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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

so demaskire Dich ihnen nicht. In jetzigen Zeiten muß man vorsichtig sein. Lebe wohl.“

Er winkte gebieterisch und Hermann verließ mit einem letzten Scheideworte das Zimmer. Ein langer Gang führte in dem alterthümlichen Hause nach der Visitenstube der Tante; sie hatte, wie er kurz vorher im Heraufsteigen von der Treppe bemerkt hatte, den Gast wieder empfangen, der ihm von der ersten Bekanntschaft an verhaßt gewesen war, vielleicht traf er ihn noch dort und in der Stimmung, welche ihn eben beherrschte, wäre ihm das ganz recht gewesen. Wenn der aalglatte Elsasser auch kein Spion war, wie Hermann gegen den Onkel geäußert hatte, so blieb er doch ein Feind der Sache, für welche der hessische Officier jetzt in den Kampf ging. Er hatte bisher immer vermieden, ihm darüber Rede zu stehen, diesmal beim Abschiede wollte er den Herrn Stamm dazu zwingen. An der Treppe wurde Hermann dieser grimmigen Laune aber durch den Anblick seiner lieblichen Cousine entrissen, welche eben einem armen Handwerksburschen eine Gabe verabreichte. Sie bemerkte den Vetter erst nicht, denn sie fragte den Wandergesellen, der ein offenes, ehrliches Gesicht hatte, nach seinen Umständen, dieser jedoch blickte erstaunt auf und rief: „Ei, Herr Lieutenant, wie kommen Sie da her? Haben Sie den bunten Rock an den Nagel gehängt?“

Hermann erkannte den breitschultrigen starken Burschen auf den ersten Blick, er hatte in der frühern Garnisonstadt Hermann’s bei seinem Wirth als Schlossergesell gearbeitet. „Auf der Wanderschaft, Sperber?“ entgegnete er und zu seiner Cousine sich wendend, erklärte er ihr seine Bekanntschaft mit dem Gesellen, während er seinen Geldbeutel hervorzog, um ihm gleichfalls eine Gabe zu verabreichen.

„Ich suche hier Arbeit, Herr Lieutenant, habe aber noch keinen Meister und muß mir schon unterdessen ein Stück Brod auf Gotteslohn erbitten,“ sagte Sperber. „Sind Sie auch außer Brod, gerade jetzt, wo der Betteltanz erst recht losgehen wird?“

„Nein, braver Kerl, ich habe nur einstweilen die Uniform zu Hause gelassen, stehe noch immer beim Regiment Erbprinz und habe nur vor’m Ausmarsch zu unserm Corps im Felde Urlaub genommen.“

Er sah sich um, durch eine Bewegung seiner Cousine aufmerksam gemacht, und blickte gerade in das lächelnde Gesicht mit den scharfen, schwarzen Augen, das ihm stets Widerwillen eingeflößt hatte. Der Elsasser, der, auf das Recht einer frühern Bekanntschaft mit dem Hausherrn fußend, jetzt fast ein täglicher Gast hier war, hatte sich mit seinem unhörbaren Katerschritt der Gruppe an der obersten Treppenstufe genaht und mußte Hermann’s Erklärung gehört haben. Die Warnung des Onkels, sich gegen fremde Leute nicht zu demaskiren, war also eitel gewesen; Hermann hätte sie vielleicht auch ohnedem nicht befolgt, da er viel zu offen und thatkräftig war, zu verleugnen, was er sich zur Ehre rechnete. Die bürgerliche Kleidung hatte er für seinen Besuch in Frankfurt und auf den ausdrücklichen Wunsch des Generals von Cochenhausen angelegt, der ihm Urlaub gegeben hatte.

Der Elsasser zog den Hut von dem wohlfrisirten und gepuderten Haar, und grüßte Hermann freundlich lächelnd mit einer kurzen, energischen Kopfneigung, daß ihm der altmodige Haarbeutel, den er noch trug, vom Nacken aufbäumte, und schoß dem Handwerksburschen, der die Treppe hinabging, einen scharfen Blick nach. Dann fragte er das junge Mädchen süß und verbindlich, ob er wohl den Herrn Papa noch zu Hause finde, und ging, als ihm das bejaht wurde, mit einer neuen graciösen Hutschwenkung gegen die beiden jungen Leute den Corridor entlang. Auf dem ersten Absatz der Treppe hatte sich der Schlossergesell nochmals umgedreht. „Herr Lieutenant!“ rief er mit unterdrückter Stimme herauf, indem er mit dem Daumen ein Zeichen machte, das auf den abgehenden Elsasser zu deuten schien.

Hermann eilte sogleich zu dem Burschen hinunter.

