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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

gewinnen, daß in ihnen der Kern zu etwas Besserm verborgen liegt. Weiß man sie zu nehmen, so findet man sie gutmüthig und für Freundlichkeiten überaus empfänglich. Zu dem, was sie sind, haben die Verhältnisse sie gemacht, unter denen sie aufwuchsen; ihre sonderbaren Rechtsbegriffe sind das Product der fortwährenden Rechtsverletzungen, die an ihnen und den Ihrigen begangen wurden, und der systematischen Verwahrlosung. Aus dieser Generation ist allerdings wenig mehr zu machen; von der folgenden aber läßt sich schon etwas Besseres erwarten.

Eine höchst achtungswerthe Eigenschaft der Irländer ist ihre Arbeitslust. Die Faulheit ist unter ihnen nur sehr wenig vertreten, und zur Bettlerzunft liefert ihre Nationalität kein starkes Contingent. Für die materielle Entwicklung der Vereinigten Staaten sind sie deshalb auch von der größten Bedeutung, wenn sie gleich im Allgemeinen nur in den niedrigsten Arbeitsfächern zu verwenden sind. Es wäre doch merkwürdig, wenn der Segen der Arbeit sich an ihnen verleugnen sollte. Tritt bei der aufwachsenden Generation diesem Charakterzug der Unterricht und der veredelnde Einfluß eines freien, auf allgemeinen Wohlstand basirten gesellschaftlichen Lebens zur Seite, so wird Amerika sich seiner Bürger von irischer Abstammung nicht zu schämen haben. Nicht minder hoch aber stellt sie das Zusammenhalten unter einander und die aufrichtige, glühende Vaterlandsliebe, wie sie sich jetzt in der fenischen Bewegung offenbart.

Als hier die Nachricht von der Verkündung des Kriegsgesetzes auf der grünen Insel eintraf, da versammelten sich am Sonntag, trotz des strengen Verbots der Geistlichkeit, welche sonst so unbedingten Gehorsam findet, daß jeder echte Irländer sich ohne Murren auf seinen Volksfesten vom Priester prügeln läßt, über hunderttausend Söhne und Töchter jener Insel im großen Parke von John’s Wood. In feierlicher Procession zogen sie hinaus, Gestalten, welche selbst Bassermann sich in seinen schwärzesten Phantasieen nicht träumen ließ, aber dennoch Leute, die augenblicklich von den edelsten, achtungswerthesten Gefühlen beseelt waren. Es ist doch wohl keine Kleinigkeit, dem Vaterland zu Liebe selbst die ewige Verdammniß zu riskiren. Mit freudiger Bereitwilligkeit wurde dem Aufruf um Geldbeisteuern entsprochen, Prügeleien kamen diesmal gar nicht vor, was unter Irländern etwas sagen will, und jedenfalls befanden sich Zehntausende darunter, welche sich keinen Augenblick besonnen haben würden, sofort für das bedrängte Vaterland auf’s Schlachtfeld zu rücken. Der Fenianismus mag von Wahnsinn, seine Leiter mögen durchtriebene Schwindler sein; aber ist der Patriotismus eine Tugend, welche im Herzen des Menschen nicht vereinzelt steht, so liegt in dieser Bewegung die Bürgschaft dafür, daß das irische Element eines bessern Looses werth ist und einem edlern Dasein entgegengeht. Die Irländer werden von hier aus ihr Vaterland nicht befreien, aber zum ersten Mal nöthigen sie uns eine Achtung ab, welche nur durch den Schmerz über die Verkommenheit einer von Natur edlen Race getrübt wird.

New-York. Friedrich Lexow     .




Pariser Wahrsagerei. Charakteristisch für die Franzosen ist es, daß in dieser bedrohlichen Zeit, die doch auch auf die französischen Zustände nicht ohne ernste Rückwirkung geblieben ist, nicht blos Theater und Vergnügungslocale ungeheuer besucht sind, sondern daß sie sich überhaupt die aufsteigenden Befürchtungen und Gefahren durch eine vermehrte Beschäftigung mit allerlei scherz- und ernsthaften Ueberflüssigkeiten hinwegzuscheuchen suchen.

Seitdem es mehr als ein bloßes Gerücht ist, daß eine hohe Person sehr viel auf Prophezeiungen giebt, und man besonders einen Wahrsager nennt, welcher sehr oft die Ehre haben soll, dieser hohen Person in die Hand zu schauen, um aus deren Lineamenten nicht nur das Schicksal der hohen Person, sondern auch die nächste Zukunft Frankreichs vorher zu verkünden, ist es natürlich Mode geworden, sich prophezeien zu lassen, und es giebt vielleicht hundert Personen, welche entweder als Hellseher oder als Kartenleger, Zinn-, Bleigießer und Propheten, die aus der Hand die Zukunft lesen zu können vorgeben, ihr Glück zu machen suchen.

