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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

mehr dem Fräulein Eva ähnelte. Auf den gebieterischen Wink des alten Herrn öffnete sich der zweite Wagen, welchem erst zwei Ehrendamen, dann in wunderbarer Grazie das von einem mit Gold durchwirkten und bis zu den Füßen reichenden Schleier umhüllte Fräulein Eva entstiegen. Bis zur Erde beugte sich der alte Herr und trat der Dame einige Schritte entgegen, leicht mit fürstlicher Courtoisie deren Hand berührend, um sie nach den geöffneten Zimmern zu geleiten. Erst jetzt erhob sich das Gefolge von den Knieen. Innerhalb der Zimmer, nachdem die Thüren geschlossen waren, entschleierte sich Eva von Franck; ein himmelblaues, seidenes, faltenreiches Gewand, umgürtet von einer Brillantenschnur, umschloß die edlen Formen der hohen Gestalt; aus der rabenschwarzen Lockenfülle strahlte das schönste Farbenspiel eines mit Perlen und Brillanten reich besetzten diademartigen Aufsatzes hervor. So trat sie, obwohl über die erste Jugendblüthe hinaus, doch immer noch von wunderbarer Schönheit, die ein reichgebildeter Geist und eine anspruchslose Liebenswürdigkeit noch erhöhten, meinem Großvater entgegen, ihn mit melodischer Stimme in deutscher Sprache anredend und die beiden russischen Officiere als ihre Brüder vorstellend. Mein Großvater, gewöhnt, sich in höheren Cirkeln zu bewegen, war überrascht von so bezaubernder Anmuth und blieb bis zu seinem Tode (1792) der eifrigste Verehrer der Dame.“

Der alte Herr sprach bei dieser Vorstellung kein Wort, und auch später pflegte er sich mit Herrn K. nur durch einen Dolmetscher zu unterhalten, als welcher gewöhnlich sein Geheimsecretär fungirte; sein lebhafter Blick und seine Mienen konnten jedoch ein Verständniß des deutsch Gesprochenen ahnen lassen. Dies war auch bei späteren Besuchen des Herrn K. und seiner Familie der Fall, die jedoch nie ohne ceremoniöse Anmeldung stattfanden. Der alte Herr saß dann stets in der Mitte des mit Teppichen belegten Zimmers, auf einer nach orientalischer Sitte am Boden liegenden Ottomane, mit kreuzweis übereinander gelegten Beinen und aus türkischer Pfeife rauchend, hinter ihm zwei Pagen, an der Thür zwei Diener in reichbordirter Livree. Dabei ist bemerkenswerth, daß der alte Herr, sobald die auch von ihm stets lebhaft geführte Unterhaltung von seinem Gaste auf das politische oder religiöse Gebiet hingelenkt wurde, sofort das Zeichen der Entlassung gab.

Während Fräulein Eva die Abgeschlossenheit des alten Herrn theilte und selbst ihre wahrhaft verschwenderische Wohlthätigkeit nur durch Vermittelung von Herren und Damen ihres Gefolges, niemals in eigener Person, ausübte, verkehrten die beiden Pflegesöhne frei und offen mit Jedermann. Das Gefolge, das in Oberrad nicht Platz finden konnte und theilweise in Offenbach untergebracht wurde, wuchs durch immer neue Zuzüge endlich bis auf sechshundert, ja später bis auf tausend Personen an. Trotzdem gingen alle Einrichtungen dieser so außerordentlich anspruchsvollen Hofhaltung und alle Dienstleistungen mit größter Ordnung und möglichster Geräuschlosigkeit vor sich, und Alle, wie viel sie auch mit Arbeits- und Geschäftsleuten in Berührung kommen mußten, bewahrten ihres Herrn und ihr Geheimniß. Einer Entdeckung desselben war zudem auch dadurch vorgebeugt, daß der alte Herr sich für seine auswärtigen Verbindungen nie der Post bediente; alle abgehenden und ankommenden Briefe und Pakete wurden durch reitende Boten aus dem Gefolge besorgt, die stationsweise bis nach Polen und Rußland ihre Posten hatten; Geldsendungen in Fässern langten unter bewaffneter Bedeckung an.

Schon von Oberrad aus fuhren der alte Herr und Fräulein Eva, Jedes – und überhaupt immer – im besonderen vierspännigen Wagen, an jedem Sonn- oder katholischen Feiertage, von der berittenen Leibgarde umringt, zur katholischen Kirche, zu unsrer lieben Frauen“ nach Frankfurt. War die Chaussee staubig, so ritt dem Zuge auf einem mit Schellen behangenen Rosse ein Reiter voraus, der einen vielfach um den ganzen Oberkörper und den Bauch des Pferdes gewundenen, mit Wasser gefüllten Schlauch führte, aus welchem er durch ein seiherförmiges Gießblech den Weg besprengte. Es war dies zwar für damalige Zeit in Frankfurt und weiter Umgegend wohl etwas außerordentlich Neues, aber eine religiöse Handlung war es nicht. Dieselbe Kirchfahrt geschah später auch von Offenbach aus nach Frankfurt, und dabei wurde, mit seltener Unterbrechung, in Oberrad auf dem Gute des Großvaters unsers Herrn Gewährsmanns Halt gemacht, bis der massenhafte Andrang der Neugierigen den alten Herrn bewog, sich zur Abhaltung des Gottesdienstes nach dem isenburgischen Orte Bürgel zu wenden. Und als auch dort der Zudrang der Gaffer allzulästig wurde, baute Herr von Franck am untern Theil der Baumallee in Offenbach sich selbst die noch heute stehende katholische Capelle, die er, nachdem er auch für die Dotation eines Geistlichen freigebig gesorgt, mit allen Einrichtungen und kostbaren Kirchengefäßen der damals kleinen katholischen Gemeinde Offenbachs zum Geschenk machte; nur hatte er sich und den Seinen den Privatgebrauch derselben vorbehalten, und zwar so, daß, während Familie und Gefolge ihre Andacht verrichteten, durchaus Niemandem der Zutritt gestattet war.