„Mit dem nehmen Sie sich in Acht,“ raunte ihm Sperber zu, „den hab’ ich kürzlich vor Mainz beim Custinus gesehen.“

„Custinus? Was meinen Sie?“

„Nun, Sie werden doch wissen, wer der Custinus ist, der französische General?“

„Custine!“ rief Hermann. „Bei dem haben Sie diesen Herrn gesehen? Wie kamen Sie dorthin?“

„Nicht aus freien Stücken, Herr Lieutenant. Die Schwolschehs hatten mich aufgegriffen auf der Landstraße, in Mainz war keine Arbeit mehr, ich wollte weiter wandern. Bei einem Haar wär’ ich gehängt worden, einen Futterstrick hatten sie schon losgewickelt, aber da kam der General dazu mit einer ganzen Schmiere von Reitern, und der da“ – er ließ wieder den Daumen nach Oben steigen – „der war auch dabei, sah aber nicht so polirt aus, wie heut’, der nahm mich vor, weil er Deutsch konnte, und fragte mich aus, wie’s in Mainz stände. Ich hab’ ihm aber die Hucke vollgelogen. Der General ließ mich dann laufen.“

Hermann wechselte mit seiner Cousine, welche ebenfalls ein paar Stufen herabgekommen war, einen Blick. Dann fragte er: „Und woher wissen Sie den Namen des Generals?“

„Den hat er mir selber sagen lassen, der spitznasige Herr da mußte mir sein Kauderwälsch in ehrliches Deutsch verdolmetschen. Nehmen Sie sich in Acht mit ihm, der verkauft Sie. Nun Adjes! Viel Dank!“

„Was sagst Du dazu, Dorothee?“ fragte Hermann, als er mit seiner Cousine in entgegengesetzter Richtung, als der Elsasser, den langen Gang verfolgte.

Dorothea hob die schönen braunen Augen zu ihm auf und zögerte mit der Antwort. „Es kann ein Mißverständniß sein,“ erwiderte sie. „Der Mensch kann sich geirrt haben, und wenn das nicht, so hat es für uns wohl nichts zu bedeuten. Herr Stamm ist bekannt mit Papa, was sollte er für gefährliche Absichten haben?“

„Liebe Dorothee, das ist Deine ehrliche Meinung nicht, sagte Hermann, „willst Du Dich gegen mich verstellen?“ Er reichte ihr die Hand, in welche sie die ihrige legte; Beide gingen eine Weile stumm neben einander her. Ein schönes Paar, das auch eine gewisse Familienähnlichkeit zeigte, obschon Hermann hoch und männlich gewachsen, Dorothea aber zart und sehr viel kleiner war. Sein Haar, glatt zurückgekämmt und am Nacken straff zusammengebunden unter einer breiten schwarzen Schleife, die den weitern Verbleib des untergeknöpften Soldatenzopfes verbarg, zeigte unter dem leichten Puder ein schönes Blond; das ihrige, in vielen kleinen Locken um den Kopf aufgebauscht und von einem himmelblauen Bande gehalten, schimmerte in lichtem Braun; seine Augen waren blau und strahlten in diesem Moment von inniger Liebe, Dorothea’s Augen hätte man der Farbe nach mit denen des Rehs vergleichen können, wenn sie nicht gar so lebhaft und leuchtend gewesen wären. Ein Schöngeist von der Zeil, der sich Goethe’scher Beachtung rühmte, hatte vor Kurzem den geistreichen Ausspruch gethan: „Wenn Dorothea Hartinger zu einem Frauenkaffee gebeten sei, ersparten ihre Augen der Wirthin ein halbes Pfund Lichte.“ Größe, Haar und Augen ausgenommen, hatte Dorothea mit ihrem Vetter, obwohl die Verwandtschaft eine ziemlich entfernte war, eine überraschende Aehnlichkeit, dieselbe hohe Stirn über den fein und regelmäßig gezeichneten Augenbrauen, dasselbe griechische Profil, den gleichen Schnitt des Mundes und Kinnes. Wer sie zum ersten Mal sah, konnte sie wohl für Geschwister halten. „Meine Dorothea,“ brach Hermann kurz vor der Thür der Mutter das Schweigen, „ich gehe nun hinweg und wer weiß, wann wir uns wiedersehen …“

„Gott wird Dich schützen!“ antwortete sie muthig.

„Wirst Du auch zuweilen an mich denken?“ Ein rascher Blick voll sanften Vorwurfs war ihre Antwort. „Wirst Du mich immer lieb haben?“ fuhr er fort, indem er den Arm um sie schlang und sie an seine Brust zog. „Wirst Du mir treu bleiben, es mag geschehen, was da wolle?“

Sie machte sich los und sagte: „Ich bleibe Deine treue Cousine.“

Ein fester Schritt nahte sich. Es war die alte Dienerin des Hauses, welche schon bei Dorothea’s Großmutter gedient hatte und ihres Vaters Amme gewesen war. Noch jetzt, nahe den Achtzigern, trat sie so fest auf, daß es sich kaum mit ihrem Stande vertrug. Der Vater hatte sie aber sehr verwöhnt.

„Nun, junger Herr, noch nicht im Sattel?“ rief sie. „Die Mama wird sich wundern, Mamsell Dorchen!“ Es war eine der vielen Wunderlichkeiten der alten Frau, daß sie schon, so lange das junge Paar denken konnte, schon als Beide noch Kinder waren, ihre natürliche Zuneigung nicht gern gesehen, sondern möglichst gestört und verhetzt hatte.

„Ich muß mich noch der Frau Tante empfehlen, Amalie,“ sagte Hermann. „Mein Pferd steht gesattelt.“

„Machen Sie, daß Sie fortkommen! Sonst werden Sie noch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_322.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)