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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Bist auch wieder da, Sperber? Möchtest auf sie stoßen, Du Raubvogel?“

„Mit Verlaub, Meister, wenn sich der hochedle Rath auf nix einließ –“

„Stille! Da kommt ein Wagen mit Herren vom Rath!“ Das Volk grüßte sie und schrie ihnen Allerlei zu, was sie nicht verstanden. Sie dankten ernst und fuhren durch das Thor, die Brücke wurde herabgelassen. „Wenn der dabei ist,“ brummte der Schlossermeister, so werden wir wohl bald Einquartierung haben.“

Es galt seinem Nachbar aus der Allerheiligengasse, dem Senator Hartinger, den er mit auf dem Wagen der Rathsdeputation gesehen hatte. Die Gesinnung des Mannes, der ein reicher Kaufmann und Bürger von Frankfurt, Besitzer eines Hauses auf der Zeil und zweier anderer und Mitglied des Raths war, schien also in der Stadt kein Geheimniß zu sein.

Draußen empfing General Neuwinger an der Spitze seiner Truppen die Deputation des Magistrats. Er hatte hineinmelden lassen, daß er ein Schreiben vom General en Chef an den Rath der Stadt Frankfurt zu übergeben habe. Die Deputation war nun abgeschickt, dasselbe in Empfang zu nehmen. Er aber erklärte, daß seine Ordre dahin laute, das Schreiben des Generals Custine persönlich auf dem Rathhause in die Hände des ersten Bürgermeisters zu überreichen. Unschlüssig blickten die Rathsherren einander an.

„En avant – marche!“ commandirte Neuwinger mit lauter Stimme. Das Linienbataillon an der Spitze seiner Colonne trat an, die Tambours schlugen. Rasch bestiegen die Deputirten wieder ihren Wagen, noch war so viel Zeit für den Kutscher, umzulenken, um in schnellem Lauf die Brücke zu gewinnen, welche unter einem Beifallsgeschrei vom Walle hinter dem Wagen wieder aufgezogen wurde.

Der französische General rückte mit seinen Truppen an und sah mit Zorn, daß ihm die Brücke vor der Nase aufgezogen war. „Halt!“ dröhnte wiederum sein Commando, von den Regiments- und Bataillonscommandanten wiederholt, die Tambours schwiegen. „Kanonen vor!“

Jedes Bataillon führte damals noch zwei kleine Feldstücke bei sich, die mit Kartätschenfeuer sein Gefecht vorbereiten sollten, von nennenswerther Wirkung weiß die Kriegsgeschichte nichts zu berichten. Es rasselten einige solche Kanönchen vor, von ihren blauröckigen Artilleristen im Lauf gefolgt. Als sie die Spitze der Masse, die in ihren weißen Uniformen noch ganz bourbonisch aussah, erreicht hatten, fuhren sie auf, protzten ab und wurden geladen. Ein neues Geschrei von dem Walle, diesmal aber nicht des Beifalls, sondern der Wuth, begrüßte das Manöver.

„Collegen, hört Ihr das? Wollt Ihr den Tiger der Volkswuth entfesseln, Mord und Plünderung in unsere Mauern ziehen?“ sprach eine Stimme auf dem Wagen der Deputation, welcher innerhalb des Thores Halt gemacht, um über das weitere Benehmen der Franzosen Bericht abstatten zu können. „Ich sage mich von aller Verantwortlichkeit los. Laßt mich aussteigen!“

Der Schlossermeister aus der Allerheiligengasse hatte schon Recht. Johann Jakob Hartinger hatte aber auch Recht: Mord und Plünderung, wenn auch nicht heute, so doch nach kurzer Frist, wären jedem Versuche zum Widerstande, wenn dieser scheiterte, unfehlbar gefolgt.

Die Brücke rasselte denn nieder, die Thorpforten standen weit geöffnet: mit klingendem Spiel hielten die Franzosen ihren Einzug in die freie deutsche Reichsstadt Frankfurt. Wohl legte der Rath feierlichen Protest ein unter Berufung auf die Neutralität des deutschen Reichs; was aber Proteste helfen, davon haben unsere Zeitgenossen in den Tagen der Gegenwart vielfach Gelegenheit gehabt, sich zu überzeugen. General Neuwinger zuckte die Achseln zu dem Protest des Frankfurter Magistrats. Auf dem Roßmarkt marschirten seine Truppen auf, während auch das Bockenheimer Thor für Houchard’s Colonne geöffnet wurde. Er selbst begab sich mit starker Escorte von Chasseurs à Cheval nach dem Römer, um dem versammelten Rath Custine’s Schreiben auszuhändigen. Auf den Stellplätzen wurden, bis das Einquartieren angeordnet war, die Gewehre in Pyramiden gesetzt, die Mannschaft durfte austreten; stark waren die Bande der Disciplin auch in der Linie längst nicht mehr, in der Nationalgarde noch gar nicht vorhanden: bald ertönte aus den nächsten Wirthshäusern das donnernde „ça ira“. Die Marseillaise war damals noch nicht gedichtet. Vor dem Römer duldete die französische Escorte des Generals keinen Zusammenlauf der Einwohner; diese, wie gespannt sie auch waren, die Botschaft Custine’s an den Rath zu vernehmen, mußten sich doch gedulden. „Es ist ein Durchmarsch nach dem Hanauischen!“ damit beruhigten sich die meisten Bürger.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Mittag auf dem Marcusthurm in Venedig.


