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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Zwei fürstliche Geheimnisse neuerer Zeit.

I.


Der Gartenlaube sind im vorigen Jahre Mittheilungen über einen „geheimnißvollen Glaubensfürsten“ zugekommen, die sie im Artikel „der heilige Herr“ (1865, Nr. 33 und 34) abdruckte. In demselben wird uns das von ungeheurer, geradezu verschwenderischer Pracht umgebene, in seinem Kern dem Blick der Oeffentlichkeit stets fast ängstlich entzogene Leben eines angeblich jüdisch-christlichen Sectenhauptes geschildert, das, von zahlreichen Glaubensanhängern als gleichsam verkörperter Gott Israels mit sclavischer Unterwürfigkeit verehrt, bewacht und bedient und von den Anhängern der Secte mit Millionen freiwilliger Opfergaben ausgestattet, seine hohepriesterliche Hofhaltung neben der des Fürsten von Isenburg zu Offenbach und mit dessen auf ein Eingeweihtsein in das Geheimniß hindeutenden Genehmigung Jahre lang fortführt, bis es stirbt und die Seinen verschwinden, ohne daß der Schleier vor diesem Dunkel bis heute gelüftet worden wäre. Gegen diese Darstellung tritt nun ein Mann auf, der mit allerdings gewichtigen Gründen und Thatsachen die Vermuthung zu rechtfertigen sucht, daß mit diesem angeblichen Sectenhaupte und seiner Umgebung ein Geheimniß des russischen Kaiserhauses, das in seiner Geschichte manches unaufgelöste Räthsel enthält, in harmloserer Weise seine letzten Acte auf deutschem Boden ausgespielt habe. Die engen Beziehungen, in welchen die Großeltern und Eltern dieses Mannes, des Herrn A. G. Schenck-Rinck in Frankfurt am Main, zu den geheimnißvollen Fremdlingen gestanden, die Strenge, mit welcher er selbst in seiner Darstellung die Vermuthungen von den Thatsachen scheidet, und die Belege, mit welchen er alle seine Angaben ausrüstet, verpflichten uns, alles Wesentliche seiner Berichtigungen – der Abdruck des vollständigen Manuscripts würde einen zu großen Raum in Anspruch nehmen – unseren Lesern vorzulegen.

Als Vermuthung stellt Herr Schenck-Rinck das hin, was in Zusammenhang steht mit dem im russischen Volke seiner Zeit weit herrschenden Gerüchte, daß Peter der Dritte, welcher, 1728 geboren, bekanntlich sechs Monate nach seiner Thronbesteigung, im Jahre 1762, plötzlich von der Weltbühne schied, damit nicht zugleich aus dem Leben geschieden sei. Das russische Volk glaubte nicht an seinen Tod, und um so leichter fand die Fama Beifall, welche in einem Herrn von Franck, der zu Anfang der siebziger Jahre am Hoflager der Kaiserin Maria Theresia in Wien erschien und dort mit fürstlicher Pracht und Auszeichnung lebte, Peter den Dritten wieder erkennen wollte. Ihn begleiteten, außer seinen „drei Pflegekindern“ Eva, Roch und Joseph, nahe an hundert meist junge Männer als eine militärisch organisirte Leibwache. Die durch die kostbare orientalische Tracht noch gehobene bezaubernde Schönheit des Fräuleins Eva von Franck soll hier auf den jugendlichen Joseph den Zweiten einen so gewaltigen Eindruck gemacht haben, daß er um ihre Hand geworben, dadurch aber die rasche Entfernung der ganzen Familie aus Wien verschuldet habe. Sie siedelte nach Brünn über. Hier, in der kleineren Stadt, trat das Auffällige der geheimnißvollen Erscheinung, der strahlende Luxus und die fast mehr als fürstliche Verschwendung dieses Hofhalts erst recht allgemein in die Augen; der unnahbare Mittelpunkt desselben blieb Herr von Franck mit seinen Pflegekindern, aber die Zahl der Leibwachen und Dienerschaft, worunter man vielen jungen russischen und polnischen Adel erkennen wollte, wuchs immer mehr an, sodaß bald in diesen Gästen die Einwohner Brünns ihre reichlichste Erwerbsquelle verehrten und die Bedürftigen und Faulen dort allezeit glänzender Gaben der Wohlthätigkeit sicher waren. Trotz der großen Geldsendungen, welche stets unter eigener bewaffneter Bedeckung an den alten Franck ankamen, häufte sich in kurzer Zeit eine enorme Schuldenmasse an, und wenn auch immer neue Sendungen die ungeduldigsten Gläubiger beruhigten, so regte sich doch endlich eine allgemeine Besorgniß über die reißend anschwellende Schuldenlast, sodaß selbst die Gefahr gerichtlichen Einschreitens nahe rückte. Da bezahlte Franck plötzlich sämmtliche Schulden, ließ sich von der Behörde amtlich bescheinigen, daß er alle seine Gläubiger befriedigt habe (dieses Schriftstück befand sich später wirklich noch im Besitz der Familie), und verließ Brünn, dessen Bewohner zu spät und darum vergeblich von der Unerschöpflichkeit der Einnahmequelle dieses „Polakenfürsten“ überzeugt worden waren. Dies geschah zu Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts.

