Seite:Die Gartenlaube (1866) 316.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Deutsche Sitte.


Es ist für die Malerei, wie es für die Poesie war, die höchste Zeit, von den untergehenden Volkseigenthümlichkeiten zur Kunde der Nachwelt zu retten, was bis heute dem Andrang des modernen Modeeinheitsstrebens widerstanden hat. Dichter, oder Forscher mit dichterischem Geiste waren es, welche zuerst in der Sprache des Volks einen Schatz selbstständigen geistigen Gepräges erkannten und mit allem Fleiße daran gingen, von unseren deutschen Mundarten und den in ihnen niedergelegten poetischen Schöpfungen das Gute zusammen zu tragen. Die gleiche Sorgfalt wurde den Volksliedern, den Volkssagen und Märchen, den Volksspielen bis zu den Kinderreimen gewidmet, und wo dies noch nicht geschehen, wird dazu angeregt nach Kräften. Dieselbe Liebe hat nun die bildende Kunst den von den Voreltern noch bewahrten Volkssitten und Gebräuchen, Volkswohnungen und Volkstrachten zu widmen. Auch an ihnen zehrt die Gleichmacherei unserer Tage. Je weiter der große Verkehr der Welt mit seinen Eisenbahnen und Kunststraßen sich ausbreitet und von ihnen aus die Zweige desselben abseits zu den bis jetzt in den Thälern und Schluchten der Gebirge wie in den weiten Ebenen vereinsamt gelegenen Menschengemeinschaften vordringen, desto rascher fällt das Alte und vom Alten das Schöne leider am raschesten. Es ist daher ein frommes Werk, so viele, als nur möglich, von den oft so labenden Bildern dieses vergehenden Volkswesens der Gegenwart vor das Auge zu führen und der Nachwelt zu erhalten.

Die Leser wissen, daß die Gartenlaube es längst zu einer ihrer Aufgaben gemacht hat, Kunstbestrebungen der bezeichneten Art nach Kräften zu unterstützen. Die Zahl der von ihr durch Holzschnitt veröffentlichten Bilder aus dem Volksleben ist schon jetzt keine geringe. Um so mehr freut es sie, heute auf ein neues das heimathliche Volksthum eines bereits anerkannten Meisters verherrlichendes Kunstwerk die allgemeine Theilnahme hinzulenken, und zwar ist dies eine oberhessische Dorfgeschichte in Bildern von Carl Engel.

Deutsche Sitte.

Unser.
Nach den Originalbildern von Carl Engel.

Dieser Volksmaler „von der Rabenau“, wie er sich nach der Landschaft nennt, in welcher sein Geburtsort Londorf liegt, ist der Welt der Kunstfreunde schon durch manches gute Gemälde bekannt, das in öffentlichen oder Privatsammlungen seinen Platz gefunden. Sein Bildungsgang führte ihn über Darmstadt nach Düsseldorf und München, und sein übriges Leben nicht viel weiter, als nach Frankfurt und von da nach Rödelheim, wo er den Stab in die Erde steckte und seinen Heerd gründete. Gegenwärtig ist er ein Mann von neunundvierzig Jahren. – Hat somit die weite Welt seinen Blick nicht für die Herrlichkeiten der Fremde verlocken können, so blieb er um so treuer der Volks- und Kinderwelt zugewandt, für die auch außerhalb Oberhessens sein Herz sich am leichtesten erwärmte. Seine „zwei Münchener Mädchen“ (im Besitz des Grafen Arco) sind durch lithographische Vervielfältigung als Wandschmuck eine Freude manches Hauses geworden; rühmlich bekannt ist auch sein „Bildhauer-Atelier“, in welchem er eine Scene aus dem Künstlerleben seines Freundes Scholl ausführte, und sein einziges allegorisches Bild „der Sieg der Freiheit über den Absolutismus“. Das waren Ausflüge des Künstlers; daheim, das lehrt uns der erste Blick auf seine Werke, fühlt er sich nur im heimischen Kinder- und Familienkreise, wie uns dies die theils durch Stahlstich, theils durch Litho- oder Photographie weit verbreiteten Bilder „die Taufpathe“, „die betende Alte“ u. v. A. zeigen. Viele Erzeugnisse seines Volkshumors sind durch die Frankfurter Verlagshandlung von May und Wirsing in’s Publicum gekommen; mit einer Sammlung colorirter Lithographien nach Engel’schen Aquarellen trat zuerst der Heinrich Keller’sche Kunstverlag hervor, dem wir auch eine, und zwar dreifache,[1] photographische Veröffentlichung der Dorfgeschichte verdanken, die in sechs Blättern („Still und fleißig“ – „Herzig und treu“ – „Mein“ – „Dein“ – „Unser“ – „Juchhe!“) das darstellt, was wir einen „deutschen Bauern-Liebesfrühling“ nennen und von welchem die Gartenlaube ihrem Leserkreise vier Nummern im Holzschnitt vorzuführen berechtigt worden ist.

Wer viel allein auf Reisen war, der hat erfahren, daß es nicht immer gut ist, schöne Bilder, ob der Natur oder der Kunst, allein zu betrachten; da sehen vier Augen immer mehr. Nur darum mögen unsere Leser es nicht für zudringlich halten, wenn wir sie bei der Betrachtung selbst dieser anscheinlich so einfachen Bilder begleiten.

Gar alltäglich erscheint es, daß sich Zweie lieben, heirathen und ihres ersten Ehesegens sich erfreuen. Aber schön bleibt es ewig, und unermeßlich, wie das Reich der Liebe, sind die Variationen des beseligendsten Themas, das Gott seiner Welt geschenkt.

Beim Spinnrocken sucht der wackere Bursche sein stattliches

  1. Preis in Carton Ausgabe I. 18 Thlr., Ausgabe II. 3 Thlr. 15 Sgr., Ausgabe III. 2 Thlr. Die Photographie trefflich von J. Schäfer ausgeführt.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_316.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)