Ob die grüne Wellenflur, in welcher die Lagunenkönigin an der Adria sich spiegelt, in dem Kriegsunwetter, das südlich von den Alpen – wie zu gleicher Zeit nördlich vom Riesengebirge – gegen den alten Doppelaar Oesterreichs sich zusammenzieht, abermals ein zu Land und Meer eingesperrtes Wasser wird, über welches verderbenschleudernde Geschosse ihre Feuerbogen nach den weißen Domen und grauen Thürmen und Dächern der anderthalbtausendjährigen Inselfeste hinziehen? Es wäre tief zu beklagen! Die königliche Matrone mit dem ewig-grünen Lorbeer ihrer großen Vergangenheit auf dem sinkenden Haupt – sie sollte nur noch eine von Freund und Feind in Ehrfurcht begrüßte Hüterin der Denkmale ihres Ruhmes sein. Es ist ja die Kunst, die bauende und bildende, die mit den Augen ewiger Schönheit die Menschen aller Zungen bezaubernde, welche den Marmorkranz der „Bella Venezia“ flocht und mit der Farben- und Formenpracht ausschmückte, die noch durch den Flor ihrer Trauer den Fremdling berückt. Und eine solche Stadt sollte noch einmal der rohen Lust der Zerstörungskünste des Kriegs preisgegeben werden? Den Kugeln der gezogenen Kanonen will man die Bilder eines Titian und Tintoretto, Paul Veronese und Giorgione, will man die Bauwerke eines Rignola und Sansovino, Palladio, Scamozzi und Antonio del Ponte als Ziele hinstellen? Unter dem Erdbeben der Geschütze sollen die Hallen der Marcuskirche zusammenbrechen und die unschätzbaren Kunstkleinodien der Paläste unter ihren Trümmern begraben werden? Wahrlich, den Herren und Meistern des Kriegs der Gegenwart sollte schon der Gedanke, die von der Geschichte geweihten Reste edelster Geistesblüthenpracht unwiederbringlich ihrem Herrscherstolz zu opfern, vor der ganzen gebildeten Menschheit die Wangen röthen.

Am 16. Mai 1797 betrat der erste feindliche Fuß den Marmor des Marcusplatzes: dreitausend Franzosen des Republikaner-Generals Bonaparte besetzten die Dogenstadt, um sie im folgenden Jahr an Oesterreich auszuliefern. In Kunstraub und Zerstörung leisteten die Franzosen selbst während ihrer damaligen kurzen Herrschaft über Venedig nicht Geringes, in’s Große ging Beides aber erst, als der Kaiser Napoleon als König von Italien auch Herr der Lagunenstadt geworden war. Nicht weniger als einunddreißig Kirchen wurden in Kasernen, Arsenale, Militärküchen, Tabaks- und andere Waaren-Niederlagen verwandelt, zwölf Kirchen, und unter diesen eine der schönsten Venedigs, die der S. Maria ai Servi, niedergerissen und die Steine zu fortificatorischen Bauten verwendet. Die vier Rosse der Marcuskirche, der Löwe von St. Marcus (das Palladium der Stadt) und unzählige andere Kunstwerke der öffentlichen Sammlungen kamen nach Paris und wurden erst, allerdings nichts weniger als vollzählig, von den Oesterreichern zurückgebracht.

Oesterreich that offenbar das Gegentheil von dem, was Venedig Schlimmes von den Franzosen erfahren, aber für Alles erntete es nur den Haß, welchen weiland die deutschen Kaiser von Mailand bis Rom gesäet hatten. Die österreichische Regierung machte es zu ihrer Aufgabe, an geraubten Kunstschätzen zurückzubringen und an Bauwerken zu erhalten und wiederherzustellen, so viel eben möglich war; ebenso eifrig sorgte sie für das materielle Wohl der Bewohner, indem sie Venedig zum Freihafen erklärte, den verschlammten Hafen reinigen ließ und nicht nur die Riesen-Pfahlbauten der Stadt und ihrer Vorstadtinseln gegen das drohende Hereinbrechen der Seewogen durch die Erneuung der Murazzi (Steinwall zwischen den Lagunen und dem adriatischen Meer) schützte

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