Ebensowenig wie das Begießen der staubigen Chaussee dienten die Fahrten nach dem Walde irgend einer religiösen Ceremonie, sondern ganz einfach dem Genuß der freien, schönen Natur. Die Veranlassung zu diesen Waldfahrten hatte der Großvater des Herrn Schenck-Rinck selbst gegeben; sie fanden schon von Oberrad aus statt, ebenso regelmäßig dann von Offenbach, und häufig kamen die beiden befreundeten Familien auf dem ihnen lieb gewordenen Plätzchen zusammen. Es ist leicht zu erklären, warum stets alle Zugänge dahin abgesperrt wurden; es geschah nur, um sich ein Ruheplätzchen im Freien ohne Zuschauermassen zu sichern. Teppiche wurden im Grünen unter dem Waldschatten ausgebreitet und der alte Herr rauchte sein Pfeifchen, während die Unterhaltung ihren heiteren Gang nahm. Der Pfeife wegen standen Bediente mit der brennenden Lunte da, und um den Rasenplatz schön grün zu erhalten, begoß ihn, wenn die Teppiche aufgehoben und die Herrschaften aufgebrochen waren, der Reiter mit dem Schlauch mit seinem Wasservorrathe.

So einfach hier das erklärt wird, was im Artikel „Der heilige Herr“ (Gartenl. 1865, Nr. 34, S. 535) als eine unerklärliche religiöse Handlung bezeichnet ist, so entschieden spricht Herr Schenck-Rinck sich dagegen aus, in dem alten Herrn v. Franck das Haupt einer religiösen Secte jüdischer Abkunft und in den Gliedern seiner Familie wie in seinem Gefolge, den Begleitern, der Dienerschaft und der Leibwache, nur Anhänger seiner Secte und getaufte Juden erkennen zu wollen. Allerdings hätten die Großeltern und Eltern des Herrn Schenck-Rinck, bei ihrer hohen geschäftlichen Stellung und gerade in Frankfurt, wo ihnen das Judenthum mit seinen sämmtlichen Lebensäußerungen auf jeder Bildungsstufe so nahe stand, und bei ihren fast vertrauten Beziehungen zu dem Hause von Franck sicherlich sofort irgend etwas Jüdisches an demselben zuerst erkannt. Aber gerade sie behaupteten, daß sie nie das geringste Zeichen von einem eigenen Cultus gefunden; daß nichts im Hause und an den Menschen auf jüdische Abkunft hingedeutet; daß alle häuslichen Einrichtungen für ein deutsches Auge wohl fremdartig, aber keineswegs jüdischer Natur gewesen. Nach der eigenen Aussage des Fräuleins von Franck war der alte Herr nur ihr und ihrer Brüder Pflegevater, nie wurde von einer Frau desselben oder der Mutter der Kinder gesprochen; daß Fräulein Eva früher Rachel geheißen, steht völlig unbegründet da, am wenigsten zeugte dafür ihre Persönlichkeit, die eher auf fürstliche, als auf jüdische Abstammung schließen ließ. Ebenso sprach die sclavische Unterwürfigkeit der Leibwache eher dafür, daß sie aus Leibeigenen bestanden, als für einen freiwilligen Dienst aus religiöser Schwärmerei, zu dem sich junge polnische und andere Juden hergegeben haben sollen; würde doch für solche eine strenge militärische Disciplin eine so schwere Zumuthung gewesen sein, wie ein Leben ohne die geringste andere äußere Thätigkeit, als Exerciren und Dienen. Fräulein Eva bot sich selbst zur Taufpathe einer Schwester des Herrn Schenck-Rinck an, wohnte mit kleinem Gefolge dem Taufacte bei und ließ sich ins Kirchenbuch eintragen als: „Eva von Franck, katholischer Religion.“ Sprächen endlich auch nicht der Bau und die Verschenkung einer katholischen Kirche in Offenbach gegen die Annahme, daß Franck ein getaufter Jude und das Haupt einer jüdisch-christlichen Secte mit eigenem Cultus gewesen, so genügt gegen dieselbe schon die Frage: Welchen Zweck sollte eine solche religiöse Secte damit verfolgt haben, ihr für heilig und unsterblich gehaltenes Oberhaupt dreißig Jahre lang im fernen Lande, in einer kleinen Stadt, abgeschlossen von der Menschheit und folglich auch ohne alle Einwirkung auf sie, und doch unaufhörlich von den Späherblicken der Neugierde umringt, mit ungeheueren Summen zu einem Leben voll des unerhörtesten Luxus, voll geradezu unsinniger Verschwendung auszustatten? Wären aber so kolossale Mittel zu irgendwelcher Proselytenmacherei verwendet worden, – hätten sie dann, bei der Wichtigkeit des Zieles, nicht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_346.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)