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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Nicht weniger, nur ein anderer Kunstgeist herrschte damals am Hofe von Hildburghausen. Die Gemahlin des Herzogs Friedrich, eines talentvollen, nur in der Ausbildung vernachlässigten, aber herzensguten Mannes, war die Herzogin Charlotte, die Schwester der Königin Louise von Preußen. Hat diese viele sie verherrlichende Dichter gefunden, so hatte jene sie weit mehr verdient – nicht blos durch ihre hohe weibliche Schönheit und Bildung: sie nahm im Gebiete der Tonkunst eine noch höhere Stellung ein, denn sie war eine der größten Sängerinnen ihrer Zeit. Ihre silberreine, volltönende und äußerst biegsame Stimme hatte sie unter dem Italiener Giuliani in Hannover kunstgerecht ausgebildet und übte sie mit rastlosem Eifer. Und nicht blos der Kreis ihrer Familie, nicht blos die Begünstigten, welche den Hofconcerten beiwohnen durften, sondern auch der ärmste Bürger ihrer Residenzstadt konnte sich wenigstens jedes Jahr einmal, in der Charwoche, wo sie bei der Aufführung von Graun’s „Tod Jesu“ in der Stadtkirche mitsang, ihrer seltenen Begabung erfreuen. „Ohrenzeugen“ – so wird aus jener Zeit berichtet – „wissen die feierliche Rührung ihres Vortrags der Recitative und der Arien in diesem Werke nicht genug zu preisen“. „Mit jedem Tone schien sie ihr eigenes begeistertes Gefühl auf die Zuhörer zu übertragen und keiner erschien als leerer, bedeutungsloser Klang; alle sprachen sie in ihrer Silberreinheit, gleich einer Sprache höherer Wesen, zum Herzen und erregten bei den empfänglichen Zuhörern dasselbe hohe Gefühl, welches in ihr selbst lebte.“ So urtheilte über sie der bekannte Joh. Friedr. Reichardt in seinem musikalischen Wochenblatt, und Jean Paul feierte sie als seine „wie aus Nachtigallen zusammengesetzte, wie eine Himmelssphäre singende Herzogin.“

Kein Wunder, daß eine solche Erscheinung den Ritter von der Bettenburg mächtig anzog, aber auch der Herzogin war er ein stets willkommener Gast, und er mußte auch ihr Gevatter werden, als ihr jüngster Sohn, Eduard, aus der Taufe gehoben wurde. Im September 1802 besuchte sie ihn zum ersten Mal auf seiner Burg, und da hallten die Räume des Schlosses auch von ihrer Stimme wieder, denn sie erfreute Jeden, den sie ehrte, gern mit ihrem Gesang. Und als Jean Paul 1803 auf seiner Umzugsreise von Meiningen nach Coburg in Hildburghausen verweilte (es hatte sich früher, im Jahr 1800, zwischen ihm und einer Hofdame sogar ein Liebesverhältniß angesponnen und der Herzog ihm, vielleicht nicht ganz ohne Beziehung damit, den Titel eines Legationsraths ertheilt), mußte auch der Bettenburger herbei. Damals war es, wo der bezaubernden Würde der Herzogin gegenüber selbst ein Jean Paul in eine wunderliche Verlegenheit gerieth. Er hatte sein Scheiden von Meiningen, wo Herzog Georg ihn um jeden Preis festhalten wollte, damit begründet, daß er für sein neues Werk neue Anschauungen brauche und diese in neuen Gegenden, unter anderen Menschen suchen müsse. Und als ihn nun an der fürstlichen Tafel die Herzogin nach dem Titel dieses neuen Werkes fragte, wollte dem Dichter das unhofmäßige Wort nicht über die Zunge. Er peinigte sich mit Umschreibungen, bis es endlich doch heraus mußte: „Die Flegeljahre“ Man erzählte sich damals, daß der Herzog nicht umhin gekonnt habe, seine Verwunderung darüber auszusprechen, daß der Herr Legationsrath für „so etwas“ gerade in Coburg neue Anschauungen zu finden glaube.

Hat Meiningen einen geistreichen Fürsten, Hildburghausen eine kunstreiche Fürstin auf die Bettenburg gesandt, so ist Coburg vertreten durch einen gefeierten Feldherrn: Prinz Friedrich Josias, des Kaisers und des Reichs Feldmarschall. Sein Name steht in der Geschichte. Wenn seine Siege über die Türken, seine Eroberung der Walachei schließlich für Oesterreich vergeblich gewesen waren, so theilt er darin das Schicksal so manches andern deutschen Feldherrn, wenn die Federn verdarben, was das Schwert gut gemacht hatte. Ebenso erfolglos blieben seine Siege über die Franzosen und seine Eroberung der Niederlande; aber der Schreckensruf des Pariser Convents über die Gefahr, die durch „Pitt und Coburg!“ Frankreich drohte, beweist, welchen Gegner man in ihm erkannt hatte. Sein flehentlicher „Aufruf an die deutsche Nation“, ihn im Kampf gegen die Uebermacht nicht zu verlassen, bleibt ein ehrendes Zeugniß für das edle patriotische Herz dieses deutschen Mannes; erst als er sein Heer und sich von Deutschland völlig verlassen sah, legte er den Stab nieder und zog sich in seine Vaterstadt zurück, wo er 1815 starb. Daß dieser alte Held ein häufiger Gast des Bettenburgers war, gereicht Beiden zur Ehre.

