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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Deutsche Sitte.

Mein.
Nach den Originalbildern von Carl Engel.

nicht mehr in meine Welt. Mir selbst wehrte er nicht, wieder zu ihm zu kommen, und ich habe ihn darauf öfters gesehen, in der Regel in Gegenwart der schönen Julie, die ich dabei auch als liebenswürdige Gesellschafterin schätzen lernte. Manchmal bei einem guten Glase Wein gerieth er auch wohl in seine alte Laune, und dann sah man seiner Geliebten an, wie glücklich sie darüber war. Dann wurde er auch zärtlicher gegen sie und jede, selbst die geringste Zärtlichkeit, die er ihr erwies, fand ein dankbares Herz. Als die Truppe von dannen zog, nahm ich mit schmerzlichen Eindrücken von ihm Abschied. –

Etwa ein halbes Jahr mochte vergangen sein, als ich von Freund Turn einen Brief erhielt. Der Widerwille gegen seinen Beruf hatte sich mit der Zeit gesteigert und dazu war noch ein anderes Motiv getreten. Er schrieb darüber Folgendes:

Eines Abends gab er seine regelmäßigen Vorstellungen; ein gefährlicher Sprung mißglückte, wunderbarer Weise und zum Jubel der entsetzten Zuschauer ohne ihn zu beschädigen. Aber im Augenblick des Fehlspringens ertönte von einem der vorderen Plätze ein lauter Schrei; als Turn aufblickte, sah er eine Dame in Ohnmacht und erkannte – Cornelien, die der Zufall in jene Stadt geführt hatte. Im selben Moment stürzte Julie verstört hervor und verrieth dem Publicum den hohen Grad ihrer Theilnahme. Unter dem Vorwande, ein Gelenk verdehnt zu haben, zog er sich aus der Vorstellung zurück und begab sich nach dem Gasthof, wo er wohnte.

In den Gedanken, welche durch diese Begegnung angeregt worden waren, schritt er so langsam hin, daß ein Anderer, der den Circus gleichzeitig verließ, ihn bald einholte. Der Anruf: „Fritz!“ und eine auf seine Schulter gelegte Hand hemmten seinen Schritt und weckten ihn aus seinen Gedanken. Es war eine wohlbekannte Stimme, ihr Klang allein war eine Anklage. Turn hielt an wie erschüttert, kehrte sich um und sagte finster: „Ja, ich bin’s, Herr Günther.“

Dieser schwieg eine Weile, denn – er wußte nicht gleich das Gespräch fortzusetzen – Vorwürfe, sah er schnell, waren gegen den Mann, welchen das Schicksal gebeugt hatte, nicht am Platze; Beide standen sich, nach Worten suchend, gegenüber. Dann sagte Günther:

„Daß ich Dich so wiederfinde, Fritz!“

„Ja, es ist weit mit mir gekommen,“ antwortete Fritz in tiefstem Schmerze.

„So kehre um, es ist noch Zeit, die höchste Zeit,“ mahnte der Andere.

„Aber ich habe keinen Rückweg, es geht nicht,“ seufzte Fritz.

„Warum? Ich biete Dir meine Hand.“

Turn schwieg. Günther fuhr fort: „Fesseln Dich noch andere Bande? Bist Du Verpflichtungen gegen die Kunstreiterin eingegangen?“

Jener schwieg wieder. Günther drang lebhafter in ihn. „Cornelie hat Dich im Herzen behalten; sie sandte mich nach Dir, sie ist außer sich über Dein Schicksal. Willst Du sie sprechen?“

Er bat sich Bedenkzeit aus und erkundigte sich nach der Wohnung. Günther nahm Abschied, indem er nochmals zur Umkehr mahnte.

Einige Zeit nach ihrem Geliebten traf Julie in der gemeinschaftlichen Wohnung ein. Sie fand Jenen in einer Aufregung, die sie nicht seinem Sturze allein zuschreiben konnte; sie bot alle ihre Liebenswürdigkeit auf, den Unmuthigen zu besänftigen, er aber wies sie barsch von sich und erweckte damit ihren immer regern Verdacht.

Nach einer Nacht voll Unruhe gelangte unser Turn zu dem Entschlusse, Cornelien aufzusuchen. Es geschah am andern Abend, aber ihm folgte ein Beobachter. Er hatte seinen Entschluß mehr aus einem dunkeln Triebe, als aus klarer Ueberzeugung gefaßt: nur der Ekel an seinem nichtigen Berufe bewog ihn, nur das war ihm gewiß, daß er sein bisheriges Leben aufgeben müsse, wenn er nicht gänzlich verkommen solle. Erst unterwegs machte er sich darüber Gedanken, wie er Cornelien entgegentreten wolle, wie sie ihn empfangen werde, und seine Schritte zögerten und hielten an. Nach einem Stillstand setzte er jedoch den Weg fort.

Günther und seine Tochter wohnten im „englischen Hof“, einem Gasthaus ersten Ranges, in den glänzend ausgestatteten Zimmern eine Treppe hoch. Cornelie war von der Gemüthsbewegung angegriffen, verweint und blaß; tiefer Schmerz lag auf ihr, daß sie den schönen Freund ihrer Jugend seine Lebenskraft in nichtigen Schaustellungen, vielleicht in wüstem Treiben, verschleudern sah. Die schöne Kunstreiterin mit ihrer sichtlichen Theilnahme hatte eine eifersüchtige Regung in ihr hervorgerufen; ihre Seele war voll Angst, Kummer und Betrübniß. Als er gemeldet ward, meinte sie, ihn wie einen Verlorenen mit Wehmuth und Zurückhaltung empfangen zu müssen; sie stand nicht auf. Aber als er nun eintrat und ihr mit düsterer Scheu, als zweifelte er an ihrem Gegengruß, halblaut ein bescheidenes und schwermüthiges „Guten Tag, Cornelie,“ zusprach, da war’s mit ihrer Zurückhaltung vorbei. Sie sprang auf und hing weinend an seinem Halse.

Ich übergehe, was er mir weiter von diesem Wiedersehen schrieb, und berichte nur die Folgen. Nach langer Zeit war es das erste Mal, daß er wieder mit Leuten feinerer Bildung verkehrte,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_309.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)