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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

in welchem alle die geistlichen und weltlichen Fürsten, die Prälaten, Aebte und Aebtissinnen, die Grafen und Herren und die Reichsritterschaft der beiden rheinischen Kreise sich ihrer Selbstständigkeit und ihrer Rechte begäben? Und unter welcher Firma soll denn dies neue Ganze gebucht werden, im deutschen Reichscomptoir?“

„Lieber Herr Hartinger,“ erwiderte Stamm fein lächelnd wie zuvor, „die praktische Ausführung können Sie getrost der französischen Nation überlassen, diese wird schon eine passende Firma für das neue Großhaus finden. Sie haben übrigens unter den Sociis desselben einen vergessen, ich meine die Reichsstädte.“ Sein lauernder Blick ruhte bei diesem ausgestreckten Fühlhorn prüfend auf dem Frankfurter Rathsherrn, mochte aber keine günstige Entdeckung gemacht haben, denn das Fühlhorn wurde wie vor einem harten Gegenstande gleich wieder eingezogen. „Die Städte nämlich,“ fuhr der Elsasser schnell fort, „würden in der neuen Ordnung der Dinge natürlich die erste Stelle haben, da sie schon die Freiheit besitzen, welche den Fürstengebieten erst gebracht werden soll. Sie würden ungehemmt durch diese kleinen Herren einen nie geahnten Aufschwung nehmen, und wenn alle jene Despoten sammt den Reichsgrafen und der Reichsritterschaft von ihren Rechten sprächen, die Menschenrechte sind älter; Frankreich, das sie zuerst wieder proclamirt hat, wird sie in ganz Europa durchzusetzen wissen und besonders seinen deutschen Nachbarn, die sich in einen Bund, oder noch besser, zu einer freien Republik geeinigt, ihm anschlössen, ein mächtiger Protector sein. Ich gebe zu,“ sprach er nach einer kleinen Pause, welche dem deutschen Reichsstädter Zeit lassen sollte, das Wort ‚Protector‘ zu verdauen, feurig weiter, „ich gebe zu, daß sich dem erhabenen Werke der Einigung Hindernisse entgegen setzen werden, selbst im Schooße freier Gemeinwesen, wie hier bei Ihnen. Wir wissen sehr gut, daß der Rath von Frankfurt, wie loyal er auch gegen seine Mitbürger verfährt, doch den großen Ideen, welche Sie, mein edler, väterlicher Freund, so schön verstanden haben, nicht recht zugänglich ist, aber wir kennen auch diejenigen Männer, auf denen alle Hoffnungen der Zukunft ruhen, und daß diese in der neuen Ordnung der Dinge zur Leitung derselben in die höchsten Stellen berufen werden, davon können Sie überzeugt sein!“ Eine tiefe, fast ehrfurchtsvolle Verbeugung, welche er dem Senator machte, ließ keinen Zweifel über den Sinn seiner Worte zu.

Hartinger zog unwillkürlich seine Westenschöße und Manschetten zurecht. „In unserm Rathe,“ sprach er, die Verbeugung mit einem Lächeln geschmeichelten Selbstbewußtseins erwidernd, „herrschen allerdings noch viele veraltete Ansichten, doch ist er vom redlichsten Willen beseelt. Demokratisch im edlen Sinne ist unsere Verfassung, und ich wünschte der ganzen Gotteswelt eine Freiheit, wie die unserige, gemildert und gesichert durch weise Gesetze. Wir bedürfen nur der Handhabung derselben im Geiste der neuen Zeit und ihrer Principien.“

„Und was geschehen kann,“ erwiderte Stamm rasch, „diesen Principien hier und über die Ringmauern dieser Stadt hinaus im deutschen Volke Eingang zu verschaffen, das thut Johann Jakob Hartinger, der nicht umsonst die Vornamen des großen Apostels Rousseau führt. Alle hohen Seelen in Deutschland begreifen jene Ideen, und das Beispiel, das ein Mann von solcher Berühmtheit, wie Georg Forster in Mainz, giebt, wird Tausende dafür gewinnen! Auf Wiedersehen denn binnen Kurzem!“

„Auf Wiedersehen!“ sagte Hartinger, indem er seinem Gaste die gebotene Hand schüttelte. „Nur noch eine Frage: meine Frau ahnt also gar nicht …?“

„Das kann ich nicht behaupten,“ entgegnete Stamm, „Frauen sehen scharf, am schärfsten Mütter. Aber entdeckt habe ich mich noch nicht.“

„Ihr Besuch hatte also den Schein einer bloßen Artigkeit. Denn über Politik werden Sie nicht mit einer Frau gesprochen haben. War Doris zugegen?“

„Leider nein,“ erwiderte der Elsasser, und nach einem kurzen Stocken, als kämpfe er mit sich selbst, sprach er mit einem besorgten Blick auf den Rathsherrn: „Ich halte es für meine Pflicht, Ihnen eine Bemerkung mitzutheilen, welche ich gemacht habe. Auf dem Corridor an der Treppe, als ich von Ihrer Frau Liebsten zu Ihnen mich begab, fand ich Mademoiselle Doris nebst ihrem Herrn Cousin im Gespräch mit einem Menschen, den ich zu kennen glaube – wenn mich mein Gedächtniß nicht täuscht, so treibt er das ehrlose Handwerk eines Spions im Solde der wider uns verschworenen Despoten.“

„Was sollte ein Spion in meinem Hause suchen?“ fragte Hartinger sichtlich beunruhigt.

