Seite:Die Gartenlaube (1866) 329.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

war ein schönes Zelt aufgeschlagen, dessen im Abendwinde flatterndes Banner anzeigte, daß dort das Hauptquartier zu finden sei. Das alte Blockhaus aber war zum größten Theil angefüllt mit Ammunition und Proviant, und Oberst Fanning, unser braver Führer, hatte dasselbe dem Schutze eines verdoppelten Wachtpostens anvertraut.

Als wir so dalagen unter den hohen Bäumen, deren volle Kronen, von dem Abendnebel eingehüllt, sich wie düstre Wolkenmassen abrundeten und unser Blick über die verschiedenen Feuer hinstreifte, welche unsere Jungen zur Zubereitung des Abendessens angezündet hatten, während im nahen Dickicht die zarten Stimmen der kleinen, buntgefiederten Sänger ihr einfach Nachtlied anstimmten, da bot die ganze Lagerscene, wie gesagt, ein schönes und ausdrucksvolles Bild, und unauslöschlich wird mir die Erinnerung an jenen Augustabend sein.

Ich war an Rang der jüngste Officier im ganzen Regimente und hatte meine Stelle nur vor wenigen Wochen durch die Gunst und den Einfluß des Oberst Fanning erhalten. Sämmtliche Officiere waren an jenem Abende von unserem commandirenden Officier und dessen Frau, die wenige Tage vor unserem Marsche zu ihrem Gatten gekommen war, zum Abendessen eingeladen. Eine frische Brise regte sich nach Sonnenuntergang in dem Laub der Bäume, wir machten unsere Toilette so gut, wie die Umstände es erlaubten, und näherten uns zu Zweien oder Dreien dem Zelte des Obersten. Wenige Schritte hinter den Reihen der übrigen Zelte standen etwa ein halbes Dutzend herrlicher Eichen, die einen schönen, prächtigen Tempel bildeten, welcher des darin präsidirenden Genius, Grace Fanning, wohl werth war.

Es ist nicht meine Absicht, eine Rhapsodie auf diese Dame zu schreiben, aber schön war sie, bescheiden und jung, und die feinen Wangen der holden Frau schmückte noch der Schimmer jungfräulicher Frische. Ich hatte sie von ihrer Kindheit her gekannt; nahezu in demselben Alter und Nachbarskinder, hatten wir fast wie die Inseparables gelebt. Als ich die medicinische Hochschule bezog, da trennten wir uns unter bitteren Thränen, und nur die Hoffnung des Wiedersehens tröstete uns. Nach Verlauf eines Jahres besuchte ich in den Ferien das väterliche Haus; ich sah Grace wieder, aber sie war schlank und groß geworden, und ein Schimmer erblühender Jungfräulichkeit überstrahlte ihr ganzes Wesen. Ich hegte für sie eine jugendlich-heiße Leidenschaft, aber in einer schönen Juninacht war ich von ihr geschieden, zurückgewiesen und – wie ich damals glaubte – rettungslos einer wilden Verzweiflung anheimgefallen.

Die Alles lindernde Zeit heilte auch meinen Schmerz. Grace und ich waren wieder gute Freunde geworden und waren es auch geblieben. Sie besaß mein ganzes Vertrauen, ich beichtete ihr die verschiedenen Neigungen, welche auf der Hochschule mein liebebedürftiges Herz erfüllt hatten, mit ängstlicher Aufrichtigkeit, und sie lauschte meinen gewissenhaften Bekenntnissen mit zarter, wohlwollender Theilnahme. Ich hatte keine Schwester, ich hatte nie eine gehabt, aber Grace Jones war mir so lieb, wie eine Schwester, sie füllte ganz die Stelle derselben aus. Zwei Jahre war ich von meinem Heimathsstädtchen entfernt gewesen und hatte mich während dieser Zeit mit Eifer dem Studium der Medicin gewidmet; dann und wann versicherten mich die Briefe meiner Mutter „eines freundlichen Andenkens“ oder „einer achtungsvollen Freundschaft“ von Seiten Grace’s. Grace selbst aber nahm, wo sich die Gelegenheit dazu bot, gegen mich stets den rathgebenden Ton einer älteren Schwester an. Dies Benehmen gewährte mir, der ich meine einundzwanzig Jahre zählte, also volljährig war und dabei einen leidlich starken Schnurrbart aufweisen konnte, ein eigenes, fast seltsames Vergnügen, und ich beschloß, ihr bei der nächsten Zusammenkunft, die ich mit ihr haben würde, mit voller Würde gegenüberzutreten und sie meines männlichen Schutzes und Beistandes zu versichern. Allein der Ruf, welcher mich wider Erwarten früh meine Heimath wiedersehen ließ, war zu ernst, als daß er jugendlichen Zierereien und Liebeleien Raum gelassen hätte. Das Vaterland rief mich in seiner Noth, ich ward ein Mann und legte alles kindische Wesen bei Seite. Ich kam nach Hause, um Abschied zu, nehmen. Ich schloß mich einem Regiment, welches in meiner Vaterstadt gebildet wurde, an, und wenige Tage, bevor wir als Kämpfer für des Vaterlandes Recht und Freiheit die Heimath verließen, stand ich in der kleinen, moosbedeckten Stadtkirche und sah und hörte, wie Grace Jones dem Obersten Harry Fanning vor dem Altare ewige Treue gelobte. Ich kannte bis dahin Fanning nicht. Er war, während ich auf der Hochschule war, nach Danville gekommen, hatte sich in kurzer Zeit die allgemeine Achtung erworben und von Grace das kostbarste aller Geschenke, das liebende Herz einer Frau, erhalten.