Dieser Tage wandelte mich die Lust an, mir diese Propheten näher zu besehen, und ich erfragte bei einem Bekannten die Wohnung einer Kartenlegerin aus dem Boulevard des Italiens. Als ich die etwas dunklen drei Treppen hinaufgestiegen war, begegnete ich einem jungen Mädchen, welches mir auf meine Frage nach Madame nur sehr schnippisch zur Antwort gab, „Madame habe eben Besuch, können heut Niemand annehmen, wenn die Frau Baronin gegangen sind, kommen der Herr Graf, dann der Herr General, diese Herrschaften sind schon längst vorgemerkt.“

Namen nannte das Zöfchen nicht, aber es suchte mir mit Titeln zu imponiren. Da ich in Paris die Erfahrung gemacht habe, daß die Liebhaberei für Franken sehr groß ist, drückte ich dem Kammerkätzchen drei Franken in die Hand und sagte: „Es ist erst zwölf Uhr, wäre es denn nicht möglich, daß ich nach den Herrschaften an die Reihe käme? Ich reise morgen ab.“

„Ich will es versuchen, mit Madame zu sprechen,“ erwiderte sie, „warten Sie ein wenig.“

Nach zwei Minuten kam sie wieder und sagte: „Da Sie abreisen müssen, will Madame Sie sehen, allein Sie müssen Geduld haben.“

Mir lag weniger daran, mir von der Lenormand der Gegenwart mein Schicksal aus den Karten verkündigen zu lassen, da ich an diese Kunst nicht glaube, als die Leute zu sehen, welche daran glauben; ich fragte deshalb das Zöfchen, indem ich nochmals meine Börse hervorzog, ob es nicht möglich sei, die Personen zu sehen, welche sich bei der Prophetin befänden, ob ich nicht zu diesen in das Wartezimmer treten könnte, oder ungesehen dem Kartenlegen zuschauen dürfe; ich würde das tiefste Schweigen beobachten, kenne ja die anwesenden Herrschaften nicht, und reise übermorgen nach Deutschland. Ich sei, fuhr ich fort, ein Maler und wolle Studien zu einem Gemälde „die Kartenschlägerin“ machen.

Das Mädchen legte die Hand an die Stirn, dann sagte sie: „Ich hoffe, Madame wird mir verzeihen, kommen Sie, aber leise.“

Sie faßte mich bei der Hand und führte mich in ein dunkles Gemach, vor einer Portière blieb sie, den Finger auf den Mund gelegt, stehen, nahm die zwei Franken, welche ich noch opferte, und schob die Portière so, daß ich das helle Gemach neben dem dunklen ganz übersehen konnte.

In einem Fauteuil, in schwarzen Seidenstoff gekleidet, den Kopf mit einem bunten, phantastischen Turban geschmückt, saß die Kassandra, eine hagere Frau mit gelblichem Teint, stechenden, schwarzen Augen und blendend weißen Zähnen, die ich ihrer auffallenden Schönheit wegen für falsch hielt. Vor dieser Frau im Sopha hatte eine junge, schöne Frau Platz genommen, ihr reiches, blondes Haar, der Schnitt des Gesichts, das gespaltene Kinn, erinnerten mich lebhaft an Wilhelmine Schröder-Devrient. Der feine Anzug und die Haltung der Dame zeigten, daß sie den gebildeten Ständen angehöre und wohlhabend sei. Die Prophetin blickte mit großem Ernst auf die Karten, stieß einige Laute der Ueberraschung aus, endlich sagte sie in gebrochenem Französisch: „Es ist, wie ich Ihnen schon sagte, Sie werden ihn wiedersehen, wenn der Mond dreimal gewechselt hat, aber an der Seite einer Andern, welche er jetzt leidenschaftlich liebt.“

„Und wird er sich mit dieser Andern vermählen?“ fragte die Dame in sanftem, melancholischem Tone.

„Nein, er wird sich entweder gar nicht, oder nur mit Ihnen verbinden, wenn Sie das rechte Mittel anwenden, ihn zu fesseln.“

„Und das Mittel ist?“

„Das kann ich Ihnen erst sagen, wenn wir Vollmond haben, ich sagte Ihnen ja schon, mit Ihrem Schicksal ist stets der Vollmond in Verbindung,“ sprach die Prophetin etwas ungeduldig.