Der fürstlichen, von vielen russischen und polnischen Großen begleiteten Karawane ging eine Gesandtschaft voraus, die ihr einen neuen sichern Wohnsitz suchen sollte, – und mit dem feierlichen Aufzug derselben bei dem Fürsten Wolfgang Ernst dem Zweiten von Isenburg-Birstein vor dessen Residenz zu Offenbach tritt die Darstellung des Herrn Schenck-Rinck aus dem Gebiet der Vermuthungen und fremder Berichte auf das Feld des Thatsächlichen.

Der greise und humane Fürst stellte sofort dem Herrn von Franck eines seiner Schlösser in Offenbach zur Verfügung. Herr Schenck-Rinck ist der Ueberzeugung, daß der regierende Herr schwerlich aus blos finanziellen Rücksichten einem Haufen namenloser Abenteurer nicht nur einen fürstlichen Wohnsitz geöffnet, sondern sogar das Halten einer bewaffneten Leibgarde in seiner Residenz gestattet hätte; sondern er glaubt, daß nur genügende Aufklärung über den wahren Stand des „Polakenfürsten“ ihn zu solchem gastlichen Entgegenkommen bewogen habe.

Die Gesandtschaft war mit Empfehlungen an bedeutende Frankfurter Geschäftshäuser ausgerüstet, und darunter befand sich auch das des Großvaters des Herrn Schenck-Rinck, und da Franck bis zur angemessenen Herstellung des Offenbacher Wohnsitzes eine Interimswohnung suchte, so bot ihm K., der Großvater des Herrn Schenck-Rinck, dazu sein großes kaiserliches Freigut (jetzt „Frankfurter Hof“) in Oberrad, einem freundlichen Ort zwischen Frankfurt und Offenbach, an, während er selbst mit seiner Familie ein daneben liegendes, ihm ebenfalls zugehöriges Haus bezog.

Die Ankunft der geheimnißvollen Gäste wurde ein Festtag für die Neugierigen von Offenbach, Frankfurt, Sachsenhausen und der ganzen Umgegend. Tausende strömten nach Oberrad, um die Pracht zu sehen, von der das Gerücht so Unglaubliches verkündet hatte. Der Tag kam, der äußere Aufzug konnte allerdings Staunen genug erregen, von dem geharnischten Herold an bis zu der goldschimmernden Leibgarde und den vier- und zweispännigen, dichtverhängten Reise- und vielen hochgepackten Bagagewagen, – aber der lange Zug verschwand hinter dem Thor zu dem geräumigen Hof des K.’schen Freiguts und hinter dem letzten Reiter schlossen sich die Flügel. Kein Auge hatte den alten Herrn gesehen. Eine desto genauere Schilderung erhalten wir von der Scene, die sich nun innerhalb des Hofes abspann, denn ihr wohnte der Großvater des Herrn Schenck-Rinck mit seiner ganzen Familie bei, um die Gäste in seinem Hause zu empfangen und einzuführen. Herr Schenck-Rinck schreibt darüber: „Nachdem das Gefolge abgestiegen war, entleerten sich die mit Damen und Herren besetzten Wagen, Pagen eilten mit kostbaren Teppichen herbei, sie vor die vierspännigen, noch immer geschlossenen Reisewagen ausbreitend und bis zum Eingang in die Zimmer legend. Nun erst öffnete sich der erste Wagen, dem zwei Herren mit edlem Anstand entstiegen, welche dem alten Herrn, demüthig zu beiden Seiten tretend, aus dem Wagen halfen. Es war ein mittelgroßer Herr von gedrungener Gestalt, in rothem, bis zu den Knieen reichendem, mit Hermelin besetztem seidenen Leibrock und gleichverzierter hoher Pelzmütze, die mit schönen goldenen Schnüren behangen und mit weißem Reiherbusch geschmückt war, der von einer reich mit Brillanten besetzten Agraffe gehalten wurde. Auf der Brust spielte in tausend Farben ein großer Brillantstern, an goldener Kette um den Hals getragen. Das Gesicht Franck’s war häßlich und pockennarbig, aber aus ihm blitzten unter buschigen Augenbrauen zwei feurige Augen hervor. Das ganze Gesicht umrahmte ein langer, weißer Bart. Von dem Augenblick an, wo der alte Herr dem Wagen entstieg, lag das ganze Reisegefolge auf den Knieen. Auch die beiden Pflegesöhne, welche den Zug zu Pferde begleitet hatten, waren mittlerweile abgestiegen und stellten sich, in der Uniform höherer russischer Stabsofficiere und die Brust mit Orden geschmückt, ebenfalls entblößten Hauptes zu beiden Seiten des alten Herrn. Mit diesem hatte in Gesichtsform und Teint der ältere, Rochus, einige Aehnlichkeit, während der jüngere, Joseph, ein schöner Mann in der ersten Jugendblüthe,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 345. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_345.jpg&oldid=- (Version vom 26.7.2021)