Ich hatte nur Zeit, ihr ein kurzes Lebewohl zu sagen; über unser altes Verhältniß vermochte ich nicht mit ihr zu reden. Ich glaube aber, daß sie zu dem Obersten, ihrem Gemahle, von mir sprach; denn derselbe suchte mich bald auf, behandelte mich mit liebevoller Freundschaft und verschaffte mir, wie gesagt, die einzige noch übrige Officiersstelle im Regimente.

Seit Grace auf den Wunsch ihres Gemahls zu unserem Regimente gekommen war, hatte ich sie nur einmal vor unserem Marsche zum Entsatze von Nashville gesehen; auf dem Marsche selbst sah ich sie öfter, doch stets nur sehr flüchtig; als ich aber nun, ihrer und des Obersten Einladung folgend, in das Zelt trat, begrüßte sie mich mit warmer Herzlichkeit. Ich war etwas spät gekommen, weil unvorhergesehene Geschäfte mich zurückgehalten hatten. Ueber dem Stuhle, auf welchem Grace saß, war die Landesfahne in geschmackvoller Weise aufgehangen; ihr Mann, der Oberst, stand neben ihr, und aus seinen Augen strahlte sichtbarlich die tiefste Liebe für seine Frau, verbunden mit der herzlichsten Freundschaft für uns, seine Cameraden. Mir ward, meiner „Juniorität“, wie Frau Fanning sagte, zu Ehren, ein Platz in ihrer Nähe angewiesen; die Uebrigen hatten zwischen Feldstühlen und wollenen Decken, die auf dem Rasen ausgebreitet lagen, zu wählen. Ein äußerst häßlicher, sonst aber sehr respectabler Neger oder „Contraband“, wie der Kunstausdruck war, servirte uns das Abendbrod, welches uns so an die Heimath erinnerte, daß wir Alle den Verdacht hegten und laut aussprachen, daß die schönen Hände der „Frau Obristin“ dasselbe zubereitet hätten.

Es war ein wunderbar schöner Abend. Mit munterem, herzlichem Lachen, das silbern von ihren schönen Lippen erklang, belohnte Grace Fanning unsere Lager- und Soldatengeschichten, oder wir schenkten ihr ein eifriges Gehör, wenn sie uns von daheim erzählte und der hübschen Mädchen gedachte, die seit dem Tage, an welchem wir in’s Feld gezogen waren, so weit es ihre sonstigen Beschäftigungen erlaubten, sich patriotischen Arbeiten hingaben. Zuweilen nannte sie – bald in einer scherzhaften, bald in einer ernsten Weise – Namen, wie „Fanny“, „Carry“ oder „Maggie“, und eine glühende Röthe färbte manches von der Sonne gebräunte Gesicht oder es füllten, für einen kurzen Augenblick, selbst die muthigsten Augen sich mit stillen Thränen.

Plötzlich begann – uns Allen eine höchst angenehme Ueberraschung bereitend – die Musikbande unseres Regiments schöne, wohlbekannte Weisen zu spielen. Bei den Klängen unserer Nationallieder erhob sich Alles und im prächtigen Chorgesang ertönte das uns Allen bekannte und in unserer damaligen Lage doppelt theure „Sweet Home“. Als der Gesang dieses Liedes geendet war, erhob sich Grace von ihrem Stuhle und sang mit der schönsten und reinsten Sopranstimme eine alte Ballade, die von Liebe, Scheiden und Wiedersehen sprach.

Wir hatten auch einen Dichter in unserem Regimente. Zwar dem Alter nach der jüngste von allen Officieren, stand Charlie Marsh an Muth und Tapferkeit doch Keinem im ganzen Regimente nach. Dazu kam, daß ihm der Gott der Dichtkunst hold war und wir manche kleine Lieder, die er gedichtet, in fröhlichem Kreise sangen. Und so kam es, daß wir auch an jenem Abende eins seiner Lieblingslieder, welches von der Heimath und des Vaterlandes Noth, von Kampf, Tod und Sieg handelte, anstimmten. Wir sangen es, während der langsam aufsteigende Mond sein zitterndes Silberlicht durch die dichtbelaubten Riesenzweige uralter Eichen zu uns herniedersandte. Der jedesmalige Schlußchor seines wirklich herzbewegenden Liedes war:

„Des Landes Feind sei vor uns,
Des Landes Banner über uns,
Das Vaterland bewein’ uns –
     Dies ist Soldatenwunsch.“

Als wir das Lied zu Ende gesungen hatten, wiederholte Grace noch einmal den Schlußchor und sang mit sanfter, glockenreiner Stimme also:

„Des Landes Fahne über euch,
Des Landes Herzen lieben euch,
Das Vaterland, es ruft euch
     Zu ernstem, heil’gem Kampf.“

Der süße Wohllaut von Grace’s Stimme und die treffende

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 329. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_329.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)