Die Dame sagte; „Ich soll also wiederkommen, Madame?“

„Wie Ihnen beliebt, Sie wissen, ich dringe Ihnen meinen Rath nicht auf.“

Die schöne Blondine erhob sich, legte einen Napoleon auf den Tisch und flüsterte: „Ich werde wiederkommen.“

Hierauf entfernte sie sich mit einer graziösen Verbeugung. Die braune Frau nahm das Goldstück, warf es in eine Vase, welche auf dem Kamine stand, setzte sich wieder hin und herein trat ein Mann von ungefähr vierzig Jahren mit einem intelligenten Gesicht und sagte: „Heute will ich Sie nicht lange aufhalten, ich wünsche nur zu wissen, ob Sie mir sagen können, ob wir Krieg oder Frieden zu erwarten haben.“

„Ob ich es sagen kann? Wenn Sie zweifeln, warum kommen Sie zu mir, Graf?“

„Nun, ich weiß nicht, ob Ihnen nicht von Seiten der geheimen Polizei verboten ist, auf politische Fragen zu antworten.“

„Wer sollte mir gebieten? Ein Befehl gegen mich, nicht mehr sprechen zu dürfen, was die Wahrheit ist, und ich gehe nach England.“

„Dort werden Sie schwerlich so gute Geschäfte machen, wie hier, denn die Engländer sind zu fromm, um sich die Karte legen zu lassen,“ sagte der Herr trocken. „Seien Sie nur so gut, mir zu sagen, ob wir Krieg zu erwarten haben, denn ich wünsche zu wissen, was ich thun soll.“

Die Frau nahm die Karten, mischte sie, hieß den Herrn zwölf Blätter herausziehen, legte sie vor sich hin und sprach: „Sie haben bereits Staatspapiere gekauft, Sie wollen noch mehr kaufen, so ist es.“

„Ja, das gebe ich zu.“

„Behalten Sie Ihre Oesterreicher, in wenig Jahren sind die Geldverhältnisse Oesterreichs geordnet, denn die Regierung wird die Klöster ausnehmen.“

„Das wird sie nur in der größten Noth thun, demnach sehen Sie Krieg.“

„Sobald noch nicht, erst nach der Weltausstellung, falls es Krieg geben sollte!“

„Gut, mehr wollte ich nicht wissen.“

Der Herr legte zwei kleine Goldstücke auf den Tisch und entfernte sich mit leichtem Gruße. Abermals öffnete sich die Thür und ein Officier in Generalsuniform erschien. Ohne Complimente forderte er die Frau auf, ihm die Karte zu legen. Sie sagte: „Erst muß ich Ihren Geburtstag wissen und in welchem Himmelszeichen Sie geboren sind.“

„Mein Geburtstag fällt auf den ersten Mai, welches Himmelszeichen damals im Kalender gestanden hat, als ich zuerst das Licht der Welt geschaut, weiß ich nicht.“

„Hm, da kann ich Ihnen nicht Alles sagen.“

„So sagen Sie, was Sie wissen, vor Allem, ob ich noch lange in Paris bleibe.“

Nachdem die Frau die Karten gemischt und aufgelegt hatte, sprach sie: „Ja, noch mehrere Jahre.“

„Wird mein Sohn auch hier bleiben?“

„Gewiß, noch länger!“

„Mehr wollte ich nicht wissen!“

Der General legte ein Geldstück auf den Tisch, die Frau schob es ihm hin und sagte: „Nehmen Sie es zurück, General.“

„Warum? Ich begehre nicht umsonst eine Probe Ihrer Kunst.“

„Ich nehme kein Silber, nur Gold oder gar nichts.“

Der General sagte: „So geben Sie das Silberstück Ihrer Kammerjungfer und nehmen Sie meinen verbindlichsten Dank.“

Er verbeugte sich sehr artig und entfernte sich ziemlich schnell. Sie nahm das Geldstück und murmelte: „Fünf Franken, schmutzig, indeß –“ und die Silbermünze wanderte in einen Kasten, der aber sofort zugedeckt wurde.

Jetzt erschien das Zöfchen wieder, nahm mich abermals bei der Hand und führte mich auf anderem Wege durch ein elegantes Vorzimmer in das Gemach der Dame. Auch ich ward mit Ausdrücken in einem Französisch empfangen, das die Ausländerin verrieth.

„Sie sind eine geborene Ungarin?“

„Oui, Monsieur.“

Nun bin ich eben nicht stark im Ungarischen, aber ich habe in Pesth gerade genug gelernt, um ein oberflächliches Gespräch führen zu können, auch machte sich mein verstorbener Freund, Dr. Franz Reissinger, der Herausgeber der Mittelrheinischen Zeitung, einmal den Spaß, mir, während

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