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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 21.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Frankfurter Advent.
Historische Novelle von Bernd von Guseck.
1.

„Nicht von der Stelle, Hermann! Ich will doch hören, ob Du mir in’s Gesicht noch einmal das sagen wirst! Bleib’ da, ich befehle es Dir! In dem Rock da habe ich Dir wieder zu befehlen!“

Der junge Mann, welcher bereits die Hand auf die Thürklinke gelegt hatte, wandte sich um und blieb stehen. Sein Gesicht war von der Röthe des Unwillens gefärbt, der auch aus seinen großen, blauen Augen leuchtete.

„Sie haben mich nach meiner Meinung gefragt, Onkel,“ sagte er. „Meine Ansichten werde ich nie verleugnen.“

„Deine Ansichten? Landgräflich-hessische Ansichten sind es!“ rief der Onkel. „Eingebläut, andressirt! Ihr hättet schon davon curirt werden können, als euer Blut verschachert wurde zum Kriege in Amerika und ihr ein freies Volk mit all’ eurer gerühmten Tapferkeit nicht wieder in die alte Knechtschaft werfen konntet – und jetzt werdet ihr noch mehr Schimpf und Schande davon tragen! Deine Ansichten! Tritt her, sag’s mir noch einmal, daß ich ein Bastard Deutschlands bin!“

„Onkel!“ entgegnete der junge Mann, indem er die Hand wie zur Abwehr dieser Beschuldigung erhob.

„Ja, ja!“ rief der Onkel heftig, „wenn Du mich auch nicht ausdrücklich genannt hast! Jeder Deutsche, der mit den Ideen der Franzosen übereinstimmt, ist ein Bastard seines Vaterlandes, war’s nicht so?“

„Auch das habe ich nicht gesagt, Onkel,“ versetzte der Neffe, mit einem raschen Schritte näher tretend. „Nicht von den Ideen habe ich gesprochen, welche schön und erhaben in Worten klingen, die Thaten sind es, die ein deutsches Gefühl empören müssen: Mord und Gräuel im Innern, Auflösung aller Zucht und Ordnung, und gegen Deutschland freche Gewalt, Einbruch in deutsches Reichsgebiet, wo das Reich doch Frieden mit der neuen Republik hat. Damit können Sie nicht einverstanden sein, Onkel, und darum trifft Sie mein Wort nicht!“

Der Onkel richtete seine starke und stattliche Gestalt, welche er gewöhnlich etwas gebückt trug, zu ihrer vollen Länge auf und maß den Neffen mit einem zürnenden Blick. „Ich kann mit einem landgräflich-hessischen Lieutenant nicht um Dinge streiten, die über seinen Horizont hinausliegen,“ sagte er. „Sturm und Gewitter richten Verwüstungen an, aber sie bringen Segen. Die Gräuel in Frankreich sind ein furchtbarer Rückschlag für andere, welche das Volk erlitten hat, der Einbruch in deutsches Reichsgebiet ist herausgefordert worden durch Feindseligkeiten der Kurfürsten und Bischöfe am Rhein mitten im Frieden. Wo Gerechtigkeit und Freiheit herrscht, wie bei uns in Frankfurt, hat Niemand etwas zu fürchten. Weshalb bist Du denn eigentlich verkleidet nach Frankfurt gekommen? Spioniren? Die reiche Stadt als revolutionär verdächtig machen, damit Seine Majestät von Preußen und Dein Durchlauchtigster Seelenverkäufer ihr eine kleine Brandschatzung auferlegen können?“

„Einen Spion suchen Sie drüben bei der Tante!“ rief Hermann entrüstet. „Meinen Herrn aber bitte ich nicht zu verunglimpfen, sonst vergißt der Soldat seine Herkunft.“

„Bursche, das sagst Du mir!“ schrie der Alte, die Hand erhebend. Hermann wich nicht zurück, aber sein Auge sprühte Flammen und sein Gesicht wurde todtenblaß – welche Veränderung plötzlich in allen seinen Zügen! Er glich sich selbst nicht mehr, es war plötzlich ein ganz anderes Antlitz geworden, bleich wie der Tod, furchtbar, aber schön – die blauen Augen schwarze Nacht.

Auf den Oheim machte diese Verwandlung einen entnervenden Eindruck, sein gehobener Arm sank herab, der alte Mann starrte auf den Jüngling, als sehe er eine Geistererscheinung vor sich, er wandte sich ab und griff nach der nächsten Stuhllehne, denn ihm wankten die Kniee.

„Ich habe Sie nicht beleidigen wollen, Onkel,“ sprach Hermann, der sich gewaltsam faßte, mit bebender Stimme. „Verzeihen Sie mir und lassen Sie uns in Frieden scheiden. Sie haben meinen Wünschen nachgegeben, als ich den Kaufmannsstand, für den Sie mich bestimmt hatten, mit dem hessischen Kriegsdienst vertauschte; daß ich als ehrlicher Soldat die Proclamation, mit welcher uns die Franzosen zum Treubruch verleiten wollten, daß ich, was sie an deutschem Land gethan, nicht gut heißen kann, werden Sie einsehen. Ich kam nach Frankfurt, um von Ihnen und der Tante Abschied zu nehmen, ehe ich mit den Depottruppen zum Corps abmarschire; in bürgerlicher Kleidung kam ich, um hier kein Aufsehen durch meine Uniform zu erregen und den französischen Agenten, deren es auch hier giebt, keinen Grund zu neuen gehässigen Anklagen zu liefern, als leiste meine Vaterstadt den gegen Frankreich alliirten Armeen Vorschub. Geben Sie mir Ihre Hand, Onkel, zum Zeichen, daß Sie mir nicht mehr böse sind.“

Der Oheim aber verweigerte ihm dies Zeichen. Er wandte sich noch mehr ab, um ihn gar nicht anzusehen, und sagte in einem Tone, der nicht die gewohnte Festigkeit hatte: „Böse bin ich nicht. Es kann nicht anders sein, wie einmal Alles gekommen ist. Geh’ Deinen Weg, Hermann, Ihr werdet den Weltlauf mit allen euren Bajonneten nicht ändern. Sage der Tante Lebewohl und wenn Du Menschen bei ihr findest, die Dich nicht kennen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 321. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_321.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)