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Carcer gesperrt – und dort wird bekanntlich mit den übrigen Insassen und den nie fehlenden Besuchern aller Unsinn ausgeheckt, den Studenten erfinden können – da mußte er also wieder dabei sein. Der beste Schläger und der beste Secundant war er zudem, eine Paukerei ohne ihn war undenkbar. Ergo es half ihm nichts, höchstens zwei Tage hielt er’s aus, solid zu sein, dann ging’s wieder toller als vorher. Um sich nicht neue Ermahnungen von Günther zuzuziehen, der auch in der wohlgemeinten Absicht, die Verschwendung zu erschweren, mit Zahlungen zurückhielt, wurde versetzt und gepumpt, und doch mußten dann die Schulden wieder bezahlt werden, um neuen Credit zu erhalten. Endlich drohte Günther, er werde sich nicht weiter um ihn bekümmern, den Rest des Vermögens habe er, um sich unnützen Aerger zu ersparen, einem Bankier übergeben; wenn Freund Turn sich noch zu bessern vermöge, so solle er diesen Rest wenigstens sich erhalten. Der gute Turn faßte natürlich die besten Vorsätze und vergaß sie natürlich, nachdem er sie wunderbarer Weise volle acht Tage gehalten hatte, und nach zwei Monaten befand sich das Restchen in den sichersten Händen; er ließ es sich zwar nicht selbst auszahlen, aber er verschrieb es einem „Philister“, der ihm geliehen hatte.

Damals gab es noch einen besonderen Anlaß, daß er seinen Vorsätzen ungetreu wurde. Er mußte nämlich einen Besuch in L. machen, um „Gastrollen“ zu geben, die er auf der Rudelsburg zugesagt hatte. Dort befand sich in jener Zeit eine Truppe von Kunstreitern, Akrobaten und andern dergleichen Künstlern, und Fräulein Julie, wie sie der Zettel benamste, war keine verächtliche Erscheinung. Ich kann das aus eigener Anschauung berichten. Untadelhafter Wuchs, mäßige Fülle und Gestalt, eine fast antike Gesichtsbildung, eine freie offene Stirn mit einem Rahmen herrlicher dunkelbrauner Locken, glänzende schwarze Augen mit langen Wimpern und kühnen Brauen – das Alles machte sie zur vollendeten Schönheit. Diese Schönheit war mit einem gewissen Adel der Haltung verbunden und wurde durch die Tracht der Tänzerin, die kurzen seidenen Röckchen mit den Stickereien in Gold und Silber, offen am Hals und an den Armen, reiche Haarnetze und Diademe und kostbaren, wenigstens kostbar scheinenden Schmuck, nicht wenig gehoben, und – auch der Neid konnte nicht dagegen streiten – das Mädchen trug sich mit Geschmack! Dazu kam noch, wie ein Schimmer der Sonne Poesie, ein gewisses melancholisches Wesen, eine Art Verachtung des Beifalls, ein Schein des Unbefriedigtseins in dieser äußerlich glänzenden Umgebung. Man glaubte, sie zuweilen seufzen zu hören.

Die ganze Stadt war von ihr bezaubert, die Damenwelt voll Neid; wie manche Schöne hätte eine wallende Robe um das kurze Röckchen gegeben! Junge Männer und alte Herren schwammen gleichermaßen in Entzücken, und in der That wüßte ich kaum, wo eine schöne Frau sich schöner ausnehmen könnte, als auf dem Rücken des Pferdes stehend; wie nach allen Seiten frei zeigt sich da ihre ganze Gestalt, wie tritt da jede schöne Linie hervor! Und wie regt sich in fühlenden Herzen die zarte Theilnahme, die ohnehin eine schöne Frau so leicht findet; wie regt sich die Theilnahme, wenn man eine solche Frau ganz anders als sonst das schwache Geschlecht, allein und ohne den Schutz des Mannes auftreten und Gefahren suchen und überwinden sieht! Aber trotz alles Beifalls und aller Huldigungen wurde die Kunstreiterin allgemein für gänzlich unempfindlich gehalten und man erzählte sich, ein Prinz So-und-so – ein Prinz ist immer für diese edle Welt der Inbegriff aller Liebenswürdigkeit – habe umsonst Gold und Ehre, freilich zweifelhafte Ehre, geboten und sei ganz verwundert gewesen, solchem Widerstande zu begegnen. Daraus wob sich dann noch ein förmlicher Heiligenschein um Fräulein Julie. Es hieß, ihr Wandel sei so tadellos wie ihr Wuchs, sie stamme aus guter, ja vornehmer Familie und sei unter die Truppe gegangen – aus unglücklicher Liebe; nicht wahr, höchst romantisch? Unser Turn war, da er sie sah, sogleich Feuer und Flamme und ließ sich im Vertrauen auf sein oft erprobtes Glück nicht abhalten, eine Annäherung zu versuchen. Um das Mittel dazu brauchte er nicht verlegen zu sein; es fehlte ihm niemals an der liebenswürdigen Unverschämtheit, deren auch der schönste Mann bedarf, um Glück bei den Frauen zu machen. Seine Uebung in allen körperlichen Fertigkeiten bot ihm eine Gelegenheit, mit den Männern der Truppe anzuknüpfen; seine Kraft und Gewandtheit waren so groß, daß er mit jedem Jongleur wetteifern, sich mit jedem Hercules messen konnte, im Reiten that er’s dem besten Jockey gleich. Nachdem er es mit den Starken der Truppe im Ringen, Springen und Reiten aufgenommen hatte, war er für sie der Held des Tages. Wenn er mit ihnen verkehrte, wußte er Fräulein Julie zu treffen, zu sprechen und mit richtigem Tact, nämlich nicht mit prunkenden Kostbarkeiten, sondern mit zarten, aber an sich unbedeutenden Gaben, mit Blumen, feinen Handschuhen, Wohlgerüchen und dergleichen zu beschenken. Um die Gesellschaft beim Guten zu erhalten, ließ er es nicht daran fehlen, die Kosten manches Abends aus seiner Tasche zu bezahlen. Und wieder ging ein gut Theil dessen darauf, was ihm noch übrig war.

