Seite:Die Gartenlaube (1866) 299.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

des Augenblicks nicht verkennen und wie viel auf dem Spiel stehe; die Lage sei nicht so schwierig, wie sie scheine, die Feinde nicht im Stande, die Stadt mit Gewalt zu nehmen; er bitte um Vertheidigungsbefehle und stehe mit seinem Kopf dafür, die Stadt noch vierzehn Tage zu halten, während welcher Zeit Hülfe kommen werde.“ Umsonst! Der Senat, lau und schwachmüthig, erließ den Auflösungsbefehl. Die Wehrmänner der Bürgergarde, zähneknirschend und fäusteballend, waren nur mit der größten Mühe zu bewegen, die Waffen abzugeben. Mettlerkamp eilte zu Pferde dorthin, wo noch gekämpft wurde; am 31. Mai fand er sich bei den Schweden ein.

Von da an beginnt sein dornenreichstes Werk: die Bildung der hanseatischen Bürgergarde zur Befreiung der Hansestädte. Diese That hat ein besonderes Interesse für die Gegenwart, in welcher die Ersetzung des stehenden Heeres durch Miliz eine brennende Frage ist. Ein schlichter Handwerker bildet mit strenger, sogar eigensinniger Fernhaltung sowohl alles eigentlichen Soldatenthums wie aller gewöhnlichen Freischaarenelemente aus dem Waffenhandwerk fremden Bürgersleuten einen selbstständigen Truppenkörper zur Wiedereroberung der Vaterstadt und macht die Schaar Vertriebener inmitten aller Nothstände, Beschwerden und Hindernisse so feldtüchtig, daß die hanseatische Bürgergarde an dem Feldzug an der Niederelbe und der Belagerung Hamburgs rühmlich thätigen Antheil nimmt und Mettlerkamp den Feldherren der großen Heere Achtung und Anerkennung seiner selbstständigen Stellung abnöthigt.

Versprengte und verbannte Hamburger fanden sich zunächst bei Mettlerkamp ein, und auf mecklenburgischem Boden erließ er im Juni seine „Proclamation an die Bürger von Hamburg, Lübeck und Bremen“, aus welcher wir nur das kerngesunde Wort anführen: „es ist des freien Mannes Sache, zu kämpfen, so lange er lebt“. Der Kronprinz von Schweden versprach Mettlerkamp seine eifrige Unterstützung; beiläufig gesagt, machte der schlaue Bernadotte auf den ehrlichen Hamburger den Eindruck, als speculire er auf deutsches Land. Ein wohlausgesonnener Plan Mettlerkamp’s, Hamburg und Lübeck durch Ueberfall zu gewinnen, scheiterte an Wallmoden’s Bedenklichkeit. Die hanseatische Bürgergarde wurde der combinirten Nordarmee eingereiht und schwur den Fahneneid am 21. August zu Güstrow, wo das Directorium der hanseatischen Angelegenheiten (Gries, Curtius, Sieveking und Mettlerkamp) seinen Sitz hatte. Sie wurde übrigens vorläufig nicht zum Kampfe zugelassen, sondern mußte in Rostock und Wismar Garnisondienste thun und wurde am 30. October der hanseatischen Legion einverleibt, gegen den Wunsch und Willen des von Bürgerstolz erfüllten Anführers. Nach verschiedenen strapazenreichen Märschen und dem scharfen Gefecht bei Mölln gelangte man nach Lübeck, und von hier durfte Mettlerkamp endlich mit seinen wackern Bürgerwehrmännern auf die heißersehnte Vaterstadt losrücken, wo er inzwischen von den Franzosen zum Tode verurtheilt und seine Habe eingezogen war. In und bei Bergedorf hatte das abgerissene, oft hungernde Corps Tag und Nacht den strengsten Wachtdienst, nur durch einzelne Vorpostengefechte erheitert. Durch Einübung von Recruten, welche aus den Hansestädten entkommen waren, wurde das hanseatische Bürgercorps ansehnlich verstärkt und zeichnete sich in den blutigen Kämpfen gegen die Franzosen vor Hamburg aus, namentlich in den Angriffen auf Wilhelmsburg und die Elbbrücke. Unter den Officieren befand sich ein Sohn Mettlerkamp’s als Lieutenant und der achtzehnjährige Henckel als Hauptmann der zweiten Compagnie. Mettlerkamp erhielt den Oberbefehl über die russische Division Tolstoi, deren Vorhut seine Bürgergarde bildete, um am 17. Februar 1814 die Elbbrücke zu zerstören. Das Werk war bereits so gut wie gethan und Mettlerkamp auf dem besten Wege, im Einverständniß mit Tolstoi, die Stadt selbst zu nehmen, als zu seinem tiefsten Verdrusse Gegenordre aus dem Hauptquartier des Generals Benningsen eintraf.