Stunden tiefer Trauer brachte dem Burgherrn einige Jahre später der Besuch der Wittwe seines fürstlichen Freundes Georg von Meiningen; der noch heute im Andenken seines Volkes durch Hunderte von Geschichtchen und Anekdoten, die alle von der Herzensgüte und Leutseligkeit, dem heiligen Regentenpflichtgefühl und der rücksichtslosen Gerechtigkeitsstrenge, dem freien, regen und vorurtheilslosen Geist und der energischen Thatkraft desselben zeugen, fortlebende „Herzog Jörg“, oder „der Jörg“, wie ihn am liebsten das Volk nannte, war am ersten Weihnachtsfeiertage 1803, erst zweiundvierzig Jahre alt, gestorben. Ein Denkmal in der Todtencapelle im Park der Bettenburg erinnert noch heute an die Seelenverwandtschaft beider deutscher Männer. Und hatte die Wittwe Trost und Stärkung beim treuen Bettenburger gefunden, so gönnte sie einige Jahre später auch ihrem einzigen Sohn Bernhard (Erich Freund, dem jetzt regierenden Herzog) die Freude, ein paar Tage bei ihm zu sein.

Der damals achtjährige Prinz kam in Begleitung seines Erziehers, des in jener Zeit durch seine Erzählungen („Liebenstein und die neuen Arkadier“, „Drei Freunde auf Reisen“, „Sommerabendstunden“ etc.) beliebten Schriftstellers Friedrich Mosengeil[1] und eines der innigsten Freunde des Freiherrn, des Dichters Ernst Wagner. Letzterer, dessen Roman „Willibald’s Ansichten des Lebens“ unsere Romanliteratur nur wenig Gleichgelungenes an die Seite zu stellen hat, war ein begeisterter Schüler und der einzige genießbare Nachahmer Jean Paul’s, der ihn der Herzogin von Meiningen zum Cabinetssecretair empfohlen und ihm dadurch eine sorgenfreie Lebensstellung gewonnen hatte. Der Körper dieses hochbegabten Geistes war leider der bejammernswürdigste; Wagner war ein armer Lahmer, der sich kaum aufrecht zu erhalten vermochte, sodaß wirklich „der Armstuhl seine Heimath“ war. Mühselig mußte er geführt und getragen, und wenn er einmal die freie Natur genießen wollte, auf ein frommes Pferd gehoben werden. Er selbst schreibt darüber an Truchseß, in Beziehung auf seinen Besuch: „Meinen Schimmel will ich zu Hause lassen. Gewiß leiht mir Ihr Pächter einen kleinen, alten, schwer- oder doch langmüthigen, ziemlich sichern Gaul (ein Mühlesel wäre noch besser, denn der scheut niemals), mit einem Sattel, an dem ein tüchtiger Aufhängeriemen zum Dranhalten befestigt ist – auf dem ich einmal in Ihren ganzen Anlagen herumzückele“ etc. Und so geschah es.

Mosengeil hat Reise und Aufenthalt auf der Bettenburg in seinen „Briefen über den Dichter Ernst Wagner“ geschildert, und da wir darin zugleich die durchweg übliche Tagesordnung des gastlichen Schlosses kennen lernen, so nehmen wir das nun auch schon vierzig Jahre alte Buch zur Hand. – Der ganze Vormittag blieb der freien Verwendung der Gäste anheimgegeben. Jeder that nach seinem Gelüste; der ehrwürdige Ritter Truchseß besorgte seine Geschäfte und bedeutende Correspondenz (denn außer dem Vergnügen, gute, deutsche Schriftsteller zu lesen und zu beherbergen, kannte er kein größeres, als an sie zu schreiben); ein einfaches, aber trefflich mundendes Mahl vereinigte alle Gäste und der übrige Tag trennte sie nicht wieder. Ein Gespräch über Literatur war dem Freiherrn der köstlichste Nachtisch; eine schöne Erinnerung poetischer Genüsse verdrängte die andere, und nicht selten wurde aus der reichhaltigen Bibliothek schnell das eben Besprochene herbeigeholt zu erhöhtem, gemeinsamem Genuß. Gegen Abend hin gab’s gewöhnlich einen Spaziergang durch die anmuthigen Pflanzungen des schönen Gartens.

Und wir gehen auch mit; wir finden keine schönere Gelegenheit, uns den schattigen Wald und den Park mit seinen Monumenten, Capellen und Inschriftsteinen zu beschauen. Die Gesellschaft ist zum Abmarsch bereit. Wagner sitzt auf seinem Rößlein, den Sattelriemen in der Hand und, nach der Ueberwindung der Aufsteigebeschwerden, selig lächelnd. Und da kommt auch der Burgherr, im grauen Jagdrock, den Hakenstock in der Faust und auf dem Haupt die Mütze mit dem großen Schirm, denn eine schon fast fünfzehnjährige Augenschwäche ist das Einzige, was ihm bisweilen das Leben trübt. Die Zugbrücke (jetzt breiter chaussirter Damm) wird nun überschritten,

  1. Mosengeil war auch einer der ersten Deutschen, die sich mit der jetzt so allgemein verbreiteten, zum publicistischen Tagesbedürfniß gewordenen Stenographie beschäftigten; sein Schriftchen darüber erlebte 1819 in Jena die dritte Auflage. Mosengeil starb 1839.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_294.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)