Und Fräulein Julie – blieb nicht unempfänglich. Es verhielt sich mit ihr nicht ganz so, wie das Publicum glaubte, obschon das Gerücht auch nicht ganz die Unwahrheit sagte. Sie war von Jugend auf bei der Truppe gewesen und keineswegs in den Grundsätzen strenger Tugend erzogen, aber sie besaß einen klaren Verstand und ein frisches Herz. Nicht lange über die Kindheit hinaus, fand sie sich von Huldigungen umringt; der schönste, prächtigste, reichste, auch an Geist reichste ihrer ersten Anbeter war ein Rittmeister unter den Garde-Kürassieren, ein in der Stadt wohlbekannter Don Juan. Ihm konnte ihr unerfahrenes Herz nicht widerstehen; daß er, der vornehme Herr, sie, die Tänzerin der Arena, nicht heirathen durfte, daran zweifelte sie selbst nicht, sie vertraute auf die Betheuerungen inbrünstiger Liebe und die Schwüre ewiger Treue, welche ihm geläufig waren, ließ sich daran genügen und freute sich hingebungsvoll im Sonnenschein seiner Liebe. Aber der Herr Graf fand an ihr nur so lange Gefallen wie an anderen Schönen. Mit ihrer Hingebung kühlte sich seine Liebe ab, und er hätte ihr, auch wenn er kein Don Juan gewesen wäre, schwerlich seine Schwüre gehalten, denn die geringe Bildung der Tänzerin bot zu wenig sonstige Berührungspunkte und wechselnde Unterhaltung. Seine Aufmerksamkeiten und Besuche wurden seltener, es kam zu heftigen Scenen, bei denen die Leidenschaft der Tänzerin sich nicht in der schönsten Gestalt äußerte; ein paar Mal versöhnte man sich wieder, dann blieb der Liebhaber weg, um nicht zurückzukehren.

Sie ist nicht die Erste und wird nicht die Letzte sein, sagt Mephisto, und die Welt geht unbekümmert darüber hin, wie über alle zerrissenen Herzen und zerrütteten Körper, und schreitet trotzdem fort. Aber wen es trifft, dem ist das kein Trost; er empfindet es um so härter, je weniger die Welt an ihm Theil nimmt. Das erfuhr die Kunstreiterin an sich. Ihre wahre, leidenschaftliche Liebe mehr als unerwidert, getäuscht, ihre Hingebung durch Verrath belohnt, der Geliebte ihrer Seele, ihr Ideal und Auserwählter, ein treuloser Mann, sie selbst nur ein Spielzeug seiner Leidenschaft, dem nur ein Spielzeug, dem sie sich aufopferte! Ihr Herz krümmte sich in Schmerz und Grimm zusammen und kehrte sich verschlossen von den Huldigungen der Männer ab; mit Verachtung blickte sie auf die herab, deren Einer sie betrogen hatte, und stolz erhob sich ihre Seele über die verächtliche Welt. Der Stolz wurde die Tugend der Tänzerin; Bewunderung und Schmeicheleien ließen sie kalt, plumpe Werbungen widerten sie an, Geschenke wies sie stets zurück, wie sie auch ihrem ersten Liebhaber die Ringe, Bänder und Kleider zurückgegeben hatte, die sie ihm verdankte. Sie schien, darin log das Gerücht nicht, unempfindlich und sie hätte den edeln Prinzen So-und-so gewiß auch dann verworfen, wenn er nicht ein garstiger kleiner Knirps gewesen wäre. Aber die Tänzerin mußte dem hohen Adel und verehrungswürdigen Publicum ein freundliches Gesicht zeigen, sie mußte sich holdselig verneigen vor den Bewunderern, sie mußte nach Beifall streben, einem Beifall, den sie verachtete, sie mußte lieblich und reizend sein, Liebe darstellen und Scherz treiben vor den Augen der Menschen, mit Bitterkeit im Herzen, mit abgewandtem Sinne! Und aus solchen Contrasten der Gefühle mit dem äußern Treiben entspringt ein poetischer Hauch, ein Unbegreifliches, Unfaßbares, ein Adel des Unglücks. Das gab ihrer Erscheinung den höchsten Zauber jener träumerischen Vergessenheit, jenes eigenthümlich räthselhafte, wehmuthsvolle Wesen; dadurch ragte sie vor Anderen ihres Gleichen hervor.

Nun war aber seit dem Bruche mit ihrem Rittmeister geraume Zeit vergangen, als unser schöner Fritz ihre Bekanntschaft machte. Ihre Bitterkeit hatte sich gelindert. Sein frischer, gesunder Humor, seine liebenswürdige Tollheit entwaffneten ihren Stolz. Er trat ihr nicht wie ein Cavalier, mit Gönnermiene herabsehend, um Gunst zu erlangen, sondern auf gleichem Fuße entgegen, ganz nur ein verliebter Tollkopf. Sie begann seiner

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_306.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)