den starken Blutverlust, den sie zur Folge hatte, heilbringend geworden.

Der Oberförster war außer sich über die Schande, die Bertha unter sein ehrliches Dach gebracht. Selbst dem ruhigen Zuspruch seines Bruders war er in den ersten Tagen nicht zugänglich. Nachdem ihm Sabine Bertha’s Bekenntnisse mitgetheilt hatte, ritt er sofort nach Odenberg, um den „nichtswürdigen Buben“ zur Rede zu stellen, aber die Dienerschaft berichtete ihm achselzuckend, der gnädige Herr sei auf unbestimmte Zeit verreist, und man wisse nicht, wohin. Auch Herrn von Walde’s Nachforschungen blieben ohne Erfolg.

Bertha selbst erklärte, daß sie von ihrem Verführer, den sie jetzt ebenso glühend hasse, wie sie ihn ehedem geliebt habe, nichts wieder hören wolle. Wenige Wochen nach ihrer Wiederherstellung verließ sie das Weberhäuschen – das Forsthaus hatte sie nicht wieder betreten dürfen – um nach Amerika auszuwandern. Aber sie ging nicht allein. Ein Jägerbursch ihres Onkels, ein braver, junger Mann, bat eines Tages um seine Entlassung, weil er die Bertha immer im Stillen geliebt habe und es nun nicht über’s Herz bringen könne, sie so mutterseelenallein in die weite Welt ziehen zu lassen. Sie habe ihm versprochen, die Seine zu werden. In Bremen wolle er sich mit ihr trauen lassen und es dann drüben mit dem Farmerleben versuchen. Herr von Walde unterstützte das Paar mit einer bedeutenden Summe Geldes, und auf Frau Ferber’s und Elisabeth’s Bitten ließ es der Oberförster stillschweigend geschehen, daß Sabine die aufgespeicherten Leinenschätze der seligen Oberförsterin plünderte, um die künftige Farmerin anständig auszustatten. –

Es war ein trüber, nebliger Herbsttag, als ein bepackter Reisewagen das Lindhofer Schloß verließ und die Richtung nach L. einschlug. Völlig zusammengebrochen und vernichtet drückte sich die Baronin Lessen in die Ecke des Wagens. Ihre glänzende Rolle in Lindhof war zu Ende; sie kehrte unfreiwillig zurück in enge Räume und dürftige Verhältnisse.

„Mama,“ sagte Bella mit ihrer scharfen, kreischenden Stimme, während sie das Glasfenster unablässig auf- und niederzog und mit den Füßen baumelte, „gehört denn nun das Schloß der Elisabeth Ferber? Wird sie in unserem schönen Wagen mit den weißen Seidendamast-Polstern fahren? Darf sie jetzt in Deinen Salon gehen und sich auf die schönen, gestickten Fauteuils setzen? Der alte Lorenz sagt, sie werde nun die gnädige Frau und Alles, was sie befehle, müsse geschehen.“

„Kind, martere mich nicht mit Deinem Geschwätz!“ stöhnte die Baronin und versenkte das Gesicht in das Taschentuch.

„Es ist doch sehr dumm vom Onkel Rudolph, daß er uns fortschickt,“ fuhr die Kleine unerbittlich fort. „Gelt, wir haben in B. keine silbernen Teller, auf denen wir essen werden, Mama? Ich weiß es noch von früher… Und einen Koch haben wir auch nicht. Werden wir wieder aus dem Speisehaus essen, Mama? … Wirst Du Dich wieder selbst frisiren, wenn die Caroline wäscht und bügelt? Warum –“

„Schweig!“ unterbrach die Mama den Schwall von Worten, deren jedes zur Dolchspitze für sie wurde.

Bella kauerte sich erschrocken in die Ecke und tauchte erst wieder empor, als der Wagen über das Straßenpflaster in L. rasselte. Die Baronin dagegen warf einen scheuen Blick hinauf

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_290.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)