Stamm sah ihn scharf an. „Seien wir ganz aufrichtig gegen einander,“ sagte er ernst. „An Ihrer guten Gesinnung kann ich nicht zweifeln, Sie sind den Ideen, welche die Bewegung in Frankreich zur Klarheit gebracht hat, völlig ergeben, um so mehr beklage ich es, daß Ihnen in Ihrer Familie deshalb Verlegenheiten bereitet werden.“

„Wie meinen Sie das?“ fragte Hartinger mit steigender Unbehaglichkeit.

„Es sollte mir wahrhaft leid thun, wenn die allgemeinen Beschwerden, welche auch gegen die Stadt Frankfurt nicht ganz ohne Grund im Nationalconvent zu Paris erhoben worden sind, sich speciell gegen einige Bürger richten sollten, ja gegen Männer von tadelloser Gesinnung. Sie wissen, daß auch Frankfurt beschuldigt wird, den Emigranten Vorschub geleistet zu haben, den Preußen und Oesterreichern alle möglichen Vortheile zukommen zu lassen – nun, verehrtester Herr, ich will mich ohne Umschweife aussprechen. Ihr Cousin ist hessischer Officier und jetzt in Verkleidung bei Ihnen. Ziehen Sie sich die Consequenzen dieser Thatsachen selbst, wenn das verlautet.“

(Fortsetzung folgt.)




Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Von Guido Hammer.
Nr. 21. Ein Abendbild aus dem Friedewalde.[1]


Ein linder Spätfrühlingstag neigt seinem Ende zu. Schon glänzt der Aether golden über dem duftverschleierten Forst und dem vor uns liegenden schilfgesäumten Weiher, dessen Blänke Wald und Himmel in milder Schönheit zurückstrahlt. Scheinbar in bodenloser Tiefe ziehen die Wolken des Spiegelgebildes dahin, und wie der erdgefesselte Mensch so oft, läßt er die Blicke nach der unendlichen Höhe schweifen, von einem geheimnißvollen Trachten erfüllt wird, emporsteigen und auf luftigen Schwingen ungekannten Zielen zusteuern zu mögen, so ergreift es auch zuweilen den in das verlockende, schmeichelnde Naß Schauenden mit zauberischem, fast dämonischem Drange hinabzutauchen in die stille Fluth, tief, tief unten sein unnennbares Sehnen zu stillen. Doch solche Stimmungen werden bald durch andere Bilder verdrängt, die sich dem offenen Auge entrollen, und frohgemuth giebt sich dann das Menschenherz um so lieber den neuen, immer wechselnden Eindrücken der herrlichen Gottesnatur hin.

Da tönt aus frischgrünem Walde des Kukuks lustige Weise, die, wie von einem fernen Echo, durch das „Hup, hup!“ seines Herolds, des Wiedehopfes, erwidert wird, während die so entzückend melodische Strophe des Pirols den Chor der kleinen Vogelwelt, der mit hundertfältiger Zunge dazwischen jubelt, weithin überschallt. Ueber den Spiegel des Wassers aber schießen die leichtbeschwingten hellleuchtenden Möven dahin, deren Bahnen wiederum der ernste Reiher in weiten Spiralkreisen überzieht, bis er aus lichter Höhe herniederschwebt, auf seiner Warte, dem dürren Wipfel einer uralten Föhre, die ihre Nachkommenschaft hoch überragt, Posto zu fassen und Auslug zu halten. Und nun! Aus dunklem Waldesrande, der das stille Gewässer dicht umgrenzt, tritt elastischen Schrittes, den gestählten Lauf tief in’s Beer- und Haidekraut versenkend, ein Stück Hochwild mit seinem Kälbchen heraus, welchen Beiden ein Spießhirsch, jedenfalls ein Familiensprosse vom vorigen Jahre, trollend nachfolgt. Nach Erfrischung lechzend, sucht dieser nun sofort das kühlende Element, darin sich zu netzen und die saftigen aufschwimmenden Blätter der graciösen Stachelnußpflanze zu naschen. In weiten Kreiswellen, den Abglanz des Abendhimmels durchfurchend, bewegt sich das klare Naß vom Tritte

  1. Friedewald heißen – einschließlich eines umfangreichen Wildparkes – die Forsten, welche das k. sächs. Jagdschloß Moritzburg ringsum umgeben.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_324.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)