Die Leiden Hamburgs, besonders während der Belagerung, waren unbeschreiblich. Mit Mord und körperlicher Mißhandlung, mit Raub und Erpressung, mit Brand und Seuchen, mit Hunger und Ausjagung von vierzigtausend Menschen mitten im Winter, mit allen Scheußlichkeiten des Standrechts wurden die armen Bewohner von den gefühllosen Franzosen unter dem Scheusal Davoust erdrückt. So ungeheures Elend wäre abgewendet worden, wenn tüchtige Köpfe und feste Herzen an der Spitze gestanden hätten. Wenn nach einer halbamtlichen Schätzung (ganz abgesehen von dem viel größern Verlust durch Stockung alles Handels und Erwerbes, aber mit Einschluß der aus der Bank geraubten dreizehn Millionen und des an fünfunddreißig Millionen reichenden Schätzungswerthes der abgebrannten Häuser) der Schaden, den die Franzosen 1813 Hamburg zufügten, fünfundachtzig Millionen Francs beträgt, so wäre aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem achten Theil dieser Summe, nämlich den zehn Millionen Franken von der großen Contribution, die sogleich nach dem Einzuge der Feind einzutreiben vermochte, die Stadt gerettet worden, wenn diese Millionen zur Rüstung des kräftigen, kampflustigen Volkes und zur Herbeiziehung der schwedischen und anderer Kriegsvölker angewandt wären, statt daß man gegen die geldbedürftigen schwedischen Officiere, welche die Mittel der Stadt zur Verpflegung der Truppen erforschen und auskundschaften wollten, immer die vollständigste Erschöpfung und Mittellosigkeit betonte und nur „Beruhigung über die baldige Befreiung von den gegenwärtigen Kriegsdrangsalen“ erflehte.

Endlich nahm die Schreckenszeit ein Ende. Am 31. Mai 1814 zogen die letzten Franzosen ab und die Verbündeten unter Benningsen in die festlich geschmückte Stadt ein, Allen voran Mettlerkamp mit seiner Bürgergarde von eintausendzweihundertundzweiundsechszig Mann aller Waffen.

Wie überall in Deutschland, so wucherte auch in Hamburg das Giftkraut der Restauration empor; auf die Befreiung folgte die Knechtung. Der König Friedrich Wilhelm der Dritte hatte eine förmliche Wasserscheu vor aller Volksbewaffnung und hat es dem Volk in Ostpreußen niemals verziehen, daß es sich aus eigenem Entschluß in Waffen erhoben hatte. Der Senat von Hamburg hatte nichts Eiligeres zu thun, als sich so bald wie möglich der wohlbewährten Bürgergarde zu entledigen, so daß Freiherr v. Stein ihm sein ernstes Mißfallen darüber ausdrücken mußte. In Preußen wurden die Patrioten bald verfolgt und eingesperrt. In Hamburg blühte ihr Weizen auch nicht. Mettlerkamp soll beim Einzuge in die Vaterstadt ernst und fast traurig ausgesehen haben. Er meinte selbst, es habe der Anblick der Trümmer, durch die er von Altona nach Hamburg ritt, ihn ergriffen und mit Entrüstung und Verachtung erfüllt gegen die, deren Kleinmuth solches Unglück verschuldet. Mit welchem Ekel mußte er diese Menschen, die in der Republik wie in der Monarchie immer obenauf schwimmen, immer die Früchte jedes Kampfes an sich reißen und an dem Triumphe über jeden Feind, dem sie selbst gedient oder vor dem sie das Feld geräumt, voran Theil nehmen, schon am Befreiungstage sich wieder vordrängen sehen!

Mettlerkamp ist weder Befehlshaber der Bürgerwehr, noch Stadtcommandant geworden; diese Aemter gab der hochedle Magistrat an Leute, die einem Mettlerkamp nicht an das Schienbein reichten. „Ade, du falsche Welt!“ rief der treue Hofer an seinem Todestage. Unser treuer Mettlerkamp sollte, nachdem er die Falschheit der Welt zu erkennen anfing, den bittern Becher in sechsunddreißig Jahren noch oft trinken. Sogar die Rückzahlung der kleinen Summe, welche er zur Ausrüstung seines Corps aufgenommen und auf das befreite Hamburg angewiesen hatte, stieß auf Schwierigkeiten.

Durch Undank ungebeugt, erfüllte Mettlerkamp seine Bürgerpflicht in den Kämpfen gegen Unverstand, Schlechtigkeit und Mißbräuche. Endlich aber ging ihm doch die Geduld aus. Im Jahre 1825, einundfünfzig Jahre alt, mit einer zahlreichen Familie, entschloß er sich zur Auswanderung nach den deutschen Colonien in Bessarabien, wo sein ältester Sohn auf einem Gute lebte, während der zweite russischer Rittmeister war. In einer nicht veröffentlichten Begründung seines Schrittes schreibt er: „Ich wähle Selbstverbannung aus einer Republik, wo die Tugenden der Vorfahren Platz gemacht haben dem gemeinen Egoismus, der hochmüthigsten Geldliebe, dem unerträglichsten Nepotismus, der Niedertracht und der Verachtung aller Wissenschaften, wenn sie nicht Geld einbringen. Lange stand ich an, mich über dasjenige öffentlich zu äußern, was mich Unwürdiges persönlich traf, und duldete zehn Jahre lang alle Mißhandlungen, welche Geringschätzung, Undank, Neid und Bosheit mich erfahren ließen.“

Bald enttäuscht von den halbasiatischen Zuständen Rußlands und auf inständiges Drängen seiner Freunde kehrte Mettlerkamp schon zwei Jahre später nach Hamburg zurück, dessen Bürgerschaft ihm eine Entschädigung von eintausend Friedrichsd’or für seine vielfachen Opfer zuerkannt hatte. Eine von ihm gegründete Eisengießerei

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_299.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)