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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

das schrecklichste Unglück über die Stadt bringen; der Rath hat also eine beruhigende Ansprache an die Bürgerschaft erlassen, daß von der geforderten Contribution noch nichts gegeben, sondern die Sache durch den Weg der fleißigsten und unablässigen Unterhandlungen zur glücklichen Hebung des zum Grunde liegenden Mißverständnisses geführt werden soll.“

„Und hoffen Sie Erfolg von diesen Unterhandlungen, Vater?“ fragte Dorothea.

„Ich hoffe es, mein Kind, ich selbst werde das Meinige dazu thun,“ erwiderte Hartinger, die Niedergeschlagenheit bezwingend, die ihn aus mehr als einer Ursache überfallen hatte. „Eine Deputation soll an Custine abgeschickt werden; auch ich bin dazu gewählt und nur nach Hause gekommen, um mich zu der Reise einzurichten. Der Rath ist noch beisammen.“

„Sie werden Euch in Mainz festhalten,“ sagte Frau Hartinger erschrocken.

„Das fürchte nicht. Custine ist falsch berichtet; wenn er von Männern, die er zum Theil dem Namen und der Gesinnung nach schon kennt, die Wahrheit erfährt, so wird er die übereilte Forderung gern zurücknehmen.“

„Wen soll er in Frankfurt kennen?“ rief die Tochter und sah den Vater prüfend an. „Durch wen?“

Der Vater vermied ihren Blick; er stand auf und sagte: „Wessen Horizont nicht durch die Ringmauern seines Wohnorts und alte Vorurtheile beschränkt ist, der wird auch außerhalb genannt. Willst Du mir beim Einpacken helfen, Trautche?“

„Und wenn es bei der Contribution bleibt,“ fragte Frau Gertrud besorgt, „wieviel wird auf uns kommen? Wer vertheilt das? Es wäre doch wohl gut, wenn die einheimischen Frankfurter dabei geschont würden; da sind ja genug fürstliche Paläste und Höfe, das Compostel und der Frohnhof, die dem Kurfürsten von Mainz gehören, der trierische, der cölnische, der hessen-darmstädtische Hof und was den Solms und den Schönborns gehört, die müßten Alles hergeben, denn auf die Fürsten ist es doch abgesehen, nicht auf uns Bürger. Was hast Du dabei noch zu lächeln, Dorche? Zum Lachen ist es wahrhaftig nicht, wenn wir zu Bettlern werden!“

Dorothea durfte ihren Gedanken nicht aussprechen. Ihre Mutter, welche sonst auf ihre patricische Abkunft so stolz war, rechnete sich auf einmal zu den Bürgern. „Es wird so schlimm nicht werden,“ sagte sie. „Wenn der Vater Recht hat …“

Daran zweifelte sie freilich selbst, und als der Vater, nachdem er seine Anstalten zur Abreise getroffen hatte, wieder nach dem Römer ging, wo der Rath sich gleichsam in Permanenz erklärt hatte, fragte sie ihn, ob er vielleicht wisse, wo jetzt die Preußen und Hessen ständen, „oder die Oesterreicher?“ setzte sie schnell hinzu, als sie bemerkte, daß bei der Erwähnung der Hessen ein unmuthiger Schatten über das Gesicht des Vaters flog.

„Ich weiß nichts und mag davon nichts wissen,“ erwiderte er. „Es wäre kein Wunder, wenn man mich persönlich des Einverständnisses mit dem Feinde verdächtigte, da sich der Junge in mein Haus gewagt hat.“

„Mit dem Feinde, sagen Sie?“ entgegnete Dorothea lebhaft. „Sind die deutschen Krieger unsere Feinde? Traurig genug, daß nicht schon bei dem ersten Schritt der Franzosen über die deutsche Grenze das Reich diesen den Krieg erklärt hat, daß nicht am ganzen Rhein die Sturmglocken ertönt sind. Deutschlands Feinde, unsere Feinde sind die Franzosen.“ Sie war hoch erglüht vor innerer Bewegung und ihr Auge funkelte. Die Mutter erschrak vor ihr.

„Du bist ein deutsches Mädchen,“ sagte der Vater, indem er sein Kind nun doch mit Wohlgefallen betrachtete. Es war eben der Zwiespalt in ihm, welcher sich schon beim Abschiede von seinem Neffen geäußert hatte. Die Wagschale neigte sich aber bald wieder auf die andere Seite, denn er setzte hinzu: „Hüte Dich jedoch vor dieser Exaltation, die Dich zu weit führt. Eine sicilianische Vesper kannst Du doch in Frankfurt nicht wünschen?“ Er küßte sie auf die Stirn. „Deutschlands Feinde sind die Franzosen nicht,“ fuhr er fort, „wenigstens nicht des deutschen Volks, dem sie Frieden verkündigt haben. Krieg den Palästen, Friede den Hütten! Auch den Palästen nur, so weit in ihnen volksverderbliche Elemente wohnen!“

Dorothea antwortete nichts darauf und der Vater entfernte sich. Die Mutter war in große Unruhe gerathen und kam immer wieder auf die Contribution und den wahrscheinlichen Antheil zurück, welcher bei der unerhörten Maßregel, die ganze Last den Vornehmen aufzubürden, auf ihren Mann fallen wurde. Wie beschämt hätte sie sich fühlen müssen, wenn sie gewußt hätte, daß Neuwinger’s Manifest bis zum ärmsten Handwerker hinab mit Verachtung aufgenommen worden war, daß in dem starken Gemeinsinne, welcher Frankfurts Bürgerschaft belebte, Keiner ein Vorrecht vor dem Andern haben und auch der Aermste zu der Brandschatzung sein Scherflein beitragen wollte, als eine Ehrensache!

„Was meinte denn der Vater mit der Vesper in Frankfurt, wovon er sprach?“ fragte Frau Hartinger.

„Auf der Insel Sicilien wurden einmal die Franzosen, die als Feinde dort hausten, zu einer bestimmten Stunde vom Volke angegriffen und getödtet; es war zur Vesperstunde, darum nannte man jene furchtbare Begebenheit die sicilianische Vesper.“

„Gott bewahre uns in Gnaden!“ sagte die Mutter. „Als ob wir über unsere Einquartierung herfallen wollten.“

Daran dachte wohl kein Mensch. Die Stimmung hatte sich beruhigt, man hoffte das Beste von der Deputation, welche nach Mainz abgegangen war, und vertrug sich einstweilen mit der Einquartierung ganz leidlich. General Neuwinger hatte nur gethan, was ihm befohlen war; er selbst war ein würdiger alter Krieger, dessen Gesicht im Gegensatz zu Houchard’s zerfetzten Zügen Vertrauen einflößte, auch hielt er gute Mannszucht. Die Nationalgarden forderten, näher betrachtet, eher die Lustigkeit, die im Frankfurter Blute liegt, als die Furcht heraus. Sie waren zum großen Theil noch gar nicht uniformirt, sondern trugen ihre eigenen, durch den Feldzug schon ziemlich zerlumpten Kleider, namentlich Hosen; der bereits landläufige Ausdruck der Sansculotten (Ohnehosen) paßte annähernd auf viele der ehrbaren Elsasser Spießbürger, welche jetzt in der blauen Nationaluniform mit rothen Klappen, im dreieckigen Hut mit tellergroßer dreifarbiger Kokarde und kleinem rothen Stutz, durch ihre mangelhafte Unterbekleidung dem zarten Geschlecht in Frankfurt Aergerniß oder Belustigung gaben. Sie bramarbasirten übrigens in den Wirthshäusern und auf den Straßen gewaltig, spielten, wie ein Zeitgenoß seinem Freunde schrieb, mit Königskronen und zogen auf Wache mit auf die Bajonnete gespießtem Fleisch und Brod. Die Linientruppen hatten ein ganz anderes Ansehen, durchaus soldatisch, obgleich auch in jener freien französischen Weise, welche gegen die steife deutsche Dressur abstach. Die Infanterie trug noch die weiße Uniform, welche natürlich nicht gleich durch neubeschaffte blaue ersetzt werden konnte, so daß noch 1806 unter Napoleon einzelne Regimenter in weißen Röcken erschienen. Nach den Regimentern waren die Umschläge der Röcke von verschiedener Farbe: noch waren die alten Regimenter, meist nach den Provinzen benannt, ungetrennt; erst im folgenden Jahre, 1793, wurden ihre Bataillone auseinandergerissen und je ein Linienbataillon mit zwei Nationalbataillonen zu einer „Halbbrigade“ verbunden, welche Verschmelzung Anfangs viel gegenseitigen Widerwillen fand und erst im Feuer der Schlachten vollständig gelang. Am meisten gefiel den Frankfurtern die Cavalerie, obgleich sie ihnen die Allee, ihre Hauptpromenade, zum Lagerplatz genommen hatte.

Es trug nicht wenig zu der angenehmen Stimmung, besonders der bedrohten Classen bei, daß im Laufe des Tages, noch ehe die Deputation von Mainz zurück war, der einstimmig gefaßte Beschluß des Magistrats bekannt wurde. Kein Bürger solle einen Pfennig seines Eigenthums verlieren; das Stadtärarium zahle das Blutgeld, falls es nicht erlassen werde, allein und verlange bei seiner jetzigen Armuth die Summe von den reichsten Einwohnern nur als ein verzinsliches Darlehen. „Heil dem Volke, das solche Führer hat!“ schrieb der erwähnte Zeitgenoß gerührt an seinen Freund, welchem er täglich Nachrichten versprochen hatte.




4.

Trotz der Entfernung von fünf Meilen kehrte die Deputation von Mainz zurück, ehe sie erwartet worden. Als der Ratsherr Hartinger seine Treppe hinaufstieg, sah ihm von oben das steinalte Gesicht seiner Amme entgegen und ihm fiel der Volksaberglaube ein, daß die Begegnung einer alten Frau als erste beim Ausgang oder bei der Heimkehr Unglück bedeute.

„Wie kommst Du so spät noch hierher?“ fragte er sie. Die Amme wohnte nicht bei ihm in dem schönen Hause auf der Zeil, sondern in dem andern, das er auf der Allerheiligengasse besaß